Das Projektbüro Angewandte Sozialforschung

Das Projektbüro Angewandte Sozialforschung (kurz: Projektbüro) ist an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg angesiedelt und hat die Aufgabe, Wissenschaft und Gesellschaft miteinander zu verbinden. Es begreift sich als zentrale Institution für die praktische Methodenausbildung, auch im Fachgebiet Politikwissenschaft. Unser Beitrag stellt kurz die Geschichte des Projektbüros sowie seine unterschiedlichen Felder, Aufgabenbereiche und Ziele vor und präsentiert zentrale Projektformen und exemplarische Forschungsbeiträge. Im Netzwerk #UHHengagiert setzt sich das Projektbüro seit 2018 für einen stärkeren transferbezogenen Wissensaustausch zwischen Universität und Gesellschaft ein.

Carolin Klopitzke studiert Soziologie im Master an der Universität Hamburg und arbeitet seit September 2015 als studentische Hilfskraft im Projektbüro.


Knapp 10 Jahre existiert das Projektbüro mittlerweile – fast ein Jahrzehnt, in dem wir unsere Arbeit immer mehr professionalisieren und weiterentwickeln konnten. Im Jahr 2010 formulierten Professur Kai Uwe Schnapp (Professur für Politikwissenschaft, insbesondere Methoden) und Dr. Roland Willner (damals auch an der Professur Politikwissenschaft, insbesondere Methoden) die lose Idee, das sozialwissenschaftliche Studium um einen methodischen Praxisbezug zu bereichern. Hieraus entstand eine Institution mit festen Strukturen und Organisationseinheiten, deren Ansätze immer größere Anerkennung im hochschulpolitischen Diskurs finden. Die Geschäftsstelle des Projektbüros startete damals mit nur einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, später auch unterstützt von einer studentischen Hilfskraft, wurde dann von 2015 bis 2017 von vier Studierenden getragen und ist seit August 2017 wieder unter Führung einer, seit November 2018 sogar unter zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen.

Personell wird das Projektbüro momentan getragen und unterstützt von einer wissenschaftlichen Leitung, zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, sowie drei studentischen Hilfskräften. Darüber hinaus stellen wir in regelmäßigen Abständen auch Praktikant*innen für die Arbeit in der Geschäftsstelle ein. Zusätzlich verfügt das Projektbüro über einen Beirat, der sich halbjährlich trifft und ein Forum zur Reflexion strategischer Entscheidungen bietet. Diesem gehören aktuell fünf Mitglieder aus den Bereichen Wissenschaft, dem öffentlichen Dienst und der freien Wirtschaft an.

Das Projektbüro widmet sich dem Grundsatz „Wissenschaft im Dienst der Gesellschaft“, indem es Fragestellungen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in den Alltag von Studierenden und Forschenden der Universität Hamburg integriert und so einen regelmäßigen Austausch zwischen der Universität Hamburg und Akteur*innen der Hamburger Stadtgesellschaft ermöglicht. Studierende wie Forschende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften stehen dabei im Zentrum unserer Arbeit. Durch ihre Mitarbeit in Forschungsprojekten, beispielsweise im Seminarkontext, aber auch außerhalb dessen, zum Beispiel im Rahmen von bezahlten Auftragsforschungen, können Studierende sich bereits früh in ihrem Studium mit konkreten Herausforderungen der gesellschaftlichen Praxis auseinandersetzen und erfahren, welchen Beitrag sozialwissenschaftliches Wissen im politischen und gesellschaftlichen Leben leisten kann. Gleichzeitig sammeln sie wertvolle Erfahrungen mit Anwendungsbezug und leisten einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Allgemeinwohl.

Entgegen vieler Erwartungen besteht unsere Arbeit in der Geschäftsstelle nicht darin, selbst ins Feld zu gehen, Daten zu erheben oder diese auszuwerten. Vielmehr sorgen wir dafür, dass eben jene Forschungsprozesse erst einmal angestoßen werden: Wir suchen nach spannenden Projekten, initiieren Kooperationen mit Vertreter*innen der Hamburger Stadtgesellschaft und vermitteln sie dann in unterschiedlichen Formaten an interessierte Studierende und Forschende. In diesem Zusammenhang übernehmen wir klassische Projektmanagementaufgaben (und vielleicht auch ein wenig mehr). Zum Beispiel unterstützen wir Kooperationspartner*innen bei der Konkretisierung von Forschungsfragen, kalkulieren Kosten für aktuelle Projektanfragen, verfassen Forschungsdesigns, schreiben Projektstellen aus, finden geeignetes Projektpersonal, schließen Personal- und Projektverträge ab, stellen Materialien und Infrastrukturen zur Verfügung, etc. – kurz: wir organisieren, koordinieren und begleiten den gesamten Forschungsprozess fachlich von A bis Z.

In Anlehnung an die Bedarfe der Kooperationspartner*innen, gliedern wir unsere Tätigkeiten im Wesentlichen in zwei Bereiche: Dienstleistungsprojekte und Lehrprojekte.

Bei Dienstleistungsprojekten handelt es sich um finanzierte Auftragsforschungen, die in der Regel gemeinsam von erfahrenen Wissenschaftler*innen und Studierenden durchgeführt werden. Von der Zusammenstellung des Forschungsteams profitieren alle Beteiligten: Studierende können ihre Kenntnisse anwenden und erhalten tiefe Einblicke in die Praxis projektbezogener Sozialforschung, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen können ihre Führungskompetenzen ausbauen sowie ihr Netzwerk erweitern, während die Auftraggeber*innen hochqualifizierte Ergebnisse unter wissenschaftlichen Gütekriterien erhalten. Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die in diesen Projekten tätig sind, werden entweder im Rahmen einer Anstellung als Hilfskraft oder per Werkvertrag für ihre Tätigkeit bezahlt. Darüber hinaus haben Studierende die Möglichkeit, Daten aus Dienstleistungsprojekten für ihre Haus- und Abschlussarbeiten zu verwenden, sofern dies von den Projektpartner*innen im Einzelnen erlaubt wird. So hat sich zum Beispiel eine Bachelorarbeit im Jahr 2015 methodenkritisch mit den erhobenen Daten des Projekts „Zusammenleben in Hamburg“ von 2013/14 auseinandergesetzt. Diese Studie, in der es um die Wahrnehmung des alltäglichen Zusammenlebens der Hamburger Bevölkerung ging, wird weiter unten näher vorgestellt.

Lehrprojekte hingegen finden meist im Rahmen von Lehrveranstaltungen statt und werden in Zusammenarbeit mit dem/der Praxispartner*in unentgeltlich durchgeführt. Dadurch können auch Forschungsanliegen von interessierten Kooperationspartner*innen berücksichtigt werden, die nicht über die Ressourcen für eine vollfinanzierte Forschung verfügen. Dabei bieten wir Studierenden ebenfalls die Möglichkeit, im Rahmen eines Kooperationsprojektes ihre Abschlussarbeit zu verfassen oder ein Forschungspraktikum durchzuführen. Der Großteil der Lehrprojekte findet jedoch innerhalb der universitären Lehre statt. Dazu zählen Formate wie der „Grundkurs Methoden der empirischen Sozialforschung“ oder das Seminar „In und mit der Hamburger Zivilgesellschaft sozialwissenschaftlich forschen“. Studierende nehmen hier das Forschungsanliegen selbst in die Hand, entwickeln passende Erhebungsinstrumente, führen die Erhebungen durch, werten die Daten aus und bereiten ihre Ergebnisse in einem Projektbericht auf. Während des gesamten Prozesses werden sie von Dozierenden und Tutor*innen des Seminars angeleitet und betreut.

Im Rahmen unserer langjährigen Arbeit sind eine Reihe von interessanten Projekten und Publikationen entstanden, von denen hier einige exemplarisch kurz dargestellt werden.

Das Dienstleistungsprojekt „Zusammenleben in Hamburg“ wurde im Auftrag der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) im Jahr 2013/14 durchgeführt. Hauptgegenstand der Studie war die Frage, wie Hamburger*innen unterschiedlicher Herkunft ihr Zusammenleben gestalten und wahrnehmen, um das Zusammenleben und den Zusammenhalt in Hamburg nachhaltig zu fördern. Zunächst haben wir in einem Vorgespräch mit der BASFI die Inhalte und Ausgestaltung der Bevölkerungsumfrage erarbeitet und ein Forschungsdesign für die Umsetzung des Forschungsan­liegens verfasst, das neben der methodischen Vorgehensweise einen Zeitplan und eine Kostenkalkulation beinhaltete. Nachdem wir den Vertragsschluss zwischen der UHH und der BASFI koordinierten, stellten wir ein Team aus drei wissenschaftlichen Mitarbeitenden und drei Studierenden zusammen. Diese entwarfen auf Basis vorangegangener Studien einen standardisierten Fragebogen, der in weiteren Gesprächen mit der Auftraggeberin angepasst und finalisiert wurde. Die Erhebung erfolgte durch das WiSo-Forschungslabor und fand telefonisch und in persönlichen Interviews mit Personen unterschiedlicher kultureller Hintergründe statt. Die Aufbereitung und Auswertung der Daten, die abschließende Verschriftlichung sowie die Präsentation der Ergebnisse wurde wiederum vom Projektteam durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie wiesen auf ein positives Bild des Zusammenlebens hin: Von den 1021 Befragten waren 90% der Ansicht, dass Deutsche und Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Stadtteil gut miteinander auskommen, 94% begrüßten es, wenn in ihrem Stadtteil Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben. Andererseits zeigen die Ergebnisse auch, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund in Ham­burg im Kon­takt mit den Be­hör­den, bei der Woh­nungs­su­che, in der Schu­le und Aus­bil­dung, bei der Re­li­gi­ons­aus­übung, bei der Ar­beits­platz­su­che und am Ar­beits­platz deut­lich häu­fi­ger be­nach­tei­ligt füh­len. Die Ergebnisse der Studie gaben der BASFI Anlass für neue Handlungsansätze und Schwerpunktsetzungen in ihrer Arbeit.[1]

Ein Beispiel für ein Lehrprojekt ist das Kooperationsprojekt im Rahmen des Grundkurs Methoden 2018 mit dem Partner BIQ – Bürgerengagement für Wohn-Pflege-Formen im Quartier. Vor dem Start des Grundkurses übernahmen wir die Akquise der Kooperationspartner*innen, unterstützten diese bei der Formulierung einer geeigneten Forschungsfrage und vermittelten sie an die Dozierenden der Seminare. Darüber hinaus erstellten wir für jedes Projekt eine Kooperationsvereinbarung, in der die Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Projektpartner*innen schriftlich festgehalten wurde.

Der Projektpartner BIQ verfolgt das Ziel, die Mitbestimmung von Senior*innen in Seniorenheimen und Bewohner*innen in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung zu stärken. Dafür bildet es freiwillige engagierte Bürger*innen zu Ombudspersonen aus, also Personen, die als unabhängige Berater*innen im Bewohner*innenbeirat einer Wohneinrichtung tätig sind. BIQ interessierte sich für die Frage, weshalb Hamburger Wohneinrichtungen das Angebot einer geschulten Ombudsperson häufig nicht in Anspruch nehmen. Nachdem eine Vertretung des Vereins das Forschungsinteresse in der Auftaktveranstaltung des Kurses vorstellte, fanden sich drei Gruppen aus 13 Studierenden zusammen, die sich dem Anliegen des Vereins widmeten und daraus eine geeignete Forschungsfrage konzipierten. Fünf Studierende beschäftigten sich dabei mit der Leitungsebene der Seniorenheime. Als Erhebungsinstrument wählten sie ein qualitatives Leitfadeninterview und führten insgesamt vier Interviews. Nach der Datenaufbereitung und -analyse verschriftlichten sie die Ergebnisse in einem ca. 30-seitigen Projektbericht, dem eine Kurzusammenfassung der zentralen Erkenntnisse (Executive Summary) vorangestellt war. Sie fanden heraus, dass die Nicht-Inanspruchnahme des Angebots von BIQ zwei Gründe hatte. Einerseits war einem Teil der Einrichtungen das Angebot nicht bekannt. Andererseits arbeitete viele bereits mit Ombudspersonen, die jedoch auf anderen Wegen in die Institutionen gekommen sind. Die Nichtinanspruchnahme von BIQ bedeutete also nicht, dass keine Ombudspersonen aktiv sind, sondern dass auch andere Rekrutierungswege gefunden wurden. Beendet wurde das Projekt mit einem Abschlusstreffen, in dem die zentralen Ergebnisse der Forschung und die daraus entstandenen Handlungsempfehlungen erläutert und diskutiert wurden. Die gemeinsamen Schlussfolgerungen waren, dass BIQ einerseits noch besser für seine Bekanntheit sorgen sollte, und dass es sich andererseits lohnt zu prüfen, ob und wie mit Ombudspersonen, die nicht über BIQ rekrutiert wurden, zusammengearbeitet werden kann. Sichtbar ist, dass BIQ sich der Handlungsempfehlungen bereits angenommen hat, beispielsweise durch eine überarbeitete Internetseite, die unabhängig von den Trägern STATTBAU HAMBURG und Alzheimer Gesellschaft Hamburg e.V. informiert und wirbt.

Wie sich an den angeführten Beispielen zeigt, sind wir als Projektbüro in unterschiedlichen Bereichen aktiv, um einen partnerschaftlichen Austausch zwischen Studierenden und Forschenden mit Akteur*innen aus der Hamburger Stadtgesellschaft zu initiieren. Dieses Ziel verfolgen wir auch mit unserer Mitgliedschaft im fakultätsübergreifenden Zusammenschluss #UHHengagiert – Netzwerk für forschendes Lernen und soziale Verantwortung. Dieses haben wir 2018 zusammen mit anderen Einrichtungen und Projekten gegründet, die ebenfalls die Idee verfolgen, Anwendungsbezug und forschendes Lernen zu verbinden und gleichzeitig die Wahrnehmung sozialer Verantwortung zu stärken. Dahinter steht die Mission, eine zivilgesellschaftliche Orientierung in der Ausbildung der Studierenden und im Denken der Lehrenden breiter an der Universität Hamburg zu verankern. Das Netzwerk fordert und fördert die Entwicklung einer Lehr- und Lernkultur, für die sowohl Anwendungsbezüge, als auch eine Orientierung am Wissensaustausch zwischen Universität und Stadt sowie Engagementförderung selbstverständliche Bestandteile des universitären Studiums sind. Dabei wollen wir auch Praxis- und transferbezogene Lehrformate unter Zuhilfenahme von Forschungsansätzen wie community based research oder service learning etablieren, die den wissenschaftlichen Anspruch ernst nehmen, forschungsorientiert gestaltet sind und zur Ausbildung einer forschenden Grundhaltung im Laufe des Studiums beitragen. Als Teil des Netzwerks mit vielen Gleichgesinnten erhoffen wir uns, unsere Ideen noch stärker an der Universität Hamburg zu verankern. Unsere eigenen dargestellten Projekte zeigen jedoch auch eine starke Entwicklung des Projektbüros als eigenständige Institution, die längst noch nicht abgeschlossen ist, denn „nach dem Projekt ist vor dem Projekt“. So wollen wir weiterhin unseren Bekanntheitsgrad erhöhen, um noch mehr Studierende, Lehrende und Kooperationspartner*innen von unserer Idee zu begeistern.


[1] Behrendt, Katrin; Schaefer-Rolffs, Adrian; Schnapp, Kai-Uwe; Abu Elian, Magdalena; van Dülmen, Christoph; Baruth, Stephanie (2014): Zusammenleben in Hamburg. Hamburg: Universität Hamburg. Hier online verfügbar.

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