Louisa Band und Kira Neumann über Studieren mit Behinderung an der Universität Hamburg

Im März 2019 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention zehn Jahre alt. Doch auch nach einem Jahrzehnt ist in der Gestaltung und Anwendung noch viel zu tun, um umfassende Inklusion auch an der Universität Hamburg zu erreichen. Vor diesem Hintergrund werfen Louisa Band und Kira Neumann einen Blick darauf, wie sich das Studieren von Menschen mit Behinderung im Laufe der letzten Jahre an der Universität Hamburg entwickelt hat. Was kann und muss aktuell noch umgesetzt und verinnerlicht werden, um das Studieren mit einer Behinderung zu erleichtern? Und wie sieht ein Alltag an der Universität aus Sicht eines Studierenden mit Behinderung aus?

Louisa Band und Kira Neumann studieren im Bachelor Politikwissenschaft am Fachbereich. Dieser Beitrag entstand im Zuge des Seminars „Einführung in den Journalismus“ bei Prof. Volker Lilienthal, das sich unter anderem mit dem Blog beschäftigte.


Die meisten Schulabgängerinnen, die ihren Bildungsweg an der Universität Hamburg fortsetzen wollen, informieren sich über Informationsblätter, Flyer oder der Internetseite der Universität, auf denen allesamt das Bild des historischen Hauptgebäudes prangt. Die weißen Säulen und die grüne Kuppel sind unverwechselbar und jeder Erstsemesterstudierende ist neugierig darauf, endlich durch die dunklen großen Eingangstüren zur ersten Vorlesung zu schlendern. An der Universität angekommen ändert sich der Blickwinkel aus Sicht eines neuen Studierenden mit einer Beeinträchtigung allerdings schlagartig. Statt auf die prunkvollen Säulen und das einladende Entrée fällt der Blick auf die unzähligen Treppenstufen. Bereits das bloße Eintreten in das Foyer wird hier zur ersten Prüfung des Semesters. Für einen Menschen, der beispielsweise nicht im Rollstuhl sitzt, sind diese Stufen kein Problem. Doch für einen Rollstuhlfahrer sind sie geradezu unüberwindbar. Mit der mobilen Rampe in der Nähe scheint eine Lösung gefunden zu sein. Allerdings wurde sie irrtümlich zweckentfremdet, sodass angelehnte Fahrräder über die Rampe ragen und das Überqueren mit einem Rollstuhl unmöglich machen. “Die Herstellung baulicher Barrierefreiheit stellt eine Daueraufgabe dar”, sagt Maike Gattermann-Kasper, die Behindertenbeauftragte der Universität Hamburg. Es werden allmählich vorhandenen Barrieren abgebaut, doch gerade für Bestandsgebäude kann “aufgrund der vorhandenen Gegebenheiten häufig keine optimale Lösung realisiert werden”, so Gattermann-Kasper. Die Tücken eines solch alten Gebäudes werden auch im Inneren sichtbar. Die im Erdgeschoss liegenden Räume bieten keinerlei Rollstuhlplätze und so muss der/die Studierende auch mal auf der Bühne neben den Dozenten Platz nehmen. Die an der Wand leuchtende Präsentation der Vorlesung kann aus diesem Blickwinkel nicht gut gesehen werden. Nebenbei wird der/die Studierende von mindestens hunderten Augenpaaren gemustert.

So berichtet Luc Weilandt, querschnittsgelähmter Student der Psychologie im zweiten Semester, einen ähnlichen Vorfall aus seinem Studentenalltag. Bei seiner ersten Klausur wurde versäumt im Vorlesungssaal ein Tisch für ihn bereit zu stellen. Zwar wurde er unter Applaus der anderen Studierenden vor allen auf die Bühne gehoben, um dort seine Klausur schreiben zu können, aber was harmlos erscheint, ist nur eine von zahlreichen Situationen, mit denen man als Rollstuhlfahrer tagtäglich konfrontiert wird.

Und nicht nur das historische Hauptgebäude ist für Studierende im Rollstuhl ein holpriger Weg. Jeder Gang über den Campus und jeder Hörsaal bringt fragwürdige Herausforderungen mit sich. Neben den Gehwegen auf dem Campus, die zwar hier und da mit einzelnen Spuren an den Rollstuhl angeglichen worden sind, zieren kleine Pflastersteine das Bild des Campusgeländes. Außerdem führen die „rollstuhlfreundlichen“-Spuren teilweise ins Nichts oder verbinden die Gebäude nur spärlich miteinander. Während nicht-behinderte Studierende über die Themen der Vorlesung und die Dozenten nachdenken, beschäftigt Luc sich auf seinem „holprigen“ Weg zum Hörsaal mit ganz andere Fragen: „Man fühlt sich einfach nicht so Willkommen zu der Vorlesung. Also man kommt da zur Vorlesung hin, der Weg dahin ist halt schon eine Hürde, und es ist einfach schon nicht angenehm. Wenn ich zur Uni fahre, denke ich schon drüber nach, ok komme ich jetzt in den Raum rein oder nicht? Es ist immer alles sehr ungewiss und macht mir auch immer ein bisschen Angst. Das Ganze hat einen negativen Beigeschmack und die Lust vergeht mir dann oft auch schon vorher.“

Er berichtet, dass ihn neben den Gehwegen besonders die Sitzgelegenheiten in den Hörsälen ärgern. Man sitze als Rollstuhlfahrer entweder vor oder hinter allen anderen. Zudem oftmals noch ohne passenden Tisch und noch viel schlimmer: ohne Anschluss zu den Kommilitoninnen. Geht man als Gruppe von Studierenden gemeinsam zu einer Veranstaltung, scheiden sich spätestens bei der Platzwahl die Wege. Für jeden Studierenden mit oder ohne Behinderung ist die erste Woche an der Uni meist eine der Wichtigsten, um Kontakt zu anderen aus dem Jahrgang zu finden. In einem großen Vorlesungssaal findet man das Gespräch leicht mit den Leuten neben sich in den Reihen. Es wird über Kurse geplaudert, man lernt sich kennen und verlässt den Saal gemeinsam. Für jemanden im Rollstuhl sieht diese Gelegenheit jedoch anders aus. Auch Luc hatte Schwierigkeiten, da er von seinem vorbestimmten Platz im Saal nicht an die anderen Studierenden heran gekommen ist. „Auf natürlichem Wege ist die Kontaktaufnahme dadurch schon sehr schwer. Du kannst ja keinen Rollstuhlfahrer einfach da zwischen die Reihen setzen, weil das jetzt halt alles so gebaut ist”.

Insbesondere soziale Kontakte sind der Schlüssel zu einem erfolgreichen Studium. Bei Themen wie bewusster Ausgrenzung durch andere Studierende kann Luc jedoch lächeln und entscheidend den Kopf schütteln.
„Das Problem im Hörsaal hat nichts mit den Studierenden zu tun, sondern ist halt eher das System, welches irgendwie noch nicht so funktioniert.“

Zu einem funktionierenden System könnte sich Luc ein jährliches Treffen aller Rollstuhlfahrer mit Zuständigen der Universität, wie Maike Gattermann-Kasper, vorstellen, bei dem man sich über Veränderungen oder Verbesserungen zur Barrierefreiheit austauscht. Im Fokus sollte hierbei vor allem die Zusammenarbeit mit allen Studierenden jeglicher Beeinträchtigung stehen, denn eigentlich sollten sie die geeignetsten Expertinnen sein. Nach Luc’s Empfinden sollten außerdem mehrere Rollstuhlfahrer es sich zur Aufgabe machen, über Berührungsängste zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten aufzuklären. “Es muss nicht sein, dass man sich als Rollstuhlfahrer versteckt.” Hierbei könnte auch die Universität selbst als Hilfestellung mit einbezogen werden und zum Beispiel Werbekampagnen mit Rollstuhlfahrern in die Wege leiten, sodass auch ein Dialog unter allen Studierenden gefördert werden kann. Zwar gibt es den jährlichen Diversity-Tag, dennoch ist dieser vielen unbekannt und das spärliche Angebot regt nicht zum Vernetzen unter allen Studierenden an. Für Maike Gattermann-Kasper sollte jedoch das Zusammenleben der Studierenden untereinander von den Studierenden selbst oder deren Vertreter*Innen gestaltet werden.

Auf die Frage, was Luc sich für Studierende mit Behinderung wünscht, ist die Liste nicht lang, aber wichtig. Betroffenen sollte die Angst im Vorfeld genommen werden, etwa davor, nicht in Räume zu kommen und sich dadurch vor anderen lächerlich macht oder schlichtweg nicht Willkommen fühlt. Mit dieser Aufgabe sollten Studierende mit Beeinträchtigung nicht alleine gelassen werden und auf Unterstützung von der Universität zählen können. Gesetze sind für Luc nicht der einzige Weg, um Verbesserungen im Alltag von Studierenden mit Behinderung zu ändern. Alleine die Motivation sollte ausreichen, auf Betroffene zuzugehen und nach ihren Bedürfnissen zu handeln. Für andere Studierende mit Behinderung hat Luc nur die Botschaft: “Macht einfach euer Ding.” Auch sollte nicht jeder Mensch in einem Rollstuhl besonders behandelt werden. Die meisten freuen sich über eine aufgehaltene Tür, was den Alltag an der Universität erleichtert. Die Veränderung beginnt im Kopf.

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