Anton F. Guhl & Malte Habscheidt: Die wundersame Planungsgeschichte des zweiten Philosophenturms der Universität Hamburg

Am 1. April 1975 war es endlich soweit: Rund zwölf Jahre, nachdem mit dem „Philosophenturm“ das bis dahin größte Gebäude der Universität eingeweiht worden war, konnte mit dem „zweiten Philosophenturm“ der drängende Raummangel der Universität endgültig behoben werden. Wissenschaftssenator Ulrich Karpen (CDU) betonte bei der festlichen Einweihung des Verfügungsgebäudes V (umgangssprachlich: Philo II), dass nun die Geisteswissenschaften in Hamburg zukunftsfähig gemacht worden seien.

Anton F. Guhl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Karlsruher Institut für Technologie, 2015 wurde ihm der Berenberg-Preis für Wissenschaftssprache verliehen. Seine Hamburger Dissertation über die Entnazifizierung der dortigen Universität wurde 2017 mit dem Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik ausgezeichnet; sie erscheint am 21. Mai 2019 im Wallstein Verlag.
Malte Habscheidt, M.A., Historiker und Journalist, ist Referent in der Öffentlichkeitsarbeit der Diakonie Hamburg. Er arbeitet an einer Dissertation zum Hamburger Universitätsgesetz von 1969. 2013 erschien der von ihm mitherausgegebene Band „Gelebte Universitätsgeschichte. Erträge jüngster Forschung. Eckart Krause zum 70. Geburtstag”, seit 2015 ist er gewähltes Vorstandsmitglied des Vereins für Hamburgische Geschichte.


In den 1960er und 1970er Jahren schufen zahlreiche Bauprojekte den heutigen Campus Von-Melle-Park (Staatsarchiv Hamburg, 720-1_344-31 = 04491, Lichtbildnerei der Baubehörde, CC-Lizenz, via archivportal-d.de).

Um das 14.000 Quadratmeter Nutzfläche bietende Gebäude zu ermöglichen, wurde eine bisher ungenutzte Brache bebaut, zudem musste eine ehemalige jüdische Schule abgerissen werden. Bei dem Projekt bewies die Stadt besonderes Planungsgeschick: Eine gleich zweigeschossige Tiefgarage unter dem Gebäude griff den Gedanken einer autogerechten Stadt vorbildlich auf. Bis heute sind Besucher von der entspannten Parkplatzsituation an der Universität angetan.

Das alles ist nicht passiert – April, April! Ulrich Karpen war nie Senator[1] die Talmud-Tora-Schule war zwar bedroht, steht aber noch, und für den Weg an die Universität ist die Wahl öffentlicher Verkehrsmittel ratsam. Vor allem aber gab es nie einen zweiten Philosophenturm…

Und doch – ein weiteres Gebäude für die Geisteswissenschaften war mehr als eine fixe Idee: Über fünfzehn Jahre diskutierten Universität, Politik und Presse einen möglichen Bau des sogenannten Verfügungsgebäudes V. Wie eine Fata Morgana taucht „Philo II“ über diesen Zeitraum immer wieder wie eine herbeigesehnte Oase inmitten des Platzmangels auf, ohne sich zu materialisieren. Die folgende Skizze zeigt: Auch die Geschichte eines nicht realisierten Projekts erlaubt konkrete Einblicke in tatsächliche historische Zusammenhänge. Schlaglichtartig sind dies hier: die Aufbruchsstimmung in Zeiten von „Bildungsboom“ und „Planungseuphorie“ in den langen 1960er Jahren, die Ernüchterung im Zeichen des wirtschaftlichen Abschwungs im Folgejahrzehnt sowie die Zielkonflikte zwischen einer wachsenden Universität „im Herzen der Stadt“ und einer zögerlichen Besinnung auf die Stadt(teil)geschichte.

Raumnot als Konstante

Die Bildungsexpansion ließ auch in Hamburg die Studentenzahlen in die Höhe schnellen. Waren noch 1950 etwa 5.000 Studierende an der Universität immatrikuliert, so waren es 1960 fast drei Mal so viele. Auch die Planstellen für wissenschaftliches Personal stiegen in diesem Zeitraum erheblich (von 436 auf 834), konnten aber nicht Schritt halten.[2] Allein diese Zahlen belegen den enormen Raumbedarf, ja die Raumnot, die von den Universitätsangehörigen in überfüllten Lehrveranstaltungen ganz körperlich empfunden werden konnte.

Der Hamburger Baudirektor Paul Seitz hatte geplant, auf einem neuen Campus, dem „Von-Melle-Park“, immerhin vier der sechs Fakultäten an einem Standort zu vereinen. Die Anfang der 1960er Jahre erreichte Realisierung dieses Projekts war jedoch aufgrund des raschen Anstiegs der Studierendenzahlen bereits bei der Vollendung überholt. Der „Philosophenturm“, der anfangs neben der Philosophischen auch noch die Evangelisch-Theologische Fakultät beherbergen konnte, wurde rasch zu klein und ein „zweiter Philosophenturm“ war die logische Folge einer den Seitz’schen Gedanken weiterführenden Planung.[3]

Doch waren die Geisteswissenschaftler nicht die einzigen, die unter einer „verheerenden Raumsituation“ litten – wie der Dekan der Philosophischen Fakultät Janpeter Kob im November 1969 an den noch amtierenden Rektor Werner Ehrlicher schrieb. Er habe von einem Kollegen gehört, dass auf der Fläche hinter dem Hochbunker im Grindelhof Behelfsbaracken für die Biologie und Zoologie errichtet werden sollten. Kob protestierte: Wegen der Raumnot könne es die Fakultät „unter keinen Umständen zulassen, daß die Errichtung des zweiten Philosophenturms durch eine zwischenzeitliche Bebauung des Geländes […] in irgendeiner Weise verzögert wird“.[4]

Zum Greifen nahe – der „zweite Philosophenturm“ wird fast gebaut und fest eingeplant

Obwohl das Bauvorhaben im Winter 1969 noch recht vage war, wurde der „zweite Philosophenturm“ hier bereits gegen konkurrierende Raumwünsche verteidigt. Die Planungen konkretisierten sich im Sommer 1970. Im Juli informierte der für Baufragen zuständige Vizepräsident der Universität Hansjörg Sinn im Akademischen Senat, dem höchsten Selbstverwaltungsgremium, über mehrere geplante Verfügungsgebäude, die ab 1971 gebaut werden und der Universität bis zu 50.000 Quadratmeter neue Nutzfläche bringen sollten.[5] Kurze Zeit später berichtete die „Welt“ im August 1970 über den „umfassenden Ausbau der Universität“.[6]

Die geplante massive bauliche Erweiterung der Hochschule ist zum einen zu sehen als Beispiel für die planerischen Machbarkeitsphantasien dieser Zeit, das passende Schlagwort ist die „mittelfristige Finanzplanung“ (kurz: Mifrifi), in die diese Neubauprojekte einsortiert wurden. Zum anderen waren die ehrgeizigen Bauvorhaben erst durch eine von der Großen Koalition 1969 beschlossene Grundgesetzänderung möglich: Bildung war nicht mehr allein Ländersache. Der Hochschulbau wurde als eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern definiert. Praktisch bedeutete dies, dass der Bund die Hälfte der Baukosten übernahm. Dass damit zugleich die Zuständigkeit für die Hochschulrahmengesetzgebung auf den Bund überging, sollte in den 1970er Jahren noch für starke Auseinandersetzungen sorgen. Aber das ist eine andere Geschichte…

Zurück zum „Philo II“: Bei einem Treffen zur Information der Fachbereichssprecher im März 1971 nannte Uni-Vizepräsident Sinn als geplanten Baubeginn Oktober 1971.[7] Angesichts der ambitionierten Planungsgeschwindigkeit wundert es nicht, dass die Sprecher der Fachbereiche, die Raumkonkurrenz gewohnt waren, nun bereits sehr konkret über die künftige Raumaufteilung verhandelten.

Auftritt der Fachbereichssprecher: Diskussion über die Raumverteilung des noch nicht gebauten zweiten Philturms (StA HH, 364-5 II Universität II, Abl. 1981/1, 03-10.12, Bd. 15, Protokoll der 53. Sitzung des Akademischen Senats am 18.3.1971, Information der Sprecher der Fachbereiche)

Zwischen Planungseuphorie und Kostenexplosion – der Baubeginn verzögert sich…

Während der zweite Philosophenturm vor den Augen der Professoren hier schon Gestalt annahm, rückte der geplante Baubeginn auf dem geduldigen Papier nach hinten: Eine von der Baubehörde gefertigte „Übersicht über den Stand der Bauvorhaben“ nannte im Mai 1971 – nur zwei Monate nach dem oben genannten Treffen – für den Neubau zwar noch immer erstaunlich konkrete Termine, die aber erstmalig verschoben wurden: Als voraussichtlicher Baubeginn galt nun der 15. Mai 1972, als Übergabetermin der 30. August 1973.

Ließ der inoffizielle Name „Philo II“ an ein Gebäude denken, das ausschließlich der Entlastung und Konzentration der geisteswissenschaftlichen Fächer dienen würde, setzten sich Universitätsverwaltung und Hochschulamt dafür ein, im Neubau auch die Verwaltung der Universität und der Fachhochschule zusammenzufassen (gedacht als Vorbote der damals diskutierten Gesamthochschule – aber das ist eine andere Geschichte). Von den im Frühjahr 1971 geplanten 14.000 Quadratmetern Nettonutzfläche waren so nur noch etwa 7.500 Quadratmeter für „philosophische“ Fächer vorgesehen.[8] So viel neuer Raum auf dem Campus weckte Begehrlichkeiten…

Ab dem Sommer 1971 kam das Projekt ins Stocken. Im Juli 1971 trafen sich Vertreter von Universität, Bau- und Wissenschaftsbehörde zu einem „inoffiziellen Meinungs- und Erfahrungsaustausch über die Bauprobleme der Universität“. Ungeklärt blieb die Frage, „ob alle angemeldeten Beträge für Bauten im Haushaltsplan 1972 enthalten sein werden“. Anderenfalls seien „Verzögerungen unabwendbar“.[9] Was sich hier andeutete, war im Dezember 1971 eindeutig: Es hakte an „finanzpolitischen Entscheidungen“.[10]

Auch im Hinblick auf Kostenentwicklungen bei aktuellen Großprojekten ist es nicht ohne Humor, dass sich Kostenexplosionen bereits auf dem Papier ergeben konnten: Die ursprünglich veranschlagten Gesamtkosten in Höhe von 31 Mio. DM waren angesichts der konjunkturellen Entwicklung nicht zu halten. Allein zwischen Mai 1970 und Februar 1971 lag die von der Baubehörde errechnete Kostensteigerung bei 12,4 Prozent.[11] Bereits 1972 ging man dort von Ausgaben von über 51 Mio. DM aus.[12]

Die Kosten steigen von Jahr zu Jahr: 1. Rahmenplan zum Ausbau der Hochschulen mit handschriftlichen Korrekturen (Ausschnitt; StA HH, 361-5 III Hochschulwesen III, Abl. 1990/3, 30.00-13.1, o. D. [vermutlich 8.7.1972], 1. Rahmenplan, Land: Hamburg).

Die explodierenden geplanten Kosten und knapper werdende Haushaltsmittel scheinen der Grund dafür zu sein, dass Anfang 1972 das Tempo aus der Planung genommen wurde: Der Baubeginn war nun auf 1975 verschoben.[13] Statt aber 1975 anzufangen, wurde erneut vertagt: Im Mai 1975 schien ein Baustart 1977 gefährdet, 1976 wurde geplant, 1978 zu beginnen.[14] Nun wurden bereits 60 Millionen DM veranschlagt. Zusammen mit dem konjunkturellen Abschwung der 1970er Jahre flaute auch die „Planungseuphorie“ ab. Der Bau des Philosophenturms II wurde von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher.[15]

Was sprach gegen „Philo II“ – die Rückkehr der verdrängten Vergangenheit?

Größere öffentliche Aufmerksamkeit erregte das Projekt erst ab 1974, als sich Gegner des Neubaus zu Wort meldeten. Spätestens jetzt war klar, dass die Fata Morgana eines zweiten Turms auch insofern ein Trugbild war, als es sich beim geplanten Gebäude nicht um ein Hochhaus handelte, sondern vielmehr um ein in die Breite ausgreifendes Bauwerk in Y-Form – das mit seinen acht Stockwerken plus zwei Untergeschossen am geplanten Standort die eine oder andere Sichtachse neu definiert hätte.

Geplante Lage des Y-förmigen “Verfügungsgebäudes V” am Grindelhof / Bornplatz – nördlich ist darunter der Grundriss der ehemaligen Talmud-Tora-Schule zu erkennen (Planungszeichnung, Februar 1971, HBfUG).

So gab es Bedenken wegen der Verschattung der Wohnhäuser im Grindelhof. Aus dem Bezirk kam sogar politischer Gegenwind von der Regierungspartei SPD, die sich an der Autofreundlichkeit der geplanten Tiefgarage störte, da sie ein erhöhtes Verkehrsaufkommen befürchtete.[16]

Erst nach der Planung für die Zukunft der Universität und ihrer Nachbarschaft wurde nach der Vergangenheit gefragt. Für das „Verfügungsgebäude V“ verplanten Universität und Behörde zwei zentrale Orte ehemaligen jüdischen Lebens in Hamburg, ohne dass dies zunächst größer aufgefallen oder problematisiert worden wäre: Neben dem Abriss des Gebäudes am Grindelhof 30, das von 1911 bis 1942 die jüdische Talmud-Tora-Schule beherbergt hatte, sollte der Grund bebaut werden, auf dem mit der Bornplatz-Synagoge das größte jüdische Gotteshaus Norddeutschlands gestanden hatte.[17]

Protest regte sich zunächst gegen den Abriss der Schule, die mittlerweile den Fachbereich Bibliothekswesen der Fachhochschule beherbergte.[18] Im Sommer 1975 kam es zur Krisensitzung zwischen den Spitzen von Bau- und Wissenschaftsbehörde sowie dem Universitätspräsidenten. Bausenator Rolf Bialas (FDP) hatte entschieden „daß nach reiflicher Überlegung seiner Behörde es nicht mehr zu vertreten sei, für das Verfügungsgebäude V die Thalmud-Thora-Schule am Grindelhof abzureißen“.[19]

Offenbar fragten Teilnehmer der Runde angesichts dieser Kehrtwende nach, denn Bialas „gab uneingeschränkt zu, daß die Baubehörde eine von dieser Auffassung abweichende Planung in den letzten 5 Jahren durchaus betrieben habe; die Baubehörde müsse aber seit ca. einem Jahr verstärkt damit rechnen, daß Planungen der Baubehörde einer verstärkten Kritik der Bevölkerung ausgesetzt seien.“ Der Universitätspräsident akzeptierte diese Entscheidung, unterstrich aber „die unabdingbare Notwendigkeit der angeforderten Flächen“ und bat die Baubehörde, „alle Möglichkeiten der Schaffung von 16.000 qm auf dem Grundstück am Grindelhof auszuloten“.

Dreißig Jahre nach Kriegsende, zudem in einem „runden“ Gedenkjahr, holte die Vergangenheit die Stadtplanung ein. Gleichwohl machte die Baubehörde die Grundsatzentscheidung eines Erhalts der Schule zunächst nicht publik. Erst im Juni 1977 schrieb das Hamburger Abendblatt: „Ursprünglich war beabsichtigt, den Komplex abzubrechen. Aus finanziellen Gründen, aber auch wegen der historischen Bedeutung des Baues hat der Senat nunmehr davon Abstand genommen.“[20]

Die „vorhandene Grundstücksfläche am Grindelhof“ spielte in den Planungen der Universität weiter eine Rolle – hier könnten „ohne Schwierigkeit“ 8.600 Quadratmeter neue Nutzfläche entstehen.[21] Als Wissenschaftssenator Klaus Michael Meyer-Abich 1985 – wieder ein „rundes“ Gedenkjahr – endgültig auf eine „Bebauung der Fläche für Hochschulzwecke“ verzichtete, äußerte Universitätspräsident Peter Fischer-Appelt sein „Bedauern und Befremden“ darüber, nicht konsultiert worden zu sein. Er bekräftigte fürs Protokoll: „Die in der Universität erarbeiteten Baupläne für den in Rede stehenden Bauplatz hätten stets eine verkehrsberuhigte Zone mit Einbeziehung eines Hinweises auf die ehemalige Synagoge und die Opfer des jüdischen Volkes vorgesehen.“[22]

Tatsächlich begann in der Mitte der 1980er Jahre das Gedenken einen Platz in der Universität zu finden – lange aber sah sich die Universität der „unbequemen Wahrheit“ nicht verpflichtet.[23] Zumindest in den Anfangsjahren der Planungen von „Philo II“ hat der historische Bezug keine Rolle gespielt. Erst am 9. November 1988 wurde auf dem Bornplatz-Gelände, das zuvor auch als Parkplatz gedient hatte, eine Gedenkanlage in Form eines Mosaiks von Grundriss und Dachkonstruktion der Bornplatzsynagoge installiert. Das Gebäude der Talmud-Tora-Schule ist 2004 der jüdischen Gemeinde zurückgegeben worden und beherbergt seit 2007 wieder eine jüdische Schule.

Warum nicht? Oder: Was wäre wenn? Oder: Das Ende der Planbarkeit?

Der „zweite Philosophenturm“ wurde nicht gebaut. Es war nicht die Geschichtsvergessenheit der Planer, die den Bau verhinderte: Sie wäre Voraussetzung dazu gewesen. Vielmehr erschwerten die steigenden antizipierten Kosten vor dem Hintergrund einer abgekühlten Konjunktur eine rasche Umsetzung, die schließlich auch Gegner fand.

In den Augen des Stadtplaners Michael Holtmann mutet der Plan des zweiten Philosophenturms „geradezu grotesk“ an,[24] auch wegen der erheblichen Verkehrsbelastung, die durch die 350 Stellplätze unterhalb des Gebäudes entstanden wären. Das eingangs gezeichnete Parklatz-Idyll wäre daher ebenso wenig Wirklichkeit geworden wie die vom Universitätspräsidenten angeführte verkehrsberuhigte Zone. Dagegen hätte die Stadt Hamburg wichtige Erinnerungsorte verloren.

Auf der anderen Seite litt die Universität Hamburg weiter an Raumnot, die auch heute brisante Züge trägt. Offenbar lässt sich diese weder mit kleinteiliger noch mit großrahmiger Planung allein lösen. Das größte Planungskonzept in der Geschichte der Universität – ihre Verlegung auf den Kleinen Grasbrook – scheiterte nicht zuletzt an der angeprangerten Geschichtslosigkeit des Vorhabens. So gilt nicht nur für räumliche Veränderungen an der Universität, dass gute Planung nur gelingen kann, wenn die historischen Bezüge des Ortes erkannt und angemessen gewürdigt werden. Der Ausgleich zwischen historisch gewordenem Baubestand und optimaler Flächenausnutzung durch neue Bauvorhaben muss immer wieder neu ausgelotet werden.

In den 1970er Jahren stand jedenfalls nicht nur die Talmud-Tora-Schule zur Disposition. Auch für einen Generationen von Universitätsmitgliedern wohlbekannten Ort, mittlerweile mit neuer Adresse, stellte sich nach Ansicht des Planungsstabes der Senatskanzlei die Frage, „ob das Altgebäude Von-Melle-Park 15 (sog. Pferdestall) mit hohem Aufwand noch einmal grundinstandgesetzt werden kann oder abgebrochen werden sollte“.[25] Bereits 1960 hatte der Schulsenator Heinrich Landahl gewusst, das „alte Seminargebäude wird im Zuge der weiteren Universitätsbauten fallen und neuen, besseren Gebäuden Platz machen müssen“.[26] Aber auch das ist eine andere Geschichte…


[1] Der Jurist Ulrich Karpen (CDU) war, ebenso wie der tatsächliche damalige Wissenschaftssenator Dieter Biallas (FDP) Professor an der Universität Hamburg. Für Anregungen und Quellenhinweise danken wir ganz ernsthaft Eckart Krause. Dieser Beitrag erschien zuerst am 1.4.2015 auf “Netz und Werk”

[2] Zahlen entnommen aus: Universität Hamburg: Universität Hamburg 1919-1969 [= Festschrift zum 50. Gründungstag der Universität Hamburg]. o. O. o. J. [Hamburg 1970], S. 344-347, S. 349.

[3] Vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, Baubehörde (Hg.): Die Neubauten der Universität Hamburg am Von-Melle-Park. Hamburg o. J. [1962].

[4] Staatsarchiv Hamburg (StA HH), 364-5 II Universität II, Abl. 1993/1, 91-72.9, Bd. 1, 17.11.1969, Janpeter Kob an Werner Ehrlicher.

[5] Die fünf ersten geplanten Verfügungsgebäude waren: 1. Sedanstraße (realisiert); 2. Grindelallee (realisiert), 3. Schröder-Stift (nicht realisiert), 4. „Wiwibunker“ (realisiert), 5. Philturm 2 (nicht realisiert).

[6] Die Welt, 13.8.1970: Senat plant einen umfassenden Ausbau der Universität.

[7] StA HH, 364-5 II Universität II, Abl. 1981/1, 03-10.12, Bd. 15, Protokoll der 53. Sitzung des Akademischen Senats am 18.3.1971.

[8] StA HH, 364-5 II Universität II, Abl. 1993/1, 91-72.9, Bd. 2, 18.2.1971, Vermerk des Senatsamts für den Verwaltungsdienst (Organisationsamt).

[9] StA HH, 361-5 III Hochschulwesen III, Abl. 1990/3, 30.00-13.1, 22.7.1971, Ergebnisnotiz zur Baubesprechung am 15.7.1971.

[10] StA HH, 361-5 III Hochschulwesen III, Abl. 1990/3, 30.00-13.1, Übersicht über den Stand der Planungs- bzw. Bauarbeiten (Stand 1.12.1971).

[11] StA HH, 364-5 II Universität II, Abl. 1993/1, 91-72.9, Bd. 2, 8.6.1971, Vermerk der Baubehörde.

[12] StA HH, 361-5 III Hochschulwesen III, Abl. 1990/3, 30.00-13.1, o. D. [vermutlich 8.7.1972], 1. Rahmenplan, Land: Hamburg [mit handschriftlichen Korrekturen].

[13] StA HH, 361-5 III Hochschulwesen III, Abl. 1990/3, 30.00-13.1, Übersicht über den Stand der Planungs- bzw. Bauarbeiten (Stand 1.2.1972).

[14] StA HH, 361-5 III Hochschulwesen III, Abl. 1990/3, 30.00-13.1, 7.5.1975, Baubehörde, Hochbauamt, Hans-Dietrich Gropp (Erster Baudirektor) an Hochschulamt; o.D., Ergebnisniederschrift zur Besprechung bei P/PV am 13.2.1976.

[15] Michael Holtmann unter Mitarbeit von Eckart Krause: Die Universität Hamburg in ihrer Stadt. Bauten, Orte und Visionen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als Manuskript gedruckt. 1. Aufl., korrigierter Nachdruck. Hamburg 2009, S. 137.

[16] Hamburger Abendblatt, 17.10.1974: Universitätsbau soll Tiefgarage erhalten. Die Eimsbütteler SPD ist dagegen.

[17] Ursula Wamser / Wilfried Weinke (Hg.): Eine verschwundene Welt. Jüdisches Leben am Grindel. Vollst. überarb. und erw. Neuausg. Springe 2006.

[18] Holtmann: Universität Hamburg, S. 133; vgl. auch Inga Czudnochowski-Pelz (Hg.): Talmud-Tora-Schule. Mehr als ein Gebäude.

[19] Hier und im Folgenden: StA HH, 364-5 II Universität II, Abl. 1993/1, 91-72.9, Bd. 5, 6.8.1975, Vermerk, Betr. Verfügungsgebäude V.

[20] Hamburger Abendblatt, 16.6.1977: Grindelhof 30 wird nicht abgerissen.

[21] Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte (HBfUG), Ordner Topographie 1, Universität – 4 –, Konzept: Darstellung der Raumsituation der Universität in kritischen Bereichen und Entwicklungsmodelle zur Deckung jetziger und künftiger Raumbedarfe, 30.7.1979 [30-seitiges Typoskript], S. 27f.

[22] StA HH, 364-5 II Universität II, Abl. 1981/1, 03-10.12, Protokoll der 53. Sitzung des Akademischen Senats am 7.2.1985.

[23] Eckart Krause: Auch der unbequemen Wahrheit verpflichtet. Der lange Weg der Universität Hamburg zur ihrer Geschichte im „Dritten Reich“. In: Das Gedächtnis der Stadt. Hamburg im Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Hg. von Peter Reichel (Schriften-reihe der Hamburgischen Kulturstiftung, Bd. 6). Hamburg 1997, S. 187-217 [wieder abgedruckt in Anton F. Guhl/Malte Habscheidt/ Alexandra Jaeger (Hg.): Gelebte Universitätsgeschichte. Erträge jüngster Forschung. Eckart Krause zum 70. Geburtstag (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Sonderband). Berlin/Hamburg 2013, S. 227-259.

[24] Holtmann: Universität Hamburg, S. 137.

[25] StA HH, 131-21, Senatskanzlei – Planungsstab, 2563, 12.7.1978, PL 31-1, Vermerk.

[26] HBfUG Ordner Gebäude – Campus VMP – Phil-Turm, o.Bl., Staatliche Pressestelle: Rede des Senators Heinrich Landahl zum Richtfest des Philosophenturms, 8.9.1960: „Aber schon höre ich, dass sentimentale Gefühle für das ,gute alte Seminargebäude am Bornplatz‘ laut werden. Bei allem Verständnis, das ich für solche Gefühle habe, will ich heute klar und eindeutig aussprechen, dass wir auf sie keine Rücksicht nehmen können, das gute alte Seminargebäude wird im Zuge der weiteren Universitätsbauten fallen und neuen, besseren Gebäuden Platz machen.“

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