Martha Muchow war eine der prägendsten Persönlichkeiten der ersten Jahre universitärer Arbeit in Hamburg. Insbesondere ihre pädagogische und psychologische Arbeit zu Kindheit und Jugend und die enge Verbindung von Forschung und praktischer Ausbildungstätigkeit zeichneten sie aus. 1933 wird sie – vor allem aufgrund ihrer langjährigen Mitarbeit am psychologischen Institut von William Stern – aus der Universität gedrängt. In diesem Fundstück erinnern wir an ein politisches Leben.
Martha Muchow wird 1892 in Hamburg geboren. Bereits mit 21 Jahren legt sie ihre Lehramtsprüfung ab und wird Lehrerin an einer höheren Mädchenschule, ab 1916 auch an der Hamburger Volkshochschule. Noch vor der Universitätsgründung im Jahr 1919 zieht es Muchow in höhere akademische Kreise, parallel zu ihrer Lehrtätigkeit lernt sie den damaligen Professor am Kolonialinstitut der Hansestadt William Stern kennen, wird seine freiwillige Mitarbeiterin und schärft so ihr Interesse für die Verbindung erziehungswissenschaftlicher und psychologischer Fragen. Mit Sterns Fokus auf die Frühentwicklung von Kindern finden die beiden schnell eine gemeinsame fachliche Sprache.
So ist es auch ein folgerichtiger Schritt, dass Muchow 1919 ein Studium an der nun gegründeten Gesamtuniversität antritt. Mit der Fächerkombination aus Psychologie, Philosophie, deutscher Philologie und Literaturgeschichte lernt sie bei Stern, hört aber auch Vorlesungen von Ernst Cassirer.
Noch während ihres Studiums wird Muchow dann offizielle „wissenschaftliche Hilfsarbeiterin“ bei Stern, 1923 promoviert sie mit einer Dissertation über die „Psychologie des Erziehers“.
Zentral bleibt für Muchow die Verbindung von praktischer pädagogischer Arbeit und der theoretisch forschenden Reflexion. In den 1920er-Jahren, dann als Mitarbeiterin am psychologischen Institut, führt sie immer wieder Projekte mit Schulen, dem Lehrerverein oder Jugendgruppen durch. Als das Institut dann auch die Ausbildung der Volksschullehrerinnen übernimmt, fällt diese Aufgabe Muchow zu.
In ihrer Forschung vertrat Muchow das in ihrer Zeit durchaus neue und nicht unumstrittene Paradigma der untrennbaren Verbindung des Menschen mit seiner sozialen Umwelt. Ihr Bruder Hans-Heinrich schrieb über ihr Hauptwerk Der Lebensraum des Großstadtkindes:
„Indem man das Verhältnis Person/Welt grundsätzlich neu durchdachte, trat immer deutlicher heraus, daß in der Beziehung Kind/Großstadt nicht die Welt der Großstadt erst durch nachträgliche Konvergenz mit der Person (des Kindes) in Beziehung tritt, sondern daß es sich bei der vom Großstadtkind ‚gelebten‘ wie überhaupt bei jeglicher ‚gelebten Welt‘ um ein eigentümliches, zwischen Person und Welt sich realisierendes Leben handelt.“
Mit dieser Hervorhebung der Gleichursprünglichkeit von Mensch und Umwelt, dem Fokus auf die konstitutive Relationalität von Persönlichkeit und Gesellschaft, betonte sie immer wieder den sozialen und immanent politischen Charakter von Erziehung, Bildung und Persönlichkeitsentwicklung.
1933 ändern sich auch für Muchow die Verhältnisse radikal. William Stern wird von der Universität vertrieben, als einzige verbliebene „Arierin“ am Institut soll sie nun die Geschäfte bis zur Übergabe an gleichgeschaltete Wissenschaftler übernehmen. Doch dann gerät auch sie schnell selbst in den Fokus der nationalsozialistischen Behörden, wird als „Judengenossin“ diffamiert und der Beteiligung am „marxistischen ‚Weltbund für Erneuerung der Erziehung'“ bezichtigt. Ihre Arbeit wird als „unheilvoll und einer deutschen Staatsauffassung direkt zuwiderlaufend“ kategorisiert.
So muss sie am 25. September 1933, an ihrem 41. Geburtstag, ebenfalls die Universität verlassen – vier Tage später, am 29. September 1933 begeht sie von den politischen wie persönlichen Entwicklungen der vorigen Monate gebrochen, Suizid.
Heute wird dem Leben und Wirken Martha Muchows vielfältig gedacht. Eine Stiftung erinnert etwa an ihre Pionierarbeit im pädagogisch-psychologischen Feld. An der Universität Hamburg ist beispielsweise die Bibliothek der Erziehungswissenschaftlichen und der Psychologischen und Bewegungswissenschaftlichen Fakultät nach ihr benannt, auf einer Grünfläche auf dem Campus ist eine große Wand mit einem eindrücklichen Zitat von Muchow geschmückt.
Text: David Weiß, Redaktion Politik 100×100