Die Hamburger Sozialwissenschaften gehören zu den wenigen Fachbereichen, deren Frauengeschichte in einer eigenen Fallstudie aufgearbeitet wurde. Der 2002 erschienene Sammelband »Festung Fachbereich?« analysiert die Institutionalisierung der Gleichstellungspolitik und den Partizipationsprozess von Frauen am bis 2000 bestehenden Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften. Er wirft ein Schlaglicht auf die Situation von Frauen am ehemaligen Institut für Politische Wissenschaft und ruft die kreativen Aktionen feministischer Gruppen in Erinnerung, wie etwa die 1987 veröffentlichte „Fällt-Studie“ über die weitgehende Abwesenheit von Frauen in der Lehre. Der Beitrag beschreibt, wie es zu dieser Aufarbeitung der Fachbereichsgeschichte kam und rezensiert Aufsätze des Sammelbands, die für die Politikwissenschaft relevant sind.
Pia Christoph studiert am Fachbereich im Masterstudiengang Politikwissenschaft.
Mit offenbar „nicht gerade überschwänglicher Resonanz am Fachbereich“[1] verlieh im Jahr 2000 die Frauenbeauftragte der Universität Hamburg dem Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften (FB 05) bzw. seinen Wissenschaftlerinnen den Frauenförderpreis. Die damals erst zum vierten Mal vergebene Auszeichnung ehrte Initiativen und Projekte zur Frauenförderung und würdigte das Engagement der Wissenschaftlerinnen am FB 05 für die Förderung von Frauen und das kontinuierliche Angebot an Lehrveranstaltungen aus dem Bereich der Frauenforschung. Der Preis wurde u.a. aufgrund der Einrichtung des ersten fachbereichseigenen Frauenförderfonds an der Universität Hamburg verliehen, aus dem neben einem selbstständigen Frauenförderpreis des FB 05 z.B. Projekte wie Internetkurse und Angebote zur Berufsplanung für Studentinnen finanziert wurden. Auch der Schwerpunkt „Geschlechterforschung und Feministische Studien“ in der Soziologie und eine Vorlesungsreihe zum Thema „Frauen- und Geschlechterforschung in den Internationalen Beziehungen“ wurden als besonders positiv hervorgehoben.[2]
Mit dem Preisgeld initiierte eine Frauenversammlung des FB 05 ein ambitioniertes Forschungsprojekt zur Geschichte der Frauen am Fachbereich[3] und seinen einzelnen Instituten. Ergebnis dieses Projekts war der 2002 veröffentlichte Sammelband »Festung Fachbereich? Frauen und Gleichstellung in Organisationskultur, Personalauswahl und Lehre des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg 1974 bis 2000«[4]. Die Autor*innen waren selbst Studierende und Promovierende des Fachbereichs. Ihre Analyse gliedert sich in einen umfangreichen allgemeineren Beitrag zur Partizipation von Frauen vor dem Hintergrund einer ‚androzentrischen Organisationskultur‘ am Fachbereich und kleinere Beiträge zum Institut für Soziologie, dem Institut für Politische Wissenschaft, dem Philosophischen Seminar, dem Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie dem Institut für Journalistik. Die Publikation fokussiert dabei den Zeitraum zwischen 1974, als die Psychologie ging und 2000, als auch die Philosophie den Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften verließ und die Kriminologie hinzukam. Die Titelfrage »Festung Fachbereich?« richten die Autor*innen ebenso an andere Fachbereiche, da sie davon ausgehen, dass viele der analysierten Mechanismen und Konstellationen auch in anderen Kontexten wirken.[5] Im Rahmen dieser Rezension werde ich mich auf die beiden Beiträge konzentrieren, die für die Politikwissenschaft besonders relevant sind und zudem etwas ausführlicher auf den Inhalt eingehen, da sich der Sammelband explizit mit der Fachbereichsgeschichte auseinandersetzt.
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Der umfangreiche einführende Beitrag »Der Fachbereich: Prozess der Partizipation unter den Bedingungen einer androzentrischen Organisationskultur« von Rafaela Borgwardt und Erik Eichholz[6] untersucht die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse am Fachbereich insgesamt und betrachtet dabei insbesondere den Auswahlprozess des wissenschaftlichen Personals. Prozess- und quellenorientierte Fallstudien bleiben für Borgwardt und Eichholz in der Frauenhochschulforschung – mit Ausnahme der Dissertation von Verena Lappe[7] – ein Desiderat.[8] Angelehnt an den akteurszentrierten Institutionalismus Fritz W. Scharpfs und die ‚Mikropolitik-Schule‘ entwickeln sie daher ein eigenes Forschungskonzept und beleuchten auf historiographische Weise anhand von Statistiken, Gremienprotokollen, Verwaltungsakten, Interviews und studentischen Veröffentlichungen, wie sich die Partizipation von Frauen in der Organisationskultur[9] des Fachbereichs 05 entwickelte.
Einen ersten Wandel der Organisationskultur sehen Borgwardt und Eichholz in der Reform der Ordinarienuniversität in eine Gruppenuniversität im Jahr 1969, durch die Entscheidungen nicht mehr allein von den Professoren[10] sondern in einem komplexen Gremiensystem von Vertreter*innen[11] der unterschiedlichen Statusgruppen getroffen und ausgehandelt wurden.[12] Die Asymmetrie des Geschlechterverhältnisses sei hierdurch jedoch kaum angetastet worden.[13] Ab den 1970er-Jahren lehrten zwar die ersten Professorinnen am Fachbereich und im Wandel hin zu einer Massenuniversität stieg vermutlich auch die Zahl der Studentinnen an, dennoch blieben Frauen nur marginal präsent, was die Autor*innen auf die weiterhin selbstverständliche Gültigkeit einer traditionalen Rekrutierung des wissenschaftlichen Personals durch die Professor*innen und die geringe Infragestellung des Wissenschaftsbetriebs als einem ‚geschlechtsneutralen‘ Raum zurückführen.[14] In der studentischen Soz.Pol.-Frauengruppe (für Soziologie und Politologie) und einem von Ingrid N. Sommerkorn initiierten Arbeitskreis sehen Borgwardt und Eichholz jedoch ab Ende der 1970er- und in den frühen 1980er-Jahren die Anfänge einer akademischen Frauenbewegung am FB 05.[15]
1985 sei auch auf Forderung des Netzwerks Hamburger Hochschulfrauen die erste Frauenförderrichtlinie der Universität Hamburg verabschiedet worden.[16] Bei der Befragung der Fachbereiche im Vorfeld der Einführung der Richtlinie positionierte sich der Fachbereich 05 1984 mit einer Protestnote gegen die vom Hamburger Senat forcierte Sparpolitik.[17] Die Autor*innen interpretieren diese Reaktion des FB 05 u.a. als föderalen Konflikt um Autonomie zwischen Zentrum (Universitätsleitung) und Peripherie (Fachbereich und Institute).[18] Die Richtlinie entfaltete für Borgwardt und Eichholz am Fachbereich 05 nur eine geringe Wirkung, wofür sie eine aufgrund der Sparmaßnahmen und Stellenstreichungen verstärkte Geschlossenheit der androzentrischen Organisationskultur als ursächlich vermuten, wenngleich die Richtlinie zumindest ein ‚konkurrierendes Wertesystem‘ etabliert hätte.[19]
Im Übergang zu den 1990er-Jahren sehen Borgwardt und Eichholz eine Verdichtung der Fraueninitiativen, in der sich die Fachbereichsfrauen insgesamt bewusster ‚als Frauen wahrgenommen‘ und die Studentinnen zudem im Studierendenstreik 1988/89 eine ‚feministische Subkultur‘ entwickelt hätten.[20] 1988 wählte der Fachbereichsrat zudem im Zuge der Dezentralisierung der Frauenförderung erstmals eine eigene Frauenbeauftragte und räumte ihr aus Sicht von Borgwardt und Eichholz im universitären Vergleich eine recht starke Rolle ein.[21] In der Verbindung dieser neuen Akteurin mit der stärkeren Organisation von Wissenschaftlerinnen und Studentinnengruppen wie den Gremienfrauen[22] im Übergang zu den 1990er-Jahren und der höheren Präsenz von Frauen in Auswahlkommissionen sehen die Autor*innen den Grund dafür, dass bei den Stellen zur Promotionsförderung eine Gleichstellung ‚quasi erreicht‘ war und sich der Professorinnenanteil erhöhte.[23] Auch der Frauenanteil auf den Assistenturen[24] stieg an, wenngleich eine deutliche Differenz im Vergleich zu den Promotionsförderstellen bestehen blieb.[25] Dennoch sehen Borgwardt und Eichholz „die traditionale Rekrutierung mit ihrem gender bias“[26] bzw. das ‚Durchbringen von Schülern‘ als weiterhin dominant in der Personalauswahl an, gerade vor dem Hintergrund eines nicht objektiv definierbaren Qualifikationsbegriffs, dem männlich konnotierten Idealbild einer Wissenschaftskarriere und der schlechteren Einbindung von Frauen in Beziehungsnetzwerke.[27]
Die Autor*innen beobachten ab 1994 einen Trend zu einer stärker strukturell orientierten Frauenförderung am FB 05, der sich z.B. in einer Ergänzung des Frauenförderplans niederschlug, nach der Stellenausschreibungen thematisch möglichst weit gefasst und zudem öffentlich auszuschreiben waren.[28] Im Rahmen des New Public Managements und der gesamtuniversitären Umstrukturierung des Haushaltes wurde der Fachbereich 1996 finanzautonom und habe somit gerade in Bezug auf Personalentscheidungen eigene Schwerpunkte setzen können.[29] Die Autor*innen zeigen, wie sich auch durch neue Akteurskonstellationen wie die Etablierung einer Frauenversammlung und die erste Fachbereichssprecherin am FB 05 eine frauenfördernde Kennzahl in die leistungsorientierte Mittelvergabe integrieren konnte.[30] Sie beleuchten, wie 1997 erstmals auch die Verankerung von Geschlechterforschung und Gender Studies als Ziel von Frauenförderung im Fachbereichsrat eingebracht und gegen Protest aus dem Kollegium schließlich als ‚Thematisierung der Geschlechterverhältnisse‘ in den Frauenförderplan aufgenommen wurde.[31] Borgwardt und Eichholz vertreten an dieser Stelle die These, dass der Fachbereichsrat 1997 keine Frauenförderung wollte, die tatsächlich konsequent in die Möglichkeit der Professoren eingriff, Stellen mit ihren eigenen Schülern zu besetzen und bewerten die Etappenziele des FB 05 im Hinblick auf eine Erhöhung des Frauenanteils am wissenschaftlichen Personal als größtenteils vage.[32] Es zeigte sich aus ihrer Sicht zwar insbesondere bei dem Frauenanteil der Professuren eine positive Tendenz, der 1999 mit 23,3 % sogar über dem Durchschnitt der Universität Hamburg wie auch dem der bundesdeutschen Hochschullandschaft insgesamt gelegen habe.[33] Dennoch sehen sie am FB 05 weiterhin eine Reproduktion des androzentrischen Kerns der Organisationskultur sowie ein „fortbestehende[s] Ausgrenzen von Frauen- und Geschlechterforschung aus dem Kanon der Philosophie und Sozialwissenschaften.“[34]
Die Titelfrage „Festung Fachbereich?“ beantworten Borgwardt und Eichholz mit der Einschätzung, dass der FB 05 eher einer „Festungslandschaft kleinerer Einheiten“[35] glich, die jeweils ihre Autonomie und teils auch die androzentrischen Rekrutierungsmuster verteidigten. Das „asymmetrische Bedingungsgeflecht“[36] der alltäglichen Interaktion ‚beider Geschlechter‘ hätte sich gewandelt, sodass sich „der Festungscharakter ein Stück weit verlor“[37]. Dieser Prozess der Partizipation bleibt aus ihrer Sicht jedoch immer auch offen und kann nicht als geradlinige Fortschrittsgeschichte verstanden werden.[38] Als zusammenspielende Faktoren für diese Transformation der androzentrischen Organisationskultur am FB 05 sehen Borgwardt und Eichholz zum einen den Kontext einer zunehmenden gesellschaftlichen Infragestellung androzentrischer Denkmuster sowie die Durchsetzung einer Frauenförderpolitik ‚von oben‘ und die Einbringung feministischer Kritik und gleichstellungspolitischer Forderungen von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen am FB 05 in den Organisationsalltag.[39]
In Anbetracht dessen, dass die Autor*innen die verschiedenen Initiativen von Frauen am Fachbereich sowie den gesellschaftlichen Kontext als notwendige Bedingungen für diese Veränderung ansehen, hätten die Forderungen und die Rolle der unterschiedlichen Gruppen stärker thematisiert werden können. Aus Gründen des Datenschutzes[40] mussten die Quellenangaben teils weggelassen werden und die Analyse der Personalauswahl recht allgemein bleiben. Borgwardt und Eichholz weisen zudem darauf hin, dass mit ihrer historiographischen Zugangsweise die symbolische Ebene der Organisationskultur nicht analysiert werden konnte – wie z.B. der Gebrauch von Sprache, Ritualen oder Zeichen – und regen hier weiterführende Studien zu subtilen Exklusionsmechanismen im universitären Alltag mit ethnologischen Methoden an.[41] Dennoch bietet der Beitrag eine aufschlussreiche Analyse zu den Entwicklungslinien des Partizipationsprozesses von Frauen am Fachbereich 05 und zeigt Hindernisse und Spannungsfelder für eine Institutionalisierung der Geschlechtergleichstellung auf.
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Der Beitrag »„…an sich ist das eine ziemlich normale Zeitverschiebung.“ Zur Situation von Frauen am Institut für Politische Wissenschaft« von Andrea Sievers[42] zielt darauf ab, anhand von einzelnen chronologisch geordneten Beispielen den Umgang mit Frauen und Frauenförderung am Institut für Politische Wissenschaft (IPW) darzustellen.[43] Neben Gremienprotokollen, Akten, Vorlesungsverzeichnissen und Statistiken dienen hier insbesondere auch die Veröffentlichungen von zwei Frauengruppen als Quellen – der Autonomen Frauengruppe am IPW und dem Hamburger Politologinnen-Netzwerk. Das Zitat im Titel des Beitrags entspringt einem Interview der Autonomen Frauengruppe mit einem Professor am IPW, der die Marginalität von Frauen als eine Zeitverschiebung darstellte, die sich von selbst auflöse.[44]
Am IPW lehrten und studierten deutlich weniger Frauen als am Institut für Soziologie, zudem sei die ‚Beschäftigung mit Frauen‘ erst in den letzten Jahren aufgrund des Engagements von Frauen etabliert worden.[45] In den 1970er-Jahren seien Frauen nur peripher am IPW präsent gewesen, wobei Sievers in der Planung des Institutsrats für die 1980er-Jahre den „Auftakt für die von nun an stattfindende Auseinandersetzung“[46] sieht. Hierbei wollte das IPW in Kooperation mit dem Team der Leitstelle Gleichstellung der Frau zum zweiten Mal eine Berufsfeldanalyse zu Frauen im Arbeitsleben anbieten.[47] Die Leitstelle beschloss jedoch, die Veranstaltung nicht selbst weiterzuführen, da am FB 05 Akademiker*innen zur Erwerbstätigkeit von Frauen forschen würden, die diese Veranstaltung intern anbieten könnten und die Lehrerfahrung für ihre Hochschulkarriere benötigten – Sievers sieht diese Auseinandersetzung auch als „Paukenschlag für das IPW“[48].
Sievers schreibt, dass ab Mitte der 1980er die Lehrveranstaltungen zu feministischen Themen zunahmen.[49] Als ‚markantesten Punkt‘ in dieser Zeit macht sie den Bericht einer Kommission zur Umsetzung des Frauenförderplans aus, der dem IPW eine Benachteiligung von Frauen bescheinigte, da sich der Frauenanteil unter den Studierenden nicht im wissenschaftlichen Personal wiederfinde.[50]
Als Ausdruck der anhaltenden Marginalität von Frauen am IPW sieht Sievers die 1987 veröffentlichte »Fällt-Studie«[51] der Autonomen Frauengruppe am IPW.[52] Die Frauengruppe problematisierte, dass es kaum weibliche Lehrende am IPW gab und eine Auseinandersetzung mit feministischer Theorie im Studium kaum möglich sei.[53] Um „das Problem an der Wurzel zu packen“[54] führten die Frauen mit den Professoren am IPW Interviews zu den Gründen für die weitgehende Abwesenheit von Frauen in der Wissenschaft (und am Institut) durch. Diese Interviews zeigten – für Sievers wohl auch, weil die Professoren die Befragung zunächst nicht wirklich ernst nahmen und sehr bereitwillig antworteten – die „Manipulationsmöglichkeiten oder die männlichen Selektionskriterien bei Personalberufungen“[55].
Eine weitere ‚Klimaveränderung‘[56] sieht Sievers sowohl im Engagement der Gremienfrauen als auch in der Gastprofessur von 1989 bis 1990 von Ute Schmidt, die Seminare zu feministischen Themen anbot und bei der sich insbesondere viele Studentinnen hierzu prüfen ließen. 1991 wurde Christine Landfried zudem als erste Professorin an das IPW berufen. Sie bot einzelne Lehrveranstaltungen zu feministischen Themen an, ihr Schwerpunkt lag jedoch nicht in diesem Bereich.[57]
Ein Professor des IPW setzte sich 1992 gegen die Entlassung einer Wissenschaftlerin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik ein, was Sievers als Ausdruck dafür ansieht, dass viele Professoren am IPW keine ‚grundsätzliche Abneigung‘ gegenüber Frauen gehabt hätten, sondern sich durchaus persönlich für sie engagierten.[58] Diese Unterstützung habe jedoch nur im Einzelfall gegolten, weshalb sich 1995 eine weitere Frauengruppe am IPW gegründet habe, das Hamburger Politologinnen-Netzwerk bzw. die Regionalgruppe des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen in Hamburg.[59] Es war an den Arbeitskreis „Politik und Geschlecht“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft angebunden, organisierte Veranstaltungen und brachte Vorschläge für Lehraufträge ein.[60] In Anknüpfung an die »Fällt-Studie« veröffentliche das Hamburger Politologinnen-Netzwerk 1998 die Dokumentation »gender action in der Politikwissenschaft«[61] mit unterschiedlichen Beiträgen zur Situation von Frauen und feministischen Perspektiven in der Politikwissenschaft am IPW.
Sievers kommt zu dem Schluss, dass sich die Situation von Frauen am Hamburger IPW im Jahr 2000 gegenüber den vorhergehenden zwanzig Jahren nur leicht verändert habe.[62] Trotz der Institutionalisierung von Frauenfördermaßnahmen nehme der Frauenanteil mit steigender Hierarchieebene ab, so dass es im Sommersemester 2000 zwar einen Frauenanteil von 50 % unter den Promovierenden gegeben hätte, aber nur eine Professorin.[63] Ebenso würden Lehrveranstaltungen ‚mit Geschlechterbezug‘ weiterhin eine Ausnahme darstellen.[64] Verbesserungen der Situation von Frauen am IPW seien „in der Regel von außen an das Institut herangetragen“[65] worden und „[g]eschieht dies aus den Reihen der Institutsangehörigen, so sind es Studentinnen, die dafür eintreten“[66]. Die Veränderungen seien daher „keine ganz normale Zeitverschiebung“[67].
An einigen Stellen des teils recht polemischen[68] Beitrags hätten die Akteurskonstellationen deutlicher dargestellt werden können.[69] So wird das Engagement der Frauengruppen wenig mit der Zunahme an Lehrveranstaltungen mit feministischen Themen verknüpft.[70] Auch behauptet Sievers, dass in der »Fällt-Studie« keine Lösungsvorschläge gemacht worden wären[71] – ein Beitrag der »Fällt-Studie« spricht jedoch durchaus Möglichkeiten in Bezug auf einen Entwurf zur Verschärfung der Frauenförderrichtlinien von 1987 an, die auf eine Umsetzung am IPW abzielen.[72] Zudem wäre eine stärkere Kontextualisierung in die Fachentwicklung gerade im Hinblick auf das Hamburger Politologinnen-Netzwerk interessant gewesen und es hätte deutlich gemacht werden können, dass auch Ehemalige sowie promovierte und lehrende Frauen der Gruppe angehörten[73] – feministische Forderungen aus den ‚Reihen der Institutsangehörigen‘ kamen also durchaus nicht nur von Studentinnen. Einen beispielhaften ersten Überblick zur Situation von Frauen und der Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterforschung am ehemaligen Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg vermag der Beitrag jedoch zu leisten.
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Die Resonanz des Sammelbands von Borgwardt et al. erscheint eher marginal. In Anbetracht der wenigen Fallstudien, die in Bezug auf die Entwicklung des Partizipationsprozesses von Frauen und die Gleichstellungspolitik an einzelnen Fachbereichen existieren, bleibt die Publikation jedoch eine Seltenheit und stellt eine Pionier*innenarbeit zur Frauengeschichte des Fachbereichs 05 dar. Eine interessante und wichtige Perspektive auf die Fachbereichsgeschichte und Einblicke in die Spannungsfelder der Institutionalisierung universitärer Gleichstellungspolitik bietet »Festung Fachbereich?« damit allemal.
[1] Geleitwort von Marie-Elisabeth Hilger. In: Borgwardt, Rafaela/Sievers, Andrea/Wachendorf, Petra/Eichholz, Erik (2002): Festung Fachbereich? Frauen und Gleichstellung in Organisationskultur, Personalauswahl und Lehre des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg 1974 bis 2000. Hamburg: Selbstverlag, S. 7.
[2] Vgl. Bericht von Prof. Dr. Marie-Elisabeth Hilger vom 6.9.2000. In: Universitätsarchiv Hamburg, Best. 601, Zentrum GenderWissen, Nr. 243/1.
[3] Das technische und Verwaltungspersonal klammern die Autor*innen dabei aus.
[4] Auf diese erste Veröffentlichung im Selbstverlag bezieht sich diese Rezension. 2003 publizierten die Autor*innen den Sammelband zudem im Kleine Verlag, siehe: Borgwardt, Rafaela/Eichholz, Erik/Sievers, Andrea/Wachendorf, Petra (2003): Festung Fachbereich? Frauen und Gleichstellung in Organisationskultur, Personalauswahl und Lehre des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg 1974 bis 2000. Bielefeld: Kleine Verlag.
[5] Vgl. Borgwardt et al. (2002): Festung Fachbereich?, S. 8.
[6] Borgwardt, Rafaela/Eichholz, Erik (2002): Der Fachbereich: Prozess der Partizipation unter den Bedingungen einer androzentrischen Organisationskultur. In: Borgwardt et al.: Festung Fachbereich?, S. 11-92.
[7] Lappe, Verena (1996): Frauenseminare, Frauenforschung und Frauenförderung. Geschichte und Perspektive am Beispiel des Fachbereichs Psychologie der Universität Hamburg. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.
[8] Vgl. Borgwardt/Eichholz (2002), S. 12.
[9] Den Begriff Organisationskultur verstehen Borgwardt und Eichholz dabei als ein „System habitualisierter und routinisierter Deutungsmuster, Werthorizonte und Selbstverständlichkeiten im Denken, Tun und Lassen“ (Borgwardt/Eichholz 2002, S. 13), das alltäglich bestimmte Ein- und Ausschlusskriterien festlegt.
[10] 1969 waren die 8 Lehrstühle in den verschiedenen Fächern ausschließlich mit Männern besetzt, vgl. Borgwardt/Eichholz (2002), S. 22.
[11] Borgwardt und Eichholz gehen – im Gegensatz zu der hier von mir verwendeten Schreibweise – explizit von einer binären Geschlechtsidentität aus, vgl. Borgwardt/Eichholz (2002), S. 85. Auch in Bezug auf den zweiten in dieser Rezension behandelten Beitrag wäre die Verwendung des Binnen-I im Sinne einer korrekten Darstellung des Inhalts treffender, da dieser ebenfalls im Dualismus von Mann und Frau verbleibt. Ich habe mich dagegen entschieden, diese Schreibweise zu verwenden und weise an dieser Stelle stattdessen darauf hin, dass diese Bedeutungsebene von den Autor*innen des Sammelbandes nicht intendiert war.
[12] Vgl. Borgwardt/Eichholz (2002), S. 18f.; 23.
[13] Vgl. ebd.
[14] Vgl. ebd., S. 22ff.
[15] Vgl. ebd., S. 29.
[16] Ebd., S. 30.
[17] Vgl. ebd., S. 31ff.
[18] Vgl. ebd., S. 30ff.
[19] Vgl. ebd., S. 36f.
[20] Vgl. ebd., S. 44f.
[21] Vgl. ebd., S. 41ff.
[22] Mit Ausnahme des Philosophischen Seminars vertraten ab dem Wintersemester 1989/90 zeitweilig ausschließlich Frauen die Studierendenschaft in den Gremien, vgl. Borgwardt/Eichholz (2002), S. 46.
[23] Vgl. ebd., S. 49ff.
[24] Auf den Assistenturen wurden die Qualifikationen für eine Professur erworben.
[25] Vgl. Borgwardt/Eichholz (2002), S. 49ff.
[26] Ebd., S. 59.
[27] Vgl. ebd.
[28] Vgl. ebd., S. 59f.
[29] Vgl. ebd., S. 62ff.
[30] Vgl. ebd., S. 59ff.
[31] Vgl. ebd., S. 71ff.
[32] Vgl. ebd., S. 75.
[33] Vgl. ebd., S. 78.
[34] Ebd., S. 80.
[35] Ebd., S. 85.
[36] Ebd.
[37] Ebd.
[38] Vgl. ebd.
[39] Vgl. ebd., S. 81f.
[40] Vgl. ebd., S. 54.
[41] Vgl. ebd., S. 13.
[42] Sievers, Andrea (2002): „…an sich ist das eine ziemlich normale Zeitverschiebung.“ Zur Situation von Frauen am Institut für Politische Wissenschaft. In: Borgwardt et al.: Festung Fachbereich?, S. 111-124.
[43] Vgl. ebd., S. 111.
[44] Vgl. ebd., S. 114.
[45] Vgl. ebd., S. 111.
[46] Ebd., S. 112.
[47] Vgl. ebd., S. 112f.
[48] Ebd., S. 114.; vgl. ebd., S. 112f.
[49] Vgl. ebd., S. 114.
[50] Vgl. ebd., S. 115.
[51] Nies, Andrea/Stabel, Beate/Müller, Christiane/Vollmer, Claudia/Wollrad, Dörte/Klinkert, Hildegard/Schlütter, Petra/Wellhausen, Sylvia/Bergermann, Ulrike (1987): Fällt-Studie. 10 Artikel, die begründen, warum Frauen Schluß machen müssen mit der Herrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb. Hamburg: Selbstverlag.
[52] Vgl. Sievers (2002), S. 116.
[53] Vgl. ebd.
[54] Ebd.
[55] Ebd.
[56] Dies ist eine ironische Anspielung von Sievers auf einen Abschnitt der Fällt-Studie, vgl. Klinkert, Hildegart (1987): Emotionale Erwartungen an Frauen von seiten der Männer im wissenschaftlichen Betrieb. In: Nies et al.: Fällt-Studie, S. 7.
[57] Vgl. Sievers (2002), S. 118f.
[58] Vgl. ebd., S. 119f.
[59] Vgl. ebd., S. 120.
[60] Vgl. ebd., S. 120f.
[61] Hamburger Politologinnen-Netzwerk/Gemeinsame Kommission und Koordinationsstelle für Frauenstudien und Frauenforschung Hamburg (Hrsg.) (1998): gender action in der Politikwissenschaft. Hamburger Dokumentation ’98. Hamburg: Selbstverlag.
[62] Vgl. Sievers (2002), S. 122.
[63] Vgl. ebd.
[64] Vgl. ebd.
[65] Ebd.
[66] Ebd.
[67] Ebd.
[68] Vgl. Sievers (2002), S. 112f.
[69] So z.B. gleich am Anfang auf S. 112.
[70] Vgl. Sievers (2002), S. 114.
[71] Vgl. ebd., S. 121.
[72] Vgl. Müller, Christiane (1987): „Ich und du – raus bist du!“ Statt der drei „Ks“ die zwei „Qus“. In: Nies et al.: Fällt-Studie, S. 25f.
[73] Vgl. Selbstdarstellungen des Politologinnen-Netzwerks, Regionalgruppe Hamburg. In: Universitätsarchiv Hamburg, Best. 601, Zentrum GenderWissen, Nr. 243/1.