Andreas von Staden über Katharina Holzinger et al.: Environmental Policy Convergence in Europe (2008)

Seit Oktober 2007 ist Katharina Holzinger Professorin für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität Konstanz. Ihren ersten Ruf auf eine unbefristete C 4-Professur erhielt sie davor von der Universität Hamburg, wo sie von April 2004 bis September 2007 wirkte. In diesen Zeitraum fiel auch der Großteil eines EU-Drittmittelprojekts zur Erforschung von länderübergreifender Konvergenz im Bereich nationaler Umweltschutzpolitiken. Projektpublikationen erschienen u.a. in International Organization und im Journal of European Public Policy. Hauptprodukt des Projekts ist der zusammen mit Christoph Knill und Bas Arts herausgegebene Band Environmental Policy Convergence in Europe: The Impact of International Institutions and Trade (Cambridge University Press, 2008), in dem Katharina Holzinger bei sechs von acht Beiträgen als Koautorin verantwortlich zeichnet.

Andreas von Staden, Ph.D. (Princeton), ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft, insbesondere Global Governance, an der Universität Hamburg und Mitglied der Leitungsteams der ECPR Standing Group on International Relations und der ECPR Standing Group on Law & Courts. Bevor er an die Universität Hamburg wechselte, war er Assistenzprofessor an der Universität St. Gallen und davor wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster Normative Ordnungen an der TU Darmstadt. Im vergangenen Jahr erschien Strategies of Compliance with the European Court of Human Rights: Rational Choice within Normative Constraints (University of Pennsylvania Press), das Elvira Rosert für den Blog 100 x 100 besprochen hat.


Die jüngst in Madrid zu Ende gegangene UN-Klimakonferenz hat einmal mehr die Schwierigkeiten aufgezeigt, kurz- und mittelfristige nationale Interessen insbesondere ökonomischer Art und die Notwendigkeit, auf globaler Ebene schnellstmöglich effektive Maßnahmen gegen eine weitere Erderwärmung zu ergreifen, unter einen Hut zu bringen–Konfrontationen, die im Ergebnis regelmäßig zu Lasten des Klimaschutzes gehen. Auch wenn effektiver Umweltschutz aktuell drängender denn je erscheint, stehen Versuche, über staatliche Grenzen hinweg koordiniert Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu ergreifen, seit vielen Jahrzehnten wiederkehrend auf der Agenda der internationalen Politik. Teils werden dabei Erfahrungen ausgetauscht, teils unverbindliche Absichten erklärt, teils rechtliche Verpflichtungen eingegangen. Zu den Fragen, die sich vor dem Hintergrund der vielfältigen Interaktionen auf zwischenstaatlicher, aber auch auf transnationaler Ebene ergeben, gehört, ob sich diese auch in einer Annäherung der konkret verfolgten nationalen Politiken niederschlagen und warum und unter welchen Bedingungen sie dies tun (oder aber auch nicht).

Dieser sich auch in anderen Politikfeldern vor dem Hintergrund intensivierter Globalisierung ergebende Fragenkomplex bildet den Ausgangspunkt der Untersuchung, deren Ergebnisse in Environmental Policy Convergence in Europe dargestellt werden. Dabei gehen Katharina Holzinger und ihre Projekt-KollegInnen gezielt über die seinerzeit im Bereich der politikwissenschaftlichen Forschung zur Umweltpolitik vorherrschenden Methode der vergleichenden Fallstudien hinaus und führen eine umfangreichere Bestandsaufnahme zum Grad der Konvergenz im Bereich staatlicher Umweltschutzpolitik durch. Konkret werden Maßnahmen zu vierzig verschiedenen umweltpolitischen Teilbereichen—von Forst- und Bodenschutz über die Regulierung der Emissionen von Schwefel- und Stickoxiden sowie Kohlendioxid bis hin zu Glas- und Papierrecycling—in 24 OECD-Ländern (21 in Europa plus Mexiko, Japan und die USA) über einen Zeitraum von dreißig Jahren (1970-2000) untersucht, wobei die interessierenden Variablen viermal jeweils zur vollen Dekade gemessen werden. Konvergenz wird dabei definiert als „any increase in the similarity between one or more characteristics of a certain policy (e.g. policy objective, policy instruments, policy settings) across a given set of political jurisdictions (supranational institutions, states, regions, local authorities) over a given period of time“.[1]

Gemessen wird Konvergenz entlang dreier Dimensionen: policy presence, policy instruments und policy settings. Hinsichtlich der An- bzw. Übernahme von Maßnahmen in den untersuchten Teilbereichen lässt sich dabei eine deutliche Zunahme an Konvergenz feststellen: Hatten die meisten Länder 1970 noch umweltpolitische Politiken zu spezifischen Problemfeldern in deutlich weniger als 10 Bereichen ergriffen, so verfolgten im Jahr 2000 bereits zwei Drittel der Länder Maßnahmen im mehr als dreißig der vierzig Teilbereiche, wobei die USA mit nur 17 Teilbereichen das umweltpolitische Schlusslicht bildeten. Im Hinblick auf die verwendeten Instrumente zur Zielerreichung der jeweiligen Politiken ist das sich ergebende Bild differenzierter: Während verpflichtende Standards oder Verbote zu allen Messzeitpunkten das am häufigsten verwendete Instrument sind (jeweils häufiger als andere anderen zusammen), nehmen andere Maßnahmen wie Steueranreize und Informationskampagnen dagegen relativ gesehen am stärksten zu. In einigen Teilbereichen, wie etwa der Reduktion des C02-Ausstosses der Schwerindustrie, ist zudem eine deutliche Diversifizierung der verwendeten Instrumente über Zeit zu beobachten. Bezüglich der Veränderung der inhaltlichen Varianz (der „Sigma-Konvergenz“) ergibt sich insgesamt—verglichen mit den beiden anderen Dimensionen—die geringste Konvergenz, die aber je nach umweltpolitischem Teilbereich stark unterschiedlich ausfällt: So ist sie am stärksten im Bereich handelsbezogener Politiken und dort, wo verbindliche Standards oder Maßnahmen zum Einsatz kommen. Ein wichtiges Ergebnis ist dabei, dass sich ganz überwiegend kein race to the bottom feststellen lässt, sondern dass die anwendbaren Standards in vielen Teilbereichen über Zeit zunehmend strenger werden.

Was sind die treibenden Kräfte hinter der beobachtbaren Konvergenz? Katharina Holzinger und ihre KollegInnen identifizieren zwei Faktoren als besonders relevant: Internationale Harmonisierung mittels völkerrechtlicher Verpflichtungen und transnationale Kommunikation. Harmonisierung kann dabei erfolgen durch den Beitritt zu einer Institution, deren Standards das neue Mitglied einzuhalten hat, oder durch die nachfolgende Fortentwicklung solcher Standards durch den Erlass weiterer Verpflichtungen, die für den Mitgliedsstaat qua Mitgliedschaft verbindlich sind. Bemerkenswerterweise zeigt die Analyse, dass ein solcher Harmonisierungseffekt nicht allein durch die EU begründet wird, sondern auch bei anderen internationalen Organisationen ohne vergleichbare Rechtsetzungskompetenz nachweisbar ist. Der zweite Faktor der transnationalen Kommunikation umfasst mehrere mögliche konkrete Mechanismen wie Nachahmung, Lernen oder Diffusion mittels epistemischer Gemeinschaften, die alle allein über den Austausch von Informationen wirken. In der empirischen Analyse zeigt sich, dass die Konvergenzwirkung von Kommunikation sich insbesondere auf der Ebene der Übernahme bestimmter Politiken positiv bemerkbar macht, hinsichtlich der inhaltlichen Konvergenz aber sogar schwach negativ ausgeprägt ist. Als Hauptergebnis konstatiert die Studie, dass sich Konvergenzen im Bereich nationaler Umweltpolitik insgesamt gerade auch als Ergebnis internationaler institutioneller Verflechtungen darstellen, und während einige andere Faktoren wie etwa die kulturelle Ähnlichkeit zwischen Staaten zumindest in bestimmten  Modellspezifikationen ebenfalls hohe statistische Signifikanz aufweisen, ist dies bei anderen als kausal relevant erwarteten Faktoren, wie etwa einem möglichen zwischenstaatlichen „Regulierungswettbewerb“, kaum der Fall.

Das Buch und das zugrundeliegende Projekt stellen einen großen Schritt hin zu einer stärker quantitativ ausgerichteten vergleichenden Forschung zu Fragen der Konvergenz von nationalen Politiken in Zeiten zunehmender Globalisierung dar. Es besticht dabei neben seiner konzeptionellen Klarheit und der gelungenen Abgrenzung verschiedener verwandter Ansätze (neben Politikkonvergenz insb. policy diffusion und policy transfer, aber auch isomorphism und Europeanization) durch mehrere methodische Innovationen bei der Messung von Konvergenz und der Überprüfung der aufgestellten Hypothesen. Es ist aber gerade die Kernaussage des Buches, die ihre aktuelle Bedeutung nicht nur aus dem Blickwinkel der Umweltpolitik gewinnt: Wenn es stimmt, dass gerade die internationale institutionelle Vernetzung durch Harmonisierung und Intensivierung der Kommunikation zwischen Staaten dazu geführt hat, dass eine Konvergenz hin zu strengeren und zumindest bei hinreichender Umsetzung im Hinblick auf die Zielerreichung—hier: Umwelt- und Klimaschutz—effektiveren Maßnahmen beobachtbar ist, dann untergräbt das, was gegenwärtig mitunter als Krise des Multilateralismus und als das Heraufziehen einer Neo-Westfälischen Ordnung identifiziert wird, in mehrfacher Weise effektive Problemlösungsansätze. Selbst wenn man bestimmte verbindliche Entscheidungen wieder stärker im Nationalstaat verorten möchte, so suggerieren die oben dargestellten Ergebnisse, dass internationale Institutionen auch in ihrer Funktion als Forum und Förderer zwischenstaatlicher Kommunikation unter bestimmten Bedingungen einen messbaren Beitrag zur Lösung sowohl nationaler als auch globaler Probleme leisten können und dafür beibehalten und gestärkt werden sollten. In jedem Falle wäre es aus wissenschaftlicher Sicht höchst interessant, die hier besprochene Studie für die ersten zwei Jahrzehnte des gegenwärtigen Jahrtausends fortzuschreiben, um zu sehen, ob sich das zunehmende Aufkommen populistisch-nationalistischer Strömungen und die Abwendung zumindest einiger Staaten von multilateralen Institutionen und Lösungsansätzen auch in einer sich abschwächenden oder vielleicht sogar abnehmenden Konvergenz nationaler Politiken bemerkbar machen.


[1] Christoph Knill, „Introduction: Cross-National Policy Convergence: Concepts, Approaches and Explanatory Factors“, Journal of European Public Policy 12 (2005): 768, zitiert in Katharina Holzinger & Christoph Knill, „Theoretical Framework: Causal Factors and Convergence Expectations“, in Katharina Holzinger, Christoph Knill & Bas Arts (Hrsg.), Environmental Policy Convergence in Europe: The Impact of International Institutions and Trade (Cambridge: Cambridge University Press, 2008), 31.

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