Andreas Mehler zu Rainer Tetzlaff, Afrika: Eine Einführung in Geschichte, Politik und Gesellschaft (2018)

Rainer Tetzlaff war von 1974 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 Professor für Politische Wissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen an der Universität Hamburg. Afrikanische Politik begleitet ihn von seinem Studium an bei zahlreichen Forschungsaufenthalten sowie in seinen Publikationen bis heute. Eine Publikation, ein einführendes Lehrbuch zur Geschichte, Politik und Gesellschaft Afrikas, wird hier rezensiert.

Andreas Mehler ist Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg im Breisgau. Andreas Mehler hat 1993 mit einer Arbeit zum blockierten Demokratisierungsprozess in Kamerun bei Rainer Tetzlaff an der Universität Hamburg promoviert und war anschließend erst wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann Direktor am Institut für Afrikakunde (später: GIGA Institut für Afrikastudien) in Hamburg.


Rainer Tetzlaff hat es wieder gewagt: ein Lehrbuch zu einem ganzen Kontinent: „Afrika. Eine Einführung in Geschichte, Politik und Gesellschaft“ (Springer VS, 2018) versucht den Rundumschlag mit einem dicken Theorieteil (Entwicklungstheorien), fünf (zeit)historischen Kapiteln und dann systematischen, aber empirisch gefütterten Beiträgen zu Staatsbildung/Staatszerfall, Demokratisierung, Bevölkerungswachstum und Armut/Hunger, Rohstoffreichtum, Krieg und Frieden, Korruption und Bad Governance, sowie internationale Entwicklungskooperation. Eingebettet werden immer wieder illustrierende Abschnitte zu einzelnen Staaten: Ruanda, Südafrika, Äthiopien, Nigeria… – und immer wieder Ghana. Dieses Buch, in lesbarer Sprache, ist in gewisser Weise auch eine Synthese des akademischen Wirkens von Rainer Tetzlaff. Und es unterstreicht, dass er immer auf der Suche war, überwölbende Deutungen für (Fehl-)Entwicklungen zu finden.

Als Rainer Tetzlaff im Jahre 1974 – nach formenden Jahren an der Freien Universität Berlin – in Hamburg seine akademische Heimat fand, begann eine sehr produktive Phase seines Wissenschaftlerlebens. Wie er schon zuvor immer am Puls der Zeit war – Dekolonisationsprozesse, das Scheitern sozialistischer Experimente als Themen der späten 60er und beginnenden 70er Jahre – ging es nun erst einmal um den Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika (hier auch immer als politisch engagierter Wissenschaftler) und dann im Zeitalter der Strukturanpassungsprogramme um den Einfluss von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf afrikanische Gesellschaften. Mit dem Ende des Kalten Krieges schwappte dann die wenig erwartete Demokratisierungswelle nach Afrika. Konstante in seinem Tun war die Beschäftigung mit dem Staat in Afrika, zeitweise auch mit dem Fokus auf die disruptiven Kräfte politisierter Ethnizität. Zu all diesen Themen lehrte Rainer Tetzlaff, aber er initiierte auch empirische Forschung und machte Theorieangebote – immer zusammen mit Doktorandinnen und Doktoranden, die er nach Leibeskräften förderte.

Das macht das Oeuvre Rainer Tetzlaffs sehr breit, es passt nicht in eine Schublade und die – oft in Koautorenschaft entstandenen – Werke passen auch nicht in wenige Regalmeter. Rainer Tetzlaff ist Teil einer Generation von Wissenschaftlern, die mit der Öffnung Nachkriegsdeutschlands die Welt nicht nur für sich, sondern für ihre Gesellschaft neu entdeckten und dieser Deutungsangebote machte. Es waren wenige Einzelpersonen, die sich für Afrika interessierten, eine sehr geringe Zahl in Soziologie, Ökonomie und Politikwissenschaft, eine etwas größere in der Ethnologie – und alle kannten sie sich gegenseitig. Wer sich als Student(in) der Politikwissenschaft mit dem Nachbarkontinent beschäftigen wollte, hatte in Westdeutschland gar nicht sehr viel Auswahlmöglichkeit. Ein großer Teil landete ganz natürlich bei ihm und damit im „Pferdestall“, dem Institut für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Wenn sie bei Rainer Tetzlaff dann auch promovierten, fanden sie nicht nur Sympathie für „ihre“ Themen, sondern einen sehr neugierigen und manchmal kameradschaftlichen Hochschullehrer. Hilfreich war bei dem Ausbau dieser auch von außen wahrnehmbaren Gruppe sicher, dass auch die Infrastruktur stimmte. Mit der Bibliothek, den Publikationsreihen und einer kleinen kritischen Masse an WissenschaftlerInnen am Institut für Afrikakunde (später GIGA Institut für Afrikastudien) gab es einen fruchtbaren Boden für das Ausbilden eines klaren Schwerpunkts zu Afrika in Hamburg. Rainer Tetzlaff war jahrelang in den Gremien des Instituts eine feste Größe. Hinzu kam Afrika-bezogene Forschung an der Universität (Geschichtswissenschaft, Geographie, Theologie, Sprachwissenschaften). Die ambivalente kolonialwirtschaftliche Vergangenheit der Hansestadt schuf aber sicher auch einen Referenzpunkt: fortbestehende Interessen einerseits, Kritik genau daran und Protestkultur andererseits.

Aus diesem Schatz an Kontakten zu eigentlich allen Personen, die in Deutschland sozialwissenschaftlich Afrikaforschung betrieben, zieht Rainer Tetzlaff auch noch in seinem Lehrbuch Profit – und damit auch dessen Leser. Es bedarf schon eines so breiten Zugangs, um auch ein breites Thema angehen zu können, aber auch der historischen Tiefe, um zurückgelegte Wegstrecke bewerten zu können.

„Afrika – Europas Nachbar“ lesen wir deshalb als eine Zwischenüberschrift in der Einleitung des Lehrbuchs. Hier macht Rainer Tetzlaff klar, dass ganz viele der gewachsenen Beziehungen der Kontinente miteinander schwierig sind. Dennoch: „Afrika gibt es nur im Plural“, um Rainer Tetzlaff zu zitieren. Nicht überall sitzen dessen Bewohner auf gepackten Koffern, um schnellstmöglich nach Europa auszuwandern. Nicht überall ist der Wettbewerb von Religionen so konfliktträchtig, wie wir es in Europa erlebt haben. Und natürlich sind auch die interkontinentalen Beziehungen zwischen Afrika und Europa komplex. Dennoch schreibt Rainer Tetzlaff in seinem historisch angelegten Kapitel über „fünf Phasen der afrikanischen Geschichte“ entlang der Einflussnahme aus Europa (Sklavenhandel, erste koloniale Penetration, dann die „richtige“ Kolonisation, Dekolonisation und postkoloniale Phase – das dürfte eine bei Historikern inzwischen nicht mehr unumstrittene Chronologie sein. Einige Zugänge im Lehrbuch sind klar entwicklungspolitisch geprägt, das heißt fast immer: hier könnte (müsste?) auch von außen etwas bewegt werden. Aber dann finden sich auch die Abschnitte, wo die Verantwortung bei afrikanischen Regierungen gesucht und gefunden wird, so z.B. im Abschnitt „Simbabwe – selbstinszenierter Staatsterror“. Das Buch bietet also auch Angriffsflächen. Wie könnte es anders sein bei einem Lehrbuch, das doch auch nur Themenkomplexe anreißen kann? Dafür bietet das Buch aber eben auch weiterführende Literaturhinweise, gleich zu Beginn und dann in einem ausführlichen Verzeichnis, das viele wichtige Beiträge bewusst in deutscher Sprache umfasst.

Rainer Tetzlaff hat sich in einigen seiner frühen Beiträge mit Ghana beschäftigt, mit Dekolonisation und mit dem Scheitern des sozialistischen Panafrikanisten Nkrumah. In seinem Lehrbuch finden sich zwei längere Abschnitte: einmal zum Kampf um politische Unabhängigkeit und dann noch zum Weg zur konsolidierten Demokratie. Wer heute regelmäßig nach Ghana fährt, wird schnell erfahren, dass die Geschichte hier nicht endet: die Auswirkungen einer zunehmenden Gentrifizierung der Stadtgesellschaft, schleichende Vergiftung durch Müll einerseits, aber auch steigende internationale Reputation und resoluter Kampf von vielen sozialen Kräften für eine bessere materielle Zukunft. Sollte es in nicht allzu ferner Zukunft eine Neuauflage geben, ist Rainer Tetzlaff zuzutrauen, dass er einen dritten Abschnitt zu Ghana schreibt… oder einen ganz anderen zu wieder einem anderen afrikanischen Land, das es ihm angetan hat.

Sicher kann ein solches Buch immer nur ein Einstieg sein, Vertiefungen bleiben den hoffentlich erst einmal zu weiterer Beschäftigung Angeregten überlassen. Für das Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg hat Rainer Tetzlaff jedenfalls einen Eckpfeiler sehr sichtbar hinterlassen: Africa matters.

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