Michael Th. Greven war von 1995 bis 2012 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg, zunächst mit dem Schwerpunkt Regierungslehre, ab 2004 mit dem Schwerpunkt Politische Theorie. Die Reminiszenz von Rainer Tetzlaff beschreibt die Umstände, unter denen Michael Greven als Dekan des sozialwissenschaftlichen Fachbereichs eine Protestaktion gegen die geplante Verleihung der Ehrendoktorwürde an Vladimir Putin initiierte, die schließlich zur Absage der Verleihung führte. Der Wortlaut des Aufrufs von Michael Greven ist in diesem Fundstück zu finden, eine Würdigung von Michael Grevens theoretischen Arbeiten für 100 x 100 ist in Vorbereitung.
Rainer Tetzlaff war von 1974 bis 2006 Professor für Politische Wissenschaft am Institut für Politische Wissenschaft der Universität der Freien und Hansestadt Hamburg. Er beschäftigt sich in der Hauptsache mit Internationaler Politik und Entwicklungspolitik. Zu Rainer Tetzlaffs jüngst in der Reihe ‚Grundwissen Politik‘ erschienenem Afrika-Buch (Afrika. Eine Einführung in Geschichte, Politik und Gesellschaft. Wiesbaden 2018) erschien an dieser Stelle eine Rezension von Andreas Mehler.
Im Leben eines Hochschullehrers gibt es wohl nur ausnahmsweise die Gelegenheit, in den kontingenten Verlauf der Geschichte durch eigenes couragiertes Handeln verändernd einzugreifen. Die folgende Erzählung handelt von solch einem bemerkenswerten Fall. Am 21. Dezember 2003 hatte der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften beschlossen, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Am 10. Oktober 2004 sollte der festliche Akt stattfinden. Doch dieser Termin musste schließlich abgesagt werden – wohl eins der peinlichsten Ereignisse in der Geschichte der Hamburger Universität. Der Sprecher der Universität, Peter Wiegand hatte die undankbare Aufgabe, öffentlich zu erklären, dass die angekündigte Feier „aus Terminschwierigkeiten“ nicht stattfinden könnte. Zudem verwies er auf die Tatsache, dass „von unseren rund 700 Professoren nur rund 60 die Protestresolution unterschrieben“ hätten.[1] Daraufhin hagelte es „72 Stunden lang Anfragen aus aller Welt, bis aus den letzten Winkel Russlands“ (Wiegand im Gespräch mit dem Autor am 13.05.2019). Man wollte die Gründe wissen.
Hauptsächlich mitverantwortlich für dieses ‚non-event‘ war Prof. Dr. Michael Th. Greven, Dekan des sozialwissenschaftlichen Fachbereichs.[2] Kurz vor dem „Hamburger Skandal“ hatte Greven unter dem Titel Kontingenz und Dezision. Beiträge zur Analyse der politischen Gesellschaft einen Sammelband mit wichtigen Beiträgen zu der Frage veröffentlicht, ob die „liberale Demokratie eine Kultur des Westens“ sei (was im Wesentlichen bejaht wurde) oder ob sie im normativen Sinne universelle Ansprüche begründen könnte.[3] Daher fühlte er sich auch fachlich herausgefordert und berufen, gegen eine politische ‚Dezision‘ seiner Hamburger Universität sein Veto einzulegen, die so gar nicht zu seinen politischen und ethischen Überzeugungen passte.
Die Freie und Hansestadt Hamburg hatte damit für einige Wochen einen von den Medien stark beachteten politischen Skandal, der nur mit Mühe zugedeckt werden konnte. Es wäre aber zu einfach, hier schlicht von Politikversagen zu sprechen, war er doch gleichzeitig ein Symbol für das politische Ringen zwischen dem rot-grün regierten vereinten Deutschland und dem Nach-Gorbatschow-Russland um ein friedliches, konstruktives Miteinander in einer labilen Übergangszeit, in der Putins Russland sich schließlich immer mehr politisch wie kulturell vom Westen entfernte und sich trotzig in eine eigene, als „postwestlich“ (Putin) legitimierte Staats- und Gesellschaftsordnung einigeln sollte. Das war wohl für all die Deutschen, die aus ehrenwerten Gründen lange, zu lange, an der Illusion einer ganz besonderen, teilweise romantischen Beziehung zwischen Deutschland und Russland festgehalten hatten, eine herbe Enttäuschung. Die Slawistin, Journalistin und Publizistin Katja Gloger, hat in einem sehr lesenswerten Buch dazu festgehalten:
„In keinem anderen westlichen Land wird so leidenschaftlich um Russland und seine Zukunft gerungen wie in Deutschland. In keinem anderen Land finden sich so viele ‚Russland-Versteher‘: Deutsche und Russen – Russen und Deutsche: zwei Länder, zwei Völker, die seit tausend Jahren voneinander nicht lassen können. Diese Beziehung bestimmt das Schicksal Europas; sie schrieb Weltgeschichte – im Guten wie im Bösen. Sie war – und ist – von Gegensätzen und Widersprüchen geprägt: von Vorurteilen und Furcht, auch von Hass. Aber auch von tiefer Freundschaft und gegenseitiger Bewunderung, gar Verklärung. Noch immer macht man eine Seelenverwandtschaft aus“[4].
Die Vorgeschichte: ein Ehrendoktor für Staatspräsident Putin, den Schöpfer und Repräsentanten der „gelenkten Demokratie“?
Vermutlich einer diskreten Anregung des damals amtierenden Bundeskanzlers Gerhard Schröder folgend (er regierte vom Oktober 1998 bis November 2005), ist 2003 im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Hamburg der Plan diskutiert und dann beschlossen worden, den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit der Ehrendoktorwürde auszuzeichnen. Diese Geste war gewissermaßen als Gegenleistung und aus Dankbarkeit für die Ehrung gedacht, der Bundeskanzler Gerhard Schröder ein halbes Jahr zuvor –im März 2003 – in Putins Heimatstadt St. Petersburg zuteil geworden war (wohl kaum wegen dessen akademischen Leistungen). Ein Doktorhut aus Hamburg, der Partnerstadt von St. Petersburg, wäre dafür ja wohl die geeignete und angemessene Gegenleistung – so dachten auch Politiker wie beispielsweise der ehemalige Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau und der frühere Präsident der Hamburger Handelskammer, Klaus Asche (die später die Absage der Ehrenpromotion der Universität Hamburg als „dumm und ungeschickt“ kritisierten). Auch Hamburgs früherer Bürgermeister Klaus von Dohnanyi fand den Streit „unverständlich“; es sei „unmöglich“, dass einige Moralhüter einen ‚Hamburger Skandal‘ inszeniert hätten.[5] Man hatte sich wohl eine Förderung der Handelskontakte zur Hansestadt versprochen.[6]
Aber weder Parteipolitiker noch Wirtschaftsgrößen einer Stadt können einen Ehrendoktor vergeben, – worauf auch der parteilose Wissenschaftssenator Hamburgs Jörg Draeger (2001 – 2008) hinwies -, sondern das kann in einem liberal-demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland nur Fachbereiche oder Fakultäten einer Universität veranlassen und durchführen, die dafür ja auch eine glaubwürdige Begründung öffentlich vorweisen müssen. Spätestens an diesem Punkt hätten die Planer dieser famosen Idee der Ehrung eines Diktators stutzig werden müssen: Wofür sollte man den neuen Kreml-Chef ehren, der just im Jahr 2003 den wirtschaftsliberalen Premierminister Michail Kasjanow entlassen und ein hierarchisches Kommandosystem installiert hatte, das westliche Politologen später als Putinismus bezeichneten: Es handelt sich dabei um ein autoritäres Herrschaftssystem, in dem der Primat der Politik in Gestalt eines starken Präsidenten, der weder von einem frei gewählten Parlament noch von einer liberalen Öffentlichkeit in Schach gehalten werden kann, wiederhergestellt wurde – ein demokratiefeindliches Herrschaftsprinzip, das aus Putins Sicht ‚bedauerlicherweise‘ mit dem Zerfall der Sowjetunion verschwunden war.
Bekanntlich hat Wladimir Putin diesen Zerfall des sowjet-kommunistischen Imperiums (der immerhin die Befreiung zahlreicher Nationen aus dem ‚Völkergefängnis‘ ermöglicht hatte) als „die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, was bei uns nur schwerlich verstanden wurde. Aber der ehemalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich bis heute um eine Verständigung mit dem „unverzichtbaren“ Partner Russland bemüht, zeigte Verständnis für Putins Haltung, als er schrieb:
„Was bei uns im Westen als Ende des Sowjetkommunismus begrüßt wurde, das wurde von vielen Russen offenbar als eine große Katastrophe wahrgenommen. Wo wir das Ende von totalitärer Herrschaft sahen, hatten hier viele Angst vor dem Staatszerfall. Wo wir lauter neue Chancen sahen, da sahen andere hier das Ende aller Gewissheiten und etablierten Strukturen… Deshalb müssen wir alle uns prüfen und fragen, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist; was wir hätten besser machen müssen.“[7]
Seit Beginn seiner zweiten Amtszeit als Staatspräsident im Jahr 2004 wollte Putin mit seinem System der „gelenkten Demokratie“ die ‚Irrtümer‘ der Ära Gorbatschow und Jelzins aus der Welt schaffen. Dessen zentrales Merkmal besteht in der „Vertikalen der Macht“ (Putin), d. h. in einem System föderaler Ordnung, das vom Moskauer Machtzentrum aus alle bundesstaatlichen Gebietskörperschaften und Staatsorgane in eine hierarchisch angeordnete Befehlskette einbinden soll.
Gleichzeitig sagte Putin den Oligarchen den Kampf an, d. h. den in der liberalen Phase der 1990er Jahre reich gewordenen Oberschicht, deren Repräsentanten sich gelegentlich in die russische Innen- und Wirtschaftspolitik eingemischt hatten. Als ersten traf es Wladimir Gussinski, dessen Medienkonglomerat Media-MOST durch staatliche Eingriffe, Untersuchungen wegen Betrugs und mittels straf- und zivilrechtliche Gerichtsentscheidungen in wenigen Monaten zerschlagen wurde. Sein bis dahin regierungskritischer Privatsender wurde von dem halbstaatlichen Gazprom-Konzern übernommen. Auch der Oligarch Boris Abramowitsch Beresowski flüchtete aus Russland, als gegen ihn ein Untersuchungsverfahren eingeleitet und der ihm gehörende Fernsehsender ORT mit landesweiter Ausstrahlung unter staatliche Kontrolle gestellt wurde. Bei den Parlamentswahlen vom 7. Dezember 2003 hatte Putins Partei „Einiges Russland“ einen erdrutschartigen Sieg erzielt und wurde mit 37 Prozent der Stimmen stärkste Fraktion in der Duma. Kurz zuvor, im Oktober 2003, war der im Ölgeschäft reich gewordene Großunternehmer Michail Chodorkowski inhaftiert worden, um einen möglichen Rivalen Putins auszuschalten. Als sein Stabschef Alexander Woloschin, aus Protest gegen die Verhaftung Chodorkowskis mit Rücktritt drohte, akzeptierte Putin seinen Rücktritt und ersetzte ihn durch Dmitri Medwedew, den Geschäftsführer des staatlichen Gaskonzerns Gazprom. Aus den weder fairen noch freien Präsidentschaftswahlen am 14. März 2004 ging Putin mit 71 Prozent der Stimmen als Sieger hervor und ging so gestärkt in seine zweite Amtszeit als Repräsentant einer damals in weiten Kreisen Russlands populären Fassaden-Demokratie.
All das hätte man 2003/2004 in Berlin und Hamburg schon wissen und bedenken können, – dass nämlich der ehemalige KGB-Oberst a. D. Wladimir Putin, selbst von Präsident Boris Jelzin am Silvestertag 1999 zum amtierenden Präsidentennachfolger gekürt (vermutlich deshalb, um sich so Straffreiheit für sich und seinen Clan mittels eines ‚loyalen‘ Geheimdienstmannes zu sichern), im Zuge seiner zweiten Wiederwahl 2004 begonnen hatte, die Medien- und Meinungsfreiheit in Russland Stück für Stück einzuschränken.
Prof. Michael Greven – Demokratie-Lehrer und engagierter Streiter für eine politische Gesellschaft aktiver Bürger
Als die Pläne der Ehrung des russischen Präsidenten im Sommer 2004 bekannt wurden, reagierte der Dekan des sozialwissenschaftlichen Fachbereichs, Prof. Michael Greven, der am Institut für Politische Wissenschaft für das Lehr- und Forschungsgebiet politische Theorie und Ideengeschichte zuständig war, als erster mit Unverständnis und Empörung. Er erkundigte sich „in der Universitätsleitung wie im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften“, ob an eine Aufgabe des Plans gedacht sei, konnte aber „keinerlei Anzeichen erkennen, dass man dort an eine Revision der Entscheidung gedacht hat“ (Werner Nording, Bericht im Deutschlandfunk vom 3.8.2004). Tatsächlich beharrte Vizepräsident Karl-Werner Hansmann auf der Ehrung für Putin.
„Ja das werden wir tun, denn wir haben uns das natürlich vorher überlegt, wir sind der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, nicht das Präsidium der Uni. Der Fachbereich hat überprüft, ob Herr Putin für eine Ehrendoktorwürde in Frage kommt, hat es auf die wirtschaftswissenschaftlichen Leistungen von Herrn Putin beim Übergang von der kommunistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft gestützt, das haben wir geprüft und haben es für richtig befunden, dass der Fachbereich diese Ehrung vornimmt“.[8]
Schließlich startete Dekan Greven unter Kollegen eine Protestaktion, der sich rasch 55 Professoren aus mehreren Fachbereichen, dann später 67 Professoren anschlossen. Auch ist es zu Studentenprotesten gekommen. In dem Protestschreiben der Professoren wurde unter anderem der „in völkerrechtswidriger Weise geführte Tschetschenien-Krieg“ sowie die Unterdrückung und Schikanierung von unabhängigen Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen angeprangert. Der russische Präsident hätte außerdem „keine herausragende wissenschaftliche Leistung“ erbracht, die eine Verleihung der Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Wirtschafts- und Sozialwissenschaften rechtfertigen würde.
Tatsächlich hatte Wladimir Putin in den 1970er Jahren an der Universität Leningrad Jura studiert, also zu einer Zeit, in der Russland als Teil der Sowjetunion kein Rechtsstaat war. Von 1985 bis 1990 gehörte der fließend Deutsch sprechende Putin zum KGB-Stab in Dresden, wo er unter anderem als Spion zur Überwachung von ausländischen Konsulats-Angehörigen eingesetzt wurde. Nach der Auflösung der DDR kehrte er nach Russland zurück und arbeitete als vom KGB delegierter Hochschullehrer für Wirtschaftsrecht an der Leningrader Staatsuniversität. Im Jahr 1997 promovierte Putin in mit einer Arbeit über Planung und Produktion von mineralischen Rohstoffen im Fach Ökonomie. Darauf bezog sich offenbar die oben zitierte Äußerung des Professors für Wirtschaftswissenschaften Karl-Werner Hansmann.
Angesichts dieses offensichtlichen Dissenses zwischen Kollegen (sowie zwischen Parteipolitikern in der Hamburger Bürgerschaft) konnte der Politologe Greven, der schon an den Universitäten Marburg und Darmstadt hochschulpolitische Erfahrungen gesammelt hatte, in die praktische Tat umsetzen, was er als Theoretiker der Demokratie und der „politischen Gesellschaft“ stets gelehrt und gefordert hatte: die breite gesellschaftliche Partizipation von unten, um das politisch Vernünftige in einer aktiven Bürgergesellschaft diskursiv zu gestalten:
„Bildlich gesprochen beruht der demokratische Typus der ‚politischen Gesellschaft‘ auf einer Politisierung von unten, auf Partizipation, mindestens aber responsiver Rückkoppelung an die einzelnen Bürger und Bürgerinnen und dem, was ich bereits früher als ‚demokratischen Dezisionismus‘ von seiner existenzialistischen und autoritären Variante abgegrenzt habe. Das heißt nichts anderes, als dass in einer modernen Demokratie prinzipiell alles zum Inhalt politischer Entscheidungen werden kann“.[9]
Ausblick: die Illusion einer strategischen Partnerschaft mit Putins Russland
Versucht man die Affäre der geplanten Doktorhut-Ehrung Putins aus der Zeitgeist-Perspektive der 2000er Jahre zu verstehen, so lässt sich entlastend anführen, dass der Plan der Ehrenpromotion Putins – neben wirtschaftlichen Eigeninteressen – wohl auch im Geiste der erhofften ‚strategischen Partnerschaft‘ zwischen Russland und Deutschland anzusiedeln ist. Nach der friedlichen Wiedervereinigung im Oktober 1990 war Deutschland dankbar für die problemlose Abwicklung der Folgeauswirkungen, fühlte sich gleichzeitig als Impulsgeber und Motor für eine stärkere Integration Russlands in europäische Strukturen und warb für Kredite und Investitionen in Russland. Mit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders und dem Wirtschaftsaufschwung in Russland unter Wladimir Putins erster Amtszeit als Staatspräsident waren die deutsch-russischen Beziehungen insbesondere im Bereich der Wirtschaft, aber auch beim politischen Dialog so intensiv wie nie zuvor. Es fanden jährlich zunächst informelle, dann formelle bilaterale Regierungskonsultationen auf höchster Ebene statt, so dass eine Würdigung des russischen Staatsoberhauptes durch einen Ehrendoktor aus Deutschlands Handelsmetropole aus Sicht des Kanzleramtes sinnvoll und nützlich erscheinen musste.
Offenbar konnte auch der 2001 begonnene Petersburger Dialog, – ein bilaterales Diskussionsforum, das sich zum Ziel gesetzt hatte, die zivilgesellschaftliche Verständigung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern zu fördern – den drohenden Schaden im Vorfeld nicht zu verhindern. Grevens Kollege Prof. Günter Trautmann, der sich als Professor am Institut für politische Wissenschaft mit der jüngeren Entwicklung in Russland beschäftigte, nahm des Öfteren an den Petersburger Dialogen teil. Diese Plattform der Verständigung – die bis heute (mit einer Unterbrechung infolge der Annexion der Krim) fortgeführt wird, ist als bilaterale Tagung angelegt, in der alljährlich zehn Arbeitsgruppen über gesellschaftliche Zeitfragen und Schlüsselthemen der deutsch-russischen Beziehungen diskutieren. Teilnehmer sind Regierungsvertreter, Wirtschaftsexperten, zivilgesellschaftliche Gruppen sowie Multiplikatoren aus allen Bereichen der Gesellschaften der beiden Länder, die auch als Ideengeber für konkrete Gemeinschaftsprojekte wirken. Auch dieses Forum für bilateralen Gedankenaustausch stand im Dienste einer Jahre lang von Deutschland verfolgten Politik der „Modernisierungspartnerschaft“ zwischen Deutschland und Russland .[10]
Acht Jahre nach der universitätsinternen Kontroverse über die geplante Doktorhut-Ehrung Putins, am 7. Juli 2012, starb völlig überraschend Michael Greven, einen Tag nach seiner Emeritierung, die groß gefeiert worden war. Freunde, Kollegen und Mitarbeiter hatten ihm zu seinem 65. Geburtstag eine Veröffentlichung überreicht, die Grevens Eintreten als Demokratie-Lehrer für eine ‚politische‘, d. h. kritische und wachsame Bürgergesellschaft in vielfacher Weise würdigte.[11]
[1] Spiegel Online vom 4.8.2004.
[2] Michael Greven lehrte seit 1995 in Hamburg; von 1994 bis 1997 war er Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Von 2001 bis 2011 war er Mitglied der Ethik-Kommission der DVPW und von 2006 bis 2011 ihr Vorsitzender. Seit der Gründung bis in die 1990er Jahre hinein war Greven im Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie sowie seit Anfang der siebziger Jahre Mitglied der Humanistischen Union. Von 1994 bis 2007 war er Mitglied des Kuratoriums der Schader-Stiftung zur Förderung der Gesellschaftswissenschaften und von 1999 bis 2003 auch dessen Vorsitzender.
[3] Opladen: Leske & Budrich 2000.
[4] Katja Gloger, Fremde Freunde. Deutsche und Russen. Die Geschichte einer schicksalhaften Beziehung. Berlin 2017, S. 13-14. Katja Gloger hat am Institut für politische Wissenschaft der Hamburger Universität Internationale Politik studiert.
[5] Nach: Jan Friedmann und Jochen Leffers in Spiegel Online vom 0.4.08.2004. und 10.08. 2004
[6] Siehe auch Fritjof Meyer, Spiegel Online, 27.02.2004
[7] Frank-Walter Steinmeier, Flugschreiber. Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten, Berlin: Propyläen/Ullstein 2016, 2. Aufl., S. 188.
[8] Bericht von Werner Nording im Deutschlandfunk vom 3.8.2004.
[9] Michael Greven, Kontingenz und Dezision. Beiträge zur Analyse der politischen Gesellschaft, Opladen, S. 84-85
[10] So auch Frank-Walter Steinmeier, Flugschreiber, a.a.O.
[11] Olaf Asbach, Rieke Schäfer, Veith Selk und Alexander Weiß (Hrsg.) Zur kritischen Theorie der politischen Gesellschaft. Wiesbaden 2012: VS Verlag für Sozialwissenschaften.