„Als Frau in der Wissenschaft bin ich doppelt benachteiligt“ – Ein Interview mit Maren Hofius

Dr. Maren Hofius ist seit April 2009 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Politikwissenschaft am Lehrstuhl von Prof. Antje Wiener an der Universität Hamburg. Nach ihrem BA 2007 in Maastricht und ihrem MA 2009 in Bath kam sie für ihre Promotion an die UHH.

Nina Wolff studiert Politikwissenschaft im BA im 5. Semester. Ihr Interview mit Maren Hofius entstammt dem Seminar „Einführung in journalistisches Schreiben“ bei Prof. Volker Lilienthal.


Maren Hofius (MH) bringt generell gute Startbedingungen für eine aufstrebende Wissenschaftlerin mit, denn zum einen schloss sie als ihre Studiengänge als eine der leistungsstärksten Studierenden ab, zum anderen studierte die heute 35-Jährige an verschiedenen Standorten im Ausland. Warum Hofius trotzdem Probleme hat, welche Hürden ihr trotz der guten Ausbildung in ihrer Karriere begegneten und wie das mit ihrer Rolle als Frau in der Wissenschaft zusammenhängt, verrät sie Nina Wolff (NW) im Interview.

NW: Welche allgemeinen Probleme in der Wissenschaft sehen Sie?

MH: Vor allem innerhalb Deutschlands ist die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses durch die stark befristeten Stellen sehr prekär. Es gibt sozusagen einen Flaschenhals: Das bedeutet, dass es nur wenige Möglichkeiten des Aufstieges gibt, denn je höher eine Wissenschaftlerin in der Karriereleiter steigt, desto weniger Stellen gibt es. Das führt zu einem sehr hohen Konkurrenzkampf um diese Jobs. Darüber hinaus sind wir für teilweise sehr kurze Vertragslaufzeiten befristet eingestellt. Diese Verträge werden nur teilweise verlängert. Meist arbeitet man als Promovierende in der Politikwissenschaft auf einer halben Stelle. Somit verdienen wir, verglichen mit anderen Absolvent*innen, über mehrere Jahre viel weniger.

NW: Mit welchen Hürden sind speziell Frauen im alltäglichen Berufsleben in der Wissenschaft konfrontiert?

MH: Frauen stehen – genauso wie Männer – nicht nur der Problematik eines sehr stark hierarchisch aufgebauten Wissenschaftssystems gegenüber, sondern sind zudem auch noch mit der privaten Entscheidung, eine Familie zu gründen, als Hürde innerhalb des Berufes konfrontiert. Diese beiden Faktoren haben auch mich in meiner „linearen“ Karrierelaufbahn extrem eingeschränkt und werden dies auch noch in Zukunft tun. Somit würde ich sagen, dass ich als Frau in der Wissenschaft doppelt benachteiligt bin.

NW: Inwiefern lässt sich diese doppelte Benachteiligung der Wissenschaftlerinnen im Berufsalltag wiederfinden?

MH: Es geht dabei weniger um formal institutionalisierte Gleichstellungsprogramme, sondern mehr um sozial stark verankerte Normen und Praktiken innerhalb der Wissenschaft. Mein alltägliches Berufsleben als Frau ist nicht nur von meiner Arbeit beeinflusst, sondern auch von meinem Privatleben, welches mir auch Einschränkungen bezüglich des Auslebens meines Berufes beschert. Meine Identität als Frau, meine Rolle als Mutter oder Partnerin ist immer ein Faktor in der Art und Weise, wie ich meine Arbeit auslebe, denn „the personal is always political“.

Dies bedeutet, dass das, was mir im Privaten widerfährt oder wie ich meine eigene Arbeit vollziehen kann, immer durch die gesellschaftlichen strukturellen Normen und damit auch von starker Diskriminierung und Benachteiligung geprägt ist. Vor allem sind davon Mütter betroffen, denn bei ihnen kommt es immer auf die Unterstützung im privaten Umfeld oder auf Angebote wie Kinderbetreuung an. Dementsprechend hat die Art und Weise, wie stark ich unterstützt werde, Konsequenzen auf die Durchführung meiner Arbeit. Die Differenzierung Mann oder Frau ist nicht nur im Privaten stark ausschlaggebend dafür, wie viel Zeit eine Mutter mit ihrem Kind verbringt oder wie viel ihrer Freizeit sie der Arbeit widmen kann. Es ist extrem, wie die „mental loads“ sich auf die verfügbare Zeit für den Beruf auswirken.

NW: Können Sie das verdeutlichen?

MH: Es wird nicht nur erwartet, sondern es ist eine Tatsache, dass Wissenschaftler*innen in ihrer Qualifikationsphase mehr als die vorgegebenen 39 Stunden in der Woche arbeiten. Somit kommen laut einer Studie durchschnittlich 12 Überstunden zusammen – mit der zusätzlichen Erwartung, dass die Wissenschaftler*innen sich innerhalb der Community durch Workshops und Konferenzen vernetzen. Das kann eine Frau, die auch Mutter ist, nicht unbedingt immer erfüllen. Eine allein­stehende und kinderlose Person kann möglicherweise abends oder an Wochenenden noch über diese 40 Stunden hinweg arbeiten, bei einer Mutter jedoch wird dies durch die Familie erheblich limitiert.

Die Erklärung dafür liegt eben auch bei den vorhin genannten „mental loads“, welche zwar meist unsichtbar sind, einen allerdings konstant mental beschäftigen. Denn so überlege ich in meiner Rolle als Mutter durchgehend, was im Privaten noch alles erledigt werden muss, wie beispielsweise die Betreuung fürs Kind zu organisieren oder das Geschenk für den nächsten Kindergeburtstag zu kaufen. Ich werde davon mehr als mein Partner in Beschlag genommen, wodurch ich folglich auch weniger Zeit habe. Hinzu kommt, dass mit steigendem akademischen Alter, die Chancen­gerech­tigkeit oder auch Chancengleichheit von Männern und Frauen abnimmt. Habe ich zusätzlich auch noch ein Kind, wird dies dadurch noch weiter verstärkt und es kommt zu einer noch größeren Ungleichheit. In den Spitzenpositionen der Wissenschaft sinkt der Frauenanteil stetig, obwohl es Gleichstellungsmaßnahmen gibt.

NW: Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit diesen Hindernissen für Frauen?

MH: Diese Prekarität findet sich auch in meinem Lebenslauf wieder, womit ich ein klassisches Bild einer Nachwuchswissenschaftlerin abgebe. Trotz meiner guten Startbedingungen und dem Fakt, dass ich mein Studium in der Regelstudienzeit absolviert habe, hatte ich mit einigen Hürden zu kämpfen. Ich habe meine Promotion 2009 begonnen, auf einer wissenschaftlichen Mitarbeitsstelle von 50 Prozent. Weil ich aber dafür länger als vorgegeben gebraucht habe, wurde mein befristeter Vertrag 2015 nicht verlängert. Dadurch wurde ich einige Monate arbeitslos und musste in der Zeit meine Promotion zu Ende schreiben, um überhaupt wieder eingestellt werden zu können.

Der Grund dafür liegt beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das besagt, dass die Dauer von sechs Jahren bei einer Promotion beziehungsweise zusammen mit der Habilitation zwölf Jahre nicht überschritten werden darf, sofern Wissenschaftler*innen danach an einer deutschen Hochschule arbeiten möchten. Dies ist nämlich bei einer Überschreitung der vorgegebenen Frist nie mehr möglich. Hinzu kam, dass ich in dieser Phase meiner Karriere schwanger wurde und mir nicht sicher sein konnte, in solch einer Situation eingestellt zu werden, da nicht alle Vorgesetzten gerne Frauen mit Kindern bei sich am Lehrstuhl arbeiten lassen. Dank Antje Wiener bin ich trotz meiner Schwangerschaft eingestellt worden und seitdem auch wieder an der UHH tätig. Allerdings befinde mich immer noch unter einem großen zeitlichen Druck, zu publizieren, zu habilitieren und gleichzeitig meiner Rolle als Mutter gerecht zu werden.

NW: In welcher Form ist Ihnen bisher Diskriminierung aufgrund Ihres Geschlechts begegnet?

MH: Direkte Diskriminierungen wie beispielsweise sexuelle Misshandlung sind mir nie widerfahren. Stattdessen habe ich immer einen sehr guten Umgang erlebt, weshalb ich möglicherweise eine sehr privilegierte Position habe. Jedoch habe ich einige indirekte, teilweise unsichtbare Diskriminierungen erfahren. Die noch sehr stark verankerten, latenten Praktiken kommen insbesondere beim „Co-Teaching“ zutage, wenn Mann und Frau gemeinsam unterrichten. Hierbei fällt mir auf, dass die Autorität der Frau seitens der Studierenden weniger anerkannt ist als die des Mannes.

Ein unterstützendes Beispiel ist das sogenannte „Mansplaining“. Das bedeutet, dass Männer generell dazu tendieren, Frauen ins Wort zu fallen und ihnen die Welt zu erklären. Interessanter­weise ist das auch im wissenschaftlichen Diskurs und in der Lehre der Fall. Hier nehmen Männer entweder die Aussagen der Frauen überhaupt nicht wahr und gehen darüber hinweg oder sie nehmen keinen Bezug auf diese Äußerung und stellen es als ihre eigene Idee dar. Dies passiert weit verbreitet sowohl im gesprochenen als auch im geschriebenen Wort, wie bei Zeitschriftenbeiträgen, wo Männer sich gegenseitig eher zitieren als Frauen. Das ist wissenschaftlich belegt und als „gender citation gap“ bekannt. Dadurch werden Frauen dementsprechend weniger referenziert oder ihre Äußerungen nicht als die ursprünglichen wahrge­nommen.  Das untergräbt definitiv die Autorität einer Frau als Wissenschaftlerin.

Und nicht zu vergessen ist ein kritisches Selbsthinterfragen der Frauen, denn auch wir tendieren als Spiegel unserer Gesellschaft dazu, die Aussagen von Männern stärker wertzuschätzen als die von Frauen. Das kann zum Beispiel auch in Bewerbungs- oder Berufungskommissionen passieren. Selbst Frauen sind dann der Meinung, dass eine Person ihres Geschlechts weniger geeignet ist als ein Mann, der sich auf eine Stelle beworben hat. Frauen setzen also selbst unterschiedliche Standards an Frauen und Männer.

NW: Sehen Sie seit Ihren zehn Jahren Tätigkeit im wissenschaftlichen Bereich Veränderungen bezüglich der Situation von Frauen?

MH: Ja, sowohl diskursiv als auch institutionell-formell bemerke ich positive Veränderungen, aber dennoch gibt es weiterhin einige Hürden. Diskursiv verändert hat sich, dass sich die Problematik der Prekarität des wissenschaftlichen Nachwuchses und der wissenschaftlichen Frau enorm verbreitet hat. Diese Prekarität ist in der Gesellschaft extrem präsent geworden, wodurch auch der politische Diskurs beeinflusst wurde. Ich glaube, dass gerade wegen des Diskurses die ganzen Fördermöglich­keiten und Gleichstellungsmaßnahmen seit Anfang der 2010er verstärkt eingeführt wurden. Es wird seitdem öffentlich viel stärker wahrgenommen, dass wir befristet arbeiten und Frauen weiterhin strukturell benachteiligt sind. Dadurch haben wir in der Wissenschaft oder in der Hochschule die Möglichkeit bekommen, über unsere Erfahrungen und unsere eigene Situation zu sprechen. Folglich konnten auch einige Maßnahmen durchgesetzt werden.

NW: Welche Beispiele können Sie da nennen?

MH: Es gibt hier an der Universität neben zahlreichen Förderprogrammen auch die Vorgabe, dass bei Stellenausschreibungen bei gleicher Qualifikation der Geschlechter bevorzugt Frauen eingestellt werden sollen. Es gibt diverse Workshops zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wo die Soft Skills der Frauen gefördert und sie ermutigt werden, Netzwerke untereinander zu etablieren, um eben diesen ganzen „old boys networks“ entgegenzutreten. Dazu werden Gleichstellungspreise verliehen, mit denen beispielsweise Forschungsprojekte zu Gender-Mainstreaming honoriert werden.

NW: Wenn es so viele Maßnahmen zur Förderungen von Frauen gibt, warum ist die Benachteiligung in der Wissenschaft trotzdem immer noch aktuell?

MH: Ich frage mich manchmal, wie ich als Frau in der Wissenschaft überhaupt die Zeit dafür finden soll, mich an all diesen Workshops zu beteiligen. Ich bin in der sogenannten Rushhour des Lebens, denn einerseits versuche ich meine Karriere zu verfolgen, und andererseits versuche ich für meine Familie da zu sein. Meine Zeit ist also so eng getaktet, dass ich die ganzen Möglichkeiten und Maßnahmen, die uns jetzt zur Verfügung gestellt werden, gar nicht in Anspruch nehmen kann. Also da beißt sich die Katze in den Schwanz. Die institutionellen Maßnahmen thematisieren sozusagen unsere Probleme oder unsere Stellung als Frau, jedoch greifen sie gleichzeitig zu kurz: Die strukturellen Normen, dass Männer immer noch höher gewertet werden als Frauen, werden durch solche Maßnahmen überhaupt nicht angegriffen.

NW: Welche Veränderungen wünschen Sie sich für die Zukunft?

MH: Der Slogan „The personal is always political“ ist mir ganz wichtig, denn die Arbeitswelt ist vom Privaten untrennbar sowie von gesellschaftlichen Strukturen durchdrungen. Als Frauen leisten wir in der Regel im Privaten mehr als Männer, weshalb wir anfangen müssen, Anekdoten aus unserem privaten Alltag in die Öffentlichkeit zu tragen. Diese dürfen aber nicht als lächerlich abgetan werden, sondern sie müssen Teil des Diskurses werden. Wenn wir die unsichtbaren Strukturen offenbaren und auch eine kulturelle Veränderung antreiben wollen, müssen wir anfangen, das Tabu des Privaten aufzubrechen. Denn es hilft nicht, die Frauen innerhalb der Arbeitswelt gleichzustellen, wenn sie im gesellschaftlichen Kontext oder vor allem im Privaten nicht gleichgestellt sind.

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