Politische politische Theorie aus Hamburg. Svenja Ahlhaus über Udo Bermbach, Demokratietheorie und politische Institutionen (1991)

Udo Bermbach war von 1971 bis 2001 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Hamburg und gehört zu den Gründern der Sektion für Politische Theorie und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. Sein Aufsatzband Demokratietheorie und politische Institutionen erschien 1991.

Svenja Ahlhaus ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Politische Theorie an der Universität Hamburg. Sie wurde 2018 mit einer Arbeit zum Thema „Die Grenzen des Demos. Mitgliedschaftspolitik aus postsouveräner Perspektive“ promoviert. Die Arbeit wurde 2019 von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung mit dem Werner-von-Melle-Preis ausgezeichnet.


Als Jeremy Waldron vor ein paar Jahren die Rückkehr zu einer „political political theory“[1] forderte – zu einer politischen Theorie, die nicht bei der Untersuchung abstrakter Prinzipien stehenbleibt, sondern die Frage politischer Institutionen ins Zentrum stellt – hätte er auch Udo Bermbachs „Demokratietheorie und politische Institutionen“ als Positivbeispiel anführen können. Bermbachs 1991 erschienener Band, der Aufsätze aus den Jahren 1968 bis 1991 versammelt, beschäftigt sich mit genau den Fragen, die laut Waldron den Hauptgegenstand der politischen Theorie ausmachen sollten:

„First and foremost we need to understand the foundations of democracy, but not just democracy in a crude undifferentiated sense: we need to understand democratic representation, electoral competition, and democratic political parties. We need to understand the different ways in which the institutions of a modern political system are democratic and to theorize the difference between a representative legislature, an administration headed by a directly or indirectly elected government, and courts in a democracy.“[2]

Bermbachs Band gliedert sich in drei Teile, in denen der Autor in 13 Aufsätzen und Vorträgen institutionelle Fragen der Demokratietheorie erörtert. Im ersten Teil „Zur Demokratietheorie“ geht er auf Alternativen zum Parlamentarismus – und vor allem auf das Rätesystem – ein. Im zweiten Teil „Zur Theorie politischer Institutionen“ arbeitet Bermbach die (fehlende) Institutionentheorie unterschiedlicher Denker und Theorietraditionen heraus. Im dritten Teil „Zur politischen Theoriengeschichte“ wendet sich Bermbach dem Status der politischen Ideengeschichte in der deutschen Politikwissenschaft zu. Obwohl die Beiträge bereits vor Jahrzehnten verfasst sind, sind sie zum Teil von erstaunlicher Aktualität. Immer wieder stößt man auf Überlegungen, die auch für zeitgenössische Debatten von Interesse sind. Im Folgenden möchte ich zwei Aspekte herausstellen, die das Werk auch für heutige Leserinnen relevant machen.

Krisendiagnosen sind seit jeher ein fester Bestandteil der akademischen Beschäftigung mit Demokratie. Immer wieder neu stellt sich die Frage, welche institutionellen Alternativen (oder zumindest Ergänzungen) es zu klassischen Modellen parlamentarischer und präsidentieller Demokratie gibt. Gegenwärtig wird diese Frage in erster Linie unter dem Stichwort der demokratischen Innovationen diskutiert.

Auch für Bermbach war die Krise der repräsentativen Demokratie vor etwa 50 Jahren ein Thema. Dabei befasst er sich mit Modellen der Rätedemokratie, die auch heute wieder als Lösungsansatz diskutiert werden.[3] Bermbach vertritt hier eine politikwissenschaftlich abgeklärte Perspektive, die von der „generelle[n] Brauchbarkeit von repräsentativ strukturierten, parlamentarischen Regierungssystemen in hochkomplexen, industriellen Gesellschaften“ (45) ausgeht. Er wendet sich gegen vereinfachte Vorstellungen direkter Demokratie und die Vorstellung, dass Rätesysteme die Probleme parlamentarischer Repräsentation beheben können. Dabei kritisiert er insbesondere den „antiinstitutionelle[n] Ansatz des Rätegedankens“ (41). Es gelte, das „allzu einfache Schema traditionellen Demokratieverständnisses im Banne Rousseaus erfolgreich zu durchbrechen und an seiner Stelle jenen gesellschaftlich begründeten Grad an Komplexität der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu entwickeln, der die Forderung nach Vereinbarkeit von demokratischem Anspruch und Leistungsorientierung der Gesellschaft einzulösen und zu garantieren vermag“ (46-47).

Positiver ist Bermbachs Einschätzung von einzelnen „rätedemokratische[n] Organisationsprinzipien“ (96) wie dem imperativen Mandat oder der jüngst wieder in die demokratietheoretische Diskussion eingeführten Möglichkeit des recall von Repräsentantinnen.[4] Auch hier geht es ihm in erster Linie darum, ob und wie sich diese Mechanismen „an die funktionalen Erfordernisse eines modernen, komplexen politischen Entscheidungssystems“ (103) anpassen lassen. Laut Bermbach ließe sich demokratische Repräsentation stärken, wenn man ein imperatives Mandat im Sinne der Festlegung allgemeiner politischer Richtlinien, die den handelnden Akteuren Ermessensspielräume lassen, mit einem gestuften System des regulativen recall (Missbilligung, Auflagen, zeitweilige Suspendierung von Ämtern etc.) kombinierte.

Der letzte Teil von Bermbachs Buch führt einem vor Augen, dass die gegenwärtigen Debatten über die Position der Politischen Theorie und Ideengeschichte sowohl innerhalb der Politikwissenschaft als auch im Verhältnis zur Philosophie in jahrzehntealter Tradition stehen.[5] Das entstehende Bild ist aber keineswegs eines von Stillstand. Vielmehr lässt sich im Rückblick die Professionalisierung der Subdisziplin nachvollziehen.

Bermbachs in den 1980er Jahren veröffentlichte Überlegungen betreffen in erster Linie die seiner Einschätzung nach prekäre Stellung der Ideengeschichte. Laut Bermbach wird der Ideengeschichte „innerhalb der Politikwissenschaft hinsichtlich ihres methodischen Selbstverständnisses kein gesicherter Status zuerkannt“ (280). Sie werde primär begriffen als eine „an Autoren orientiert[e]“, „überwiegend werkimmanente Interpretation politischer Schriften“, die der „Möglichkeit der ‚Aktualisierung‘ politischer Klassiker in Hinsicht auf ihre ‚überzeitlichen Aussagen‘“ nachgeht (282). Diesen Umstand führt Bermbach darauf zurück, dass die Ideengeschichte sich als Teil der Politikwissenschaft unter Druck sehe, sich „dem allgemein üblichen Gebot der ‚Praxis-Nähe‘“ sowie dem Anspruch, als Teil eines demokratiewissenschaftlichen Unternehmens Ergebnisse zu produzieren, „deren gesellschaftliche wie politische Nützlichkeit offenkundig sind“, zu fügen (283). Mit anderen Worten: In dem Versuch, ihren Status als politikwissenschaftliche Teildisziplin nachzuweisen, operiere die Ideengeschichte mit einem fragwürdigen methodischen Selbstverständnis.

Auch wenn die von Bermbach beschriebene Herangehensweise möglicherweise nicht von der Bildfläche verschwunden ist und nach wie vor das nachvollziehbare Bestreben herrscht, innerpolitikwissenschaftliche Anschlussfähigkeit unter Beweis zu stellen, hat sich in der Politischen Theorie inzwischen eine hochgradig differenzierte Methodendiskussion entwickelt, die auch vor der Ideengeschichte nicht Halt gemacht hat.[6] Die heutige Situation steht somit in deutlichem Kontrast zu dem von Bermbach gezeichneten – und sicherlich auch überzeichneten – Bild. An die Stelle methodischer „Orientierungslosigkeit“ ist die Auseinandersetzung über Sinn und Zweck unterschiedlicher Ansätze getreten. Ob damit ein gesicherterer Status innerhalb der Politikwissenschaft einhergeht, sei dahingestellt. Die interne Professionalisierung der Subdisziplin steht aber außer Frage.


[1] Waldron, Jeremy (2013): Political Political Theory: An Inaugural Lecture. Journal of Political Philosophy 21 (1): 1-23.

[2] Ebd. S. 8

[3]Muldoon, James (Hrsg.) (2018): Council Democracy: Towards a Democratic Socialist Politics. New York: Routledge.

[4] White, Jonathan/Ypi, Lea (im Erscheinen): Recalling Representatives. In: M. Battini/N.Urbinati (Hrsg.): The Future of Democracy. Milan: Feltrinelli.

[5] Zur aktuellen Auseinandersetzung siehe: Ellersiek, Helke: Politische Vermessung der Welt. Theorie versus Empirie. taz, 13.11.19. Online abrufbar: https://taz.de/Theorie-versus-Empirie/!5635627/; Altenburger, Sven: Strategie und Methodik. Zum Verhältnis von Politischer Theorie und Politischer Philosophie. Theorieblog, 07.11.19. Online abrufbar: https://www.theorieblog.de/index.php/2019/11/strategie-und-methodik-zum-verhaeltnis-von-politischer-theorie-und-politischer-philosophie-bericht-zur-hamburger-sektionstagung/

[6] Leopold, David; Stears, Marc (Hrsg.) (2008): Political Theory. Methods and Approaches. Oxford: Oxford University Press; Blau, Adrian (Hrsg.) (2017): Methods in Analytical Political Theory. Cambridge: Cambridge University Press; Busen, Andreas/Weiß, Alexander (Hrsg.) (2013): Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens. Baden-Baden: Nomos.

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