Klimapolitik ist am Fachbereich Sozialwissenschaften nicht allein seit der neuerlichen Einwerbung eines Exzellenzclusters zur Klimaforschung im Jahr 2019 ein zentrales Thema und passt sich dem universitären Leitbild der Nachhaltigkeit ein. In seinem akademischen Semesterauftakt thematisiert Frank Wendler Klimapolitik in zweifacher Hinsicht: in Bezug auf die Umstrittenheit kognitiver Annahmen über den Klimawandel und seine Folgen, und in Bezug auf das Konfliktpotenzial der für ein politisches Handeln angelegten normativen Maßstäbe. Wie lassen sich Ideenkonflikte als Erklärungsansatz für policy-Entwicklungen der Klimapolitik einsetzen? Der Vortrag umreißt die Eckpunkte eines geplanten Forschungsprojekts zur Untersuchung ausgewählter Mehrebenen-Politikprozesse in den Klimapolitiken der EU und USA seit dem Pariser Abkommen des Jahres 2015.
Dr. Frank Wendler promovierte am DFG-Graduiertenkolleg “Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells” (2005) der Universität Göttingen und habilitierte sich im Jahr 2016 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main mit der Monographie: “Debating Europe in National Parliaments: Public Justification and Political Polarization” (Palgrave Macmillan). Nach Stationen an der Universität Maastricht (Niederlande), dem Wissenschaftszentrum Berlin, der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie der University of Washington in Seattle (USA) ist er seit dem Wintersemester 2019/20 Privatdozent am Fachgebiet Politikwissenschaft der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sein Beitrag für unseren Blog ist die gekürzte Fassung seiner Antrittsvorlesung.
Die Bewältigung des Klimawandels ist mehr als andere politische Fragen eine Auseinandersetzung um Ideen, genauer: ein zentrales Untersuchungsfeld für ihre Bedeutung als diskursiver Begründungsrahmen politischen Handelns. In sehr allgemeiner Form erscheint diese Annahme durch zwei Zusammenhänge begründet: Zum einen ist der Begriff des Klimawandels selbst eine ideelle Konzeption, die von einzelnen materiell fassbaren Ereignissen oder Beobachtungen abstrahiert und Annahmen über Zukunftsentwicklungen auf einer systemischen Ebene – häufig behaftet mit Aussagen über Wahrscheinlichkeiten und Ungewissheiten – formuliert. In welcher Form der Klimawandel als Problem wahrgenommen wird, hängt schon auf dieser Ebene vom gewählten zeitlichen und räumlichen Betrachtungsrahmen, also ideellen Setzungen und Dispositionen ab[1]. Zum anderen ist der Klimawandel kein technisches oder nach reinen Effizienzkriterien lösbares, sondern ein vielschichtiges, häufig mit dem Begriff ‘wicked problem’[2] belegtes Problemfeld: Neben ökonomischen und politischen Streitfragen werden ethische und moralische Bewertungsfragen und Zielkonflikte aufgeworfen, die zum Teil als existentiell für die Lebensweise und Identität der Gesellschaft wahrgenommen werden[3]. Die zunehmende Emotionalität und Polarisierung der klimapolitischen Debatte der letzten Jahre legen hierfür ein deutliches Zeugnis ab.
Wie lassen sich Ideenkonflikte als Erklärungsfaktor für policy-Entwicklungen der Klimapolitik im Rahmen vergleichend angelegter Studien einsetzen? Diese Fragestellung soll im Rahmen dieses Beitrags diskutiert und auf ein zentrales Untersuchungsbeispiel – den Vergleich zwischen der Europäischen Union und den USA seit dem Pariser Abkommen – bezogen werden. Mit dem damit umrissenen, für die nächsten Jahre an der Universität Hamburg geplanten Projekt werden zwei größere Forschungsdebatten der Politikwissenschaft in den Blick genommen: Erstens erscheint Klimapolitik als ein zentrales Beispiel für die Politisierung – also gewachsene Sichtbarkeit, Reichweite und Umstrittenheit – des Regierens jenseits des Nationalstaates. Die politikwissenschaftliche Europaforschung hat zahlreiche empirische Studien zu Verlaufsformen, Intensitäten und Konfliktmustern dieser Expansion öffentlicher Kontroversen zur Politik der EU erbracht[4]. Die theoriegeleitete Erklärung der Effekte einer Politisierung für policy-Entwicklungen im Rahmen der EU und anderer institutioneller Kontexte steht aber noch in den Anfängen. Zweitens tritt die Bedeutung ideeller Faktoren für die globale Klimapolitik durch ihre Verschiebung zu einem als ‘polyzentrisch’ beschriebenen Regime in den Vordergrund. Anknüpfend an eine Begriffsprägung Elinor Ostroms wird damit eine vom Pariser Abkommen des Jahres 2015 verstärkte Rahmensetzung beschrieben, in der verschiedene, überlappende, nicht hierarchisch organisierte Handlungsebenen und Regelungsprozesse zusammenwirken[5]. Ideell fundierte Prozesse wie Vertrauensbildung, experimentelle Erprobung und wechselseitige Anpassung durch Diffusion und Lernen sowie die Lockerung rechtlich verbindlicher Verknüpfungen von Ebenen rücken dabei als Analyseelemente in den Fokus. Die Untersuchung der Wechselwirkung von Ideen und policies nimmt damit deskriptive Annahmen der Polyzentrismus-Literatur auf, zielt aber auch auf die kritische Prüfung ihrer explanatorischen und präskriptiven Aussagen. Die Untersuchung der Effekte von Ideenkonflikten auf policy-Prozesse in Mehrebenen-Systemen erscheint damit hochaktuell und soll mit dem hier vorgestellten Projekt vorangetrieben werden.
Die nachfolgenden Ausführungen gliedern sich in vier Punkte. Zuerst wird die Forschungslage zur Untersuchung klimapolitischer Ideen umrissen und der angestrebte Beitrag des hier beschriebenen Projekts dargestellt. Es folgt eine Einordnung des Forschungsansatzes in die Betrachtung der EU und USA als Vergleichsfälle. In einem dritten Schritt wird die empirische Operationalisierung in Form der Framing-Analyse klimapolitischer Ideen vorgestellt. Der Vortrag schließt mit einer Zusammenfassung und der Formulierung vorläufiger Forschungsthesen.
- Überblick der Forschungslage
Ideen sind nicht als politischer Einflussfaktor an sich, sondern in ihrer Rolle als Referenzpunkt und Rahmen diskursiver Begründungen für politische Prozesse relevant. Dies impliziert, dass ihre Bedeutung für policy-Prozesse in enger Verbindung mit politischem Akteurshandeln und den umgebenden institutionellen Kontext betrachtet wird. In dieser Hinsicht sind bisher vier Forschungsstränge erkennbar, die sich mit der Rolle ideeller Faktoren für die Klimapolitik auseinandersetzen. Diese lassen sich wie folgt stichpunktartig umreißen:
Erstens wird die Rolle von Ideen in der Forschungsliteratur zu klimapolitischen Diskursen aufgegriffen[6]. Die Beiträge zu dieser Literatur sind allerdings zum Großteil hermeneutisch und diskurskritisch orientiert und verfolgen nur selten das Ziel der vergleichend angelegten Erklärung. Zudem stellt sich darin häufig die Frage der Operationalisierung und hypothesengestützten Erfassung des Konfliktpotenzials beziehungsweise der Verknüpfung unterschiedlicher Ideen und Diskurse. Ein zweiter, vor allem im US-Kontext entwickelter Forschungsstrang untersucht ideelle Wahrnehmungen des Klimawandels mit dem Begriff des Framing[7]. Dieser Ansatz erscheint durch die Quantifizierung von Salienz- und Positionsdaten besser an eine erklärende Perspektive anschließbar, konzentriert sich in der vorliegenden Forschung aber noch weit überwiegend auf Mediendiskurse und individuelle Wahrnehmungen. Es liegt noch keine Studie vor, die Framing-Prozesse im Verhältnis verschiedener institutioneller Kontexte, vor allem der öffentlichen Rechtfertigung und legislativen policy-Prozessen der Klimapolitik untersucht. Drittens bildet die wachsende Forschung zu Parteienpositionen zur Frage des Klimawandels einen Bezugspunkt für die hier angesprochenen Fragen[8]. Neben der Auswertung von Parteiprogrammen liegen hier erste Beiträge vor allem zu rechtspopulistischen Parteien und zur Polarisierung der US-Parteien vor, die aber noch nicht in vergleichende Studien der Klimapolitik verschiedener Systeme eingebettet worden sind. Viertens erscheint die Untersuchung von Ideen als Lücke der vergleichend angelegten Systemforschung zur Klimapolitik. Hier existieren zahlreiche Einzelstudien zur Klimapolitik der EU und USA und ihrer Entwicklung als Mehrebenensysteme[9], aber nur sehr wenige direkte Vergleiche. Vor allem wurde bisher keine vergleichende Studie zur Entwicklung dieser beiden Entitäten seit dem Pariser Abkommen vorgelegt.
Zusammenfassend lässt sich ein wachsendes Interesse der Forschung für Ideen als Analyseaspekt der Klimapolitik erkennen. Es liegen aber kaum Versuche vor, diese als Erklärungsfaktor in vergleichende Systemanalysen einzubeziehen und daraus theoriegeleitet Unterschiede der policy-Entwicklung zu erklären. Vor dem Hintergrund dieser Forschungslage können drei Fragen für das hier verfolgte Forschungsprogramm spezifiziert werden:
- Wie können unterschiedliche Konfliktgrade der Klimapolitik aus Ideen hergeleitet und erklärt werden?
- Wie kann die Zusammenführung klimapolitischer Ideen zu entscheidungsfähigen Diskurskoalitionen in vergleichender Perspektive erklärt werden?
- Wie kann die Einwirkung öffentlicher Kontroversen (politics-Dimension) auf inhaltliche Politikprozesse (policy-Dimension) erklärt werden?
Diese Forschungsfragen stehen im Mittelpunkt des Forschungsprojekts, das im Rahmen dieses Vortrags in Eckpunkten vorgestellt werden soll. Um den Ansatz dieses Projekts zu verdeutlichen, ist zuerst auf die Fallauswahl – also den Vergleich von EU und USA seit dem Pariser Abkommen im Jahr 2015 – einzugehen.
- Fallvergleich der Klimapolitiken der EU und USA
Ein Vergleich der Klimapolitiken der EU und USA ist für die Forschung zu politischen Mehrebenen-Systemen von herausragendem Interesse: Beide Systeme weisen institutionelle und ökonomische Ähnlichkeiten, aber eine stark kontrastierende policy-Entwicklung in der Klimapolitik auf. Nachfolgend soll ein Überblick gegeben werden, wie die potenzielle Erklärungskraft von Ideen für policy-Ergebnisse im Vergleich zu anderen erklärenden Variablen abgeschätzt werden kann.
Zunächst also zur abhängigen Variable: Wie stark unterscheidet sich der policy-output von EU und USA in der Klimapolitik? Als günstig für diesen Abgleich erscheint zunächst die Tatsache, dass beide Systeme sich seit dem Pariser Abkommen zu demselben globalen Vereinbarungsrahmen bekannt haben. Beide diskutieren ähnliche Ansätze zur Reduzierung von Treibhausgasen, vor allem Emissionshandel zur Bepreisung von Karbonemissionen, sowie die Förderung erneuerbarer Energien durch die Setzung von Rahmenvorgaben auf der föderalen beziehungsweise supranationalen Ebene und Umsetzungsprozessen in den Einzelstaaten. Vor diesem Hintergrund können die Unterschiede der policy-Entwicklung beider Systeme gut kontrastiert werden: Für die EU lässt sich seit dem Pariser Abkommen eine moderat progressive, relativ lineare und zwischen den politischen Ebenen abgestimmte Entwicklung – zuletzt durch die Revision bestehender klimapolitischer Instrumente für die Zeitphase nach 2020 – feststellen[10]. Kennzeichnend für die USA sind dagegen immer neue Anläufe zur Etablierung eines Emissionshandel-Systems, der über einzelstaatliche und regionale Arrangements hinausgeht, die rechtlich umkämpfte Weiterentwicklung des von Präsident Obama eingeführten Clean Power Plan und eine zunehmende Polarisierung zwischen politischen Akteuren und politischen Ebenen[11]. Als politisches Streitthema ist der Klimawandel somit auch in den USA relevant und hat durch die Initiative für einen ‘Green New Deal’ und die Positionierung der Kandidat(inn)en für die kommende Präsidentschaftswahl hohe Bedeutung erlangt. Zusammengefasst besteht der Unterschied beider Systeme also nicht in der Thematisierung des Klimawandels als eines politischen Problems. Unterschiede werden im Grad der policy-Instabilität und der Polarisierung politischer Akteure und Ebenen erkennbar. Woher rührt diese Diskrepanz?
Auf der Suche nach Erklärungsansätzen können verschiedene, auch nicht-ideelle Faktoren betrachtet werden. Allerdings erscheint dabei eine erste, vorwiegend materiell definierte Variable wenig erklärungsfähig: Die tatsächliche oder zukünftig erwartete Betroffenheit vom Klimawandel durch Dürren, Hitzeperioden und extreme Wetterereignisse scheidet als Erklärung praktisch vollständig aus. Sie erscheint weder in der Lage, regionale Unterschiede innerhalb der EU und USA noch ihre unterschiedlichen Klimapolitiken insgesamt als Entitäten zu erklären. Auf einer grundsätzlichen Ebene unterstützt diese Beobachtung durchaus die Annahme, dass zwischen den (erwarteten) materiellen Effekten des Klimawandels und politischen Reaktionen darauf eine Ebene der ideellen Wahrnehmung und Deutung liegt, die durch ‘domestic politics’-Faktoren – also das Wechselverhältnis von Ideen, Akteuren und Institutionen – erfasst werden muss.
Eine zweite Erklärungsvariable besteht in ökonomischen Faktoren, vor allem dem Stellenwert karbonintensiver Schwerindustrien und Kohleförderung, sowie dem Entwicklungsgrad karboneffizienter Technologien und Infrastrukturen, etwa im Transport- und Gebäudesektor. Vorliegende Studien der politischen Ökonomie zu dieser Frage, in denen die klimapolitische Aktivität der US-Bundesstaaten und EU-Mitgliedsländer anhand eines Index erfasst und mit ökonomischen Daten in Beziehung gesetzt wird, zeichnen ein uneindeutiges Bild[12]. Zwar ergibt sich ein grober, wenn auch mit Abweichungen versehener Zusammenhang zwischen Wirtschaftsstruktur und klimapolitischer Ausrichtung der Teilstaaten von EU und USA. Vor allem erscheint aber die Abweichung zwischen beiden Entitäten und die starken Schwankungen der policy-Entwicklung in den USA kaum mit diesem Ansatz erklärbar.
Ein dritter Erklärungsansatz nimmt institutionelle Merkmale beider Systeme in den Blick. In dieser Hinsicht lassen sich zunächst einige Ähnlichkeiten ausmachen: Hierzu gehört eine bikameral verfasste, von der Exekutive unabhängige Legislative in den politischen Systemen der EU und USA und eine (quasi-)föderal verfasste Aufteilung politischer Kompetenzen im Mehrebenensystem. Ähnlich sind zudem die vielfachen Checks und Balances beider Systeme und Entscheidungsregeln, die häufig qualifizierte Mehrheiten für politische Gestaltung erfordern. Unterschiede treten aber vor allem in bezug auf zwei Punkte – das stärker adversarial angelegte Verhältnis politischer Akteure im Rahmen der horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung der USA sowie die Offenheit und Transparenz des Zugangs zu Agenda-Setting und Vetopunkten der Legislative – zutage. Diese institutionellen Unterschiede lassen sich durchaus für eine Erklärung der größeren Polarisierung und Instabilität der policy-Entwicklung in den USA geltend machen[13]. Allerdings bleibt diese Erklärung generisch: Verdeutlicht wird lediglich der institutionelle Rahmen, in dem konkurrierende Ansichten zur Klimapolitik verhandelt werden. Die Ausrichtung und Begründung von policies in beiden Systemen und die Frage, welche Rolle konkurrierende Akteure und Interessen für Unterschiede des policy-Output spielen, bleiben weitgehend im Dunkeln.
Ein vierter Erklärungsansatz fokussiert schließlich auf die Bedeutung von Einstellungen und Ideen. Aus der bestehenden Forschungslage ergibt sich in bezug auf dieses Faktorenbündel ein unklares Bild: Individuelle Einstellungen gegenüber der Frage, ob der Klimawandel existiert und eine politische Handlungsaufgabe darstellt, liegen in den USA zwar auf einem niedrigeren Zustimmungsniveau als in der EU und den meisten ihrer Mitgliedstaaten. Trotzdem weisen vorliegende Studien auf vorhandene Mehrheiten für ein Handeln gegen den Klimawandel auch in den USA hin. Als Problem für die Einordnung dieser Befunde stellen sich aber starke zeitliche und regionale Schwankungen dar. Darüber hinaus variieren die Beobachtungen stark mit der Einordnung des Klimawandels im Rahmen der für Befragungen verwendeten Fragestellung: Dazu gehört, ob die Thematik als Global Warming oder Climate Change bezeichnet, und in welchen Zusammenhang sie mit Themen wie Wirtschaftswachstum, Jobverlusten, dem Wohlergehen zukünftiger Generationen oder dem Erhalt von Ökosystemen gebracht wird[14]. Noch eine zweite Beobachtung ergibt sich aus dem Vergleich ideeller Aspekte der klimapolitischen Debatte in der EU und den USA: Auf der Ebene öffentlicher Kontroversen ist die parteipolitische Polarisierung in den USA deutlich schärfer ausgeprägt als im europäischen Raum. Auf der Ebene spezifischer policies werden dagegen grundsätzlich ähnliche Ansätze und ein intensiver Austausch von Ideen zwischen der EU und den USA erkennbar, vor allem bei der Entwicklung des Emissionshandels[15]. Bündnisse zwischen Unternehmen, Regionen und Städten, die gemeinsame Konzepte und Ideen zum Klimawandel aufgreifen, entwickeln sich zudem auf transnationaler Ebene und damit quer zur Unterscheidung zwischen beiden als politischen Entitäten. Daraus ergibt sich erneut die Frage, wie klimapolitische Kontroversen im öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Raum in konkrete policies übertragen werden.
Insgesamt erscheinen somit vor allem zwei Variablengruppen – Institutionen und Ideen – relevant für die Erklärung des hier angesprochenen Forschungsproblems. Auf der theoretischen Ebene lehnt sich das Projekt daher an Überlegungen des Diskursiven Institutionalismus an. Das Erkenntnisinteresse dieser Theorieströmung richtet sich auf die Erklärung von policy-Wandel durch die Wechselwirkung politischer Diskurse und der sie tragenden Akteure[16]. In den Blick rückt vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Prozessen öffentlicher Rechtfertigung (die aus dieser Theorieperspektive als kommunikativer Diskurs bezeichnet werden), und der institutionell stärker formalisierten Aushandlung spezifischer policies (darin bezeichnet als koordinativer Diskurs). Das vollständige Theoriemodell des Projekts, das auch Anleihen des in der policy-Forschung profilierten Advocacy Coalition Framework[17] übernimmt, kann und soll hier nicht vollständig dargelegt werden. Im folgenden soll aber auf eine für das empirische Forschungsprogramm zentrale Frage eingegangen werden: Wie lassen sich Ideen zur Frage des Klimawandels empirisch erfassen und für ein theoretisch fundiertes Erklärungsmodell fruchtbar machen?
- Framing: Begriffsdefinition und Typologisierung
Für die Operationalisierung des empirischen Forschungsprogramms bietet sich der Ansatz der Framing-Analyse an. Dieser ist in der Politikwissenschaft für die Betrachtung öffentlicher Diskurse und parteipolitischer Konfliktmuster, aber auch als Begriff für die institutionelle und politische Rahmung spezifischer policy-Prozesse etabliert[18]. Framing definiert sich als Bindeglied zwischen Akteurshandeln und politischem Diskurs, spezifischer: eine für die Effektivität politischer Kommunikation notwendige, durch den Diskurs politischer Akteure vermittelte Vereinfachung und interpretierende Einordnung komplexer Probleme in einen sinngebenden Zusammenhang. Zentral für das Framing ist also die Herstellung von Verknüpfungen zwischen einem spezifischen politischen Problem und einer allgemeiner gefassten Idee, die Deutungen und Wertungen dieses Problems ermöglicht. Mit der kanonischen Definition von Robert Entman ist Framing also vor allem interpretierende Vereinfachung: “Framing essentially involves selection and salience. To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation”[19]. Zentral für den hier gewählten Ansatz ist dabei, dass Framing nicht auf der Objekt-, sondern der Rechtfertigungsebene verortet wird: Es geht also nicht darum, ob Akteure über Klimawandel oder andere Themen sprechen, sondern in welchen Zusammenhang sie ihre Aussagen über den Klimawandel stellen.
Für die Konzeption empirisch anwendbarer Frames stellen sich mehrere, miteinander verbundene Fragen. Dazu gehört, wie sich die Vielschichtigkeit der Klimadebatte einfangen lässt: Zu dieser Kontroverse gehören Aussagen zum Klimwandel und seinen Konsequenzen, zur Eingrenzung der Ziele, Akteure und Institutionen der Klimapolitik und schließlich die Bewertung spezifischer policy-Instrumente. Daran knüpft die Frage an, wie sich Frames unterscheiden und miteinander verknüpfen lassen, die auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen institutionellen Kontexten relevant sind: Es kann erwartet werden, dass öffentliche Rechtfertigungen der Klimapolitik auf eher allgemein gefasste und grundsätzliche Frames gestützt, Entscheidungen im Rahmen einzelner policy-Prozesse aber spezifischer gefasst werden. Dies lässt sich an Beispielen leicht verdeutlichen: Die Begründung legislativer Regelungsansätze zur Vermeidung von ‘carbon leakage’ im Emissionshandel der EU rekurriert zwangsläufig auf spezifischer gefasste Argumente als generelle Appelle zum Handeln in der öffentlichen Kontroverse, die sich auf die Darstellung des Klimawandels als Überlebens- oder Gerechtigkeitsfrage berufen. Trotzdem erfordert die hier formulierte Forschungsfrage eine Antwort auf die Frage, wie Frames auf der Rechtfertigungs- und policy-Ebene zusammenhängen, und in welchen Konstellationen sie kompatibel werden beziehungsweise polarisierend wirken. Schließlich stellt sich die Frage der Eingrenzung von Frames als forschungslogisches Problem: die Abwägung ist hier, ob eine begrenzte Anzahl deduktiv hergeleiteter Frames adäquat für die Erfassung empirischer Politikprozesse ist – oder ob induktive Ansätze der Aufdeckung verschiedener Begründungsformen eingesetzt werden müssen, die schnell zu einer Vielzahl unterschiedener Frames führen können. Damit verbindet sich auch grundsätzlich die Abwägung zwischen einem hermeneutisch-kritischen und einem explanatorischen Erkenntnisinteresse der Framing-Analyse.
Wie also die Komplexität der Klimadebatte einfangen, theoriegeleitete Verbindungen zwischen politics und policy aufzeigen und dabei nicht in einer Vielzahl von Framing-Varianten untergehen? Der hier gewählte Lösungsansatz besteht darin, eine zweifache Unterscheidung von Ideentypen und –ebenen vorzunehmen und diese in Form von sechs Rechtfertigungsformen zu konkretisieren. Diese Typologisierung wird im folgenden in drei Schritten erläutert.
Erstens unterscheidet die hier herangezogene Literatur – dazu gehören das Advocacy Coalition Framework und die Forschung zu policy-Paradigmen[20] – drei Ebenen von Ideen, die für diskursive Rechtfertigung eine Rolle spielen können. Die höchste Reichweite haben paradigmatische Ideen (deep core beliefs). Diese stehen für grundlegende ontologische und normative Annahmen über die Realität und die Verbindung zwischen Menschen als Teil einer politischen Gesellschaft. Mit dieser Kategorie werden Ideen erfasst, mit denen Aussagen über die Zusammenhänge und Qualität des Klimawandels und seiner Bedeutung für das menschliche Zusammenleben begründet werden. Im Kern filtert dieser Ideentyp also Antworten auf die Frage: Warum ist der Klimawandel ein Problem? Damit verbunden ist eine zweite Ebene programmatischer Ebenen (core policy beliefs), mit denen das politische Handeln gegen den Klimawandel begründet und in einen zeitlichen, räumlichen und institutionellen Rahmen gesetzt wird. Mit diesem Ideentyp werden also Begründungen unterschieden, die unterschiedliche Prinzipien und Ziele der Klimapolitik – wie wirtschaftliche Effizienz, menschliche Sicherheit oder globale Gerechtigkeit – etablieren und politische Handlungsrahmen dafür identifizieren. Dieser Ideentyp gibt also Antworten auf die Frage: Welche Ziele hat die Klimapolitik? Auf einer dritten Ebene steht der Begriff der policy-Ideen (secondary policy beliefs) für ideelle Konzepte, mit denen die Wirksamkeit und Angemessenheit von spezifischen policy-Instrumenten bewertet wird. Dieser Ideentyp dient also als Raster für Antworten auf die Frage: Welche Instrumente sind richtig für die Verwirklichung der Klimapolitik? Mit dieser Unterscheidung erscheint zumindest eines der oben formulierten Probleme gelöst, indem Aussagen über Klimawandel, Klimapolitik und spezifische policies systematisch unterschieden werden können.
In einer zweiten Stufe werden innerhalb der genannten Ebenen zwei Typen von Begründungen, nämlich normative und kognitive Ideen und daraus abgeleitete Frames unterschieden[21]. Normative Ideen sind Konzepte, mit denen Wertungen und Geltungsgründe als a priori wünschenswert und handlungsleitend vorgegeben werden. Sie folgen damit einer Rechtfertigungslogik der Angemessenheit (gemäß der aus der institutionalistischen Literatur bekannten ‘logic of appropriateness’). Kognitive Ideen etablieren dagegen Rationalitätskriterien, die auf Kausalaussagen über Zusammenhänge zwischen Ursache und Effekt basieren. Die daran anknüpfende Rechtfertigungslogik thematisiert somit keine Wertungsaussagen und ist mit der institutionalistischen ‘logic of consequentiality’ vergleichbar. Aus dem Vergleich beider Rechtfertigungstypen ergeben sich zwei sehr unterschiedliche Formen der Begründung politischen Handelns: Normativ gerahmte Argumente stellen a priori gesetzte Werte und Normen in den Vordergrund, die anschließend auf Annahmen über die Wirkungsweisen des Klimawandels und der Klimapolitik übertragen werden. Dieser Begründungstyp erscheint damit stärker an parteipolitisch, kulturell oder ideologisch gefestigte Positionen gebunden, weniger verhandelbar und daher von relativ grundsätzlicher Konfliktqualität. Kognitiv gerahmte Argumente fokussieren dagegen auf angenommene Wirkungseffekte des Klimawandels oder der Klimapolitik, die erst in einem zweiten Schritt auf implizite Werthaltungen oder Ideologien angewendet werden. Dieser Begründungstyp wird deswegen als weniger parteipolitisch oder ideologisch gebunden, und daher weniger konfliktintensiv und eher an verschiedene ideologische Lager anschließbar angesehen. Es ergeben sich damit erste Aufschlüsse auf die Konfliktqualität von Frames und die Kopplungseffekte zwischen politics und policy, die oben angesprochen wurden.
Insgesamt erscheint auch diese Typologisierung nach Ideentypen und -ebenen noch zu grob, um die sehr vielschichtige Kontroverse zur Frage des Klimawandels adäquat erfassen zu können. In einem dritten Schritt werden deswegen der normative und kognitive Ideentyp nochmals in jeweils drei spezifischere Rechtfertigungsformen aufgespalten, die auf unterschiedliche Begründungskriterien zurückgreifen. Normatives Argumentieren wird damit unter Rückgriff auf diskurstheoretische Ansätze in drei Varianten unterschieden: Moralisches Argumentieren rekurriert auf Ideen der Gegenseitigkeit und Reziprozität, die vor allem in Begriffen der Gerechtigkeit und Legitimität konkretisiert werden. Davon unterscheidet sich ein ethischer Diskurstyp, der spezifische Wertorientierungen für eine bestimmte soziale Gruppe als intrinsisch wertvoll und handlungsleitend thematisiert. Davon nochmals unterschieden wird ein kulturell-identitärer Argumentationsansatz, der Normen oder Symbole als prägend für die kollektive Identität einer bestimmten sozialen Gruppe identifiziert. Von diesen normativen Rechtfertigungsformen unterscheidet sich das Argumentieren mit kognitiven Ideen dadurch, dass kausale Aussagen über Wirkungseffekte getroffen werden, die sich an verschiedenen Typen von Ressourcen bemerkbar machen. Drei unterschiedliche Ressourcen werden auf dieser Ebene unterschieden: Ein erster Ideentyp bezieht sich auf politische Ressourcen, die als Mittel zur Durchsetzung politischer Vorhaben – wie Unterstützung, Zugang, formale Legitimation oder Vetomacht – thematisiert werden. Eine zweite Ressourcenebene, die durch kognitive Frames erfasst wird, besteht in Auswirkungen für die materielle Sicherheit von Einzelnen und der Gesellschaft, die durch wissenschaftlich fundierte Aussagen zu Effekten des Klimawandels thematisiert werden. Ein dritter Begründungstyp besteht in der Bezugnahme auf ökonomische Ressourcen und Verteilungseffekte, die aus Entwicklungen des Klimawandels und der Klimapolitik abgeleitet werden. Insgesamt ergibt sich aus dieser Herleitung also eine Unterscheidung von sechs zentralen Ideentypen, aus denen klimapolitische Frames abgeleitet und die für die empirische Analyse eingesetzt werden. Diese sechs Begründungsrahmen lassen sich wie folgt konkretisieren und an Beispielen illustrieren:
Als moralischer Frame werden Begründungen der Klimapolitik bezeichnet, die sich auf Kriterien der wechselseitigen Verpflichtung und Reziprozität, vor allem die Begriffe der Gerechtigkeit[22], Verantwortung und Wahrhaftigkeit beziehen. Ein offensichtliches Beispiel für dieses Framing sind Argumente der Fridays for Future-Bewegung, die ein sofortiges und drastisches Handeln gegen den Klimawandel mit der Verpflichtung der heutigen gegenüber zukünftigen Generationen einfordert. Allerdings erfasst dieser Framing-Typus ebenso progressive wie auch gegen die Klimapolitik gerichtete Argumente. Für die diskursive Gegenposition steht die grundsätzliche Zurückweisung des Klimawandels als Schwindel und Verschwörung (‘hoax’), die vor allem in Teilen der US-amerikanischen Rechten[23], aber auch durch national-populistische Parteien im europäischen Rahmen eingesetzt wird. Dieses fundamental kritische Argument wird als moralisch begründet eingestuft, weil es im Kern die Aufrichtigkeit und Integrität der Diskursgegner angreift: Diesen wird unterstellt, den Klimawandel aus feindseligen Motiven zu erfinden oder zu dramatisieren. Als moralisch fundierter Einwand gegen die Befürworter von Klimapolitik erscheint der Vorwurf eines ‘hoax’ auch deswegen, weil er der Diskussion um den Klimawandel die Wahrhaftigkeit abspricht und ihr damit die Legitimität entzieht. Angesprochen sind damit moralisch gerahmte Argumente auf der paradigmatischen Ebene. Die nachgeordneten Begründungen auf der programmatischen und policy-Ebene sollen hier nur kurz damit umrissen werden: Sie thematisieren Klimapolitik als Querschnittsaufgabe und stellen Verteilungs- und Kompensationsfragen als Gerechtigkeitsfrage in den Raum.
Ein zweiter, ökologischer Frame etabliert einen ethischen Begründungsansatz, der die Intaktheit von Ökosystemen als intrinsisch wertvolles, auch von unmittelbarem menschlichem Nutzen unabhängiges Ziel einfordert[24]. Dieser Begründungsansatz ist der vermutlich am stärksten mit visuellen Symbolen aufgeladene und mit umweltpolitischen Aktivisten verbundene: Vor allem Bezüge zur Arktis, aber auch Darstellungen des Erdballs aus dem Weltraum, Wüstenlandschaften oder verkrustete Flußbetten gehören zu diesen bildlich oder sprachlich aktivierten Assoziationen. Als Kategorie zur Einordnung diskursiver Positionen erfasst dieser Frame aber auch die kritisch angelegte Gegenposition, die ökologische Ziele in ihrer Relevanz anzweifelt und explizit anthropozentrische Entwicklungsziele höher gewichtet. In der Extremform dieser kritischen Gegenposition werden Klimaaktivisten und ihre Unterstützer, zum Teil auch Wissenschaftler als fanatisierte Gruppe oder (quasi-)religiöse Sekte diskreditiert, deren Wertesystem als einseitig und menschenfeindlich abgelehnt wird. Auf der programmatischen Ebene erscheint das Handeln gegen den Klimawandel daraus abgeleitet als umweltpolitische Aufgabe. Das prioritäre Ziel der Begründungen bleibt aber die Erhaltung der natürlichen Lebensumwelt, die in Bezug zu wirtschaftlichen oder politischen Belangen gesetzt und bewertet werden.
Ein dritter, eng mit Fragen kollektiver Identität verbundener Begründungstyp wird als kultureller Frame bezeichnet. Im Vordergrund dieses überwiegend kritisch eingesetzten Frames steht der Maßstab der individuellen Freiheit als Ausdruck der Möglichkeit, kulturell und gesellschaftlich etablierte Lebensweisen behalten und fortführen zu können. Die Forderung, der Klimawandel dürfe keine Verzichtgesellschaft erzeugen, zielt auf den Kern dieses Begründungsansatzes. Verbundene Argumente beziehen sich auf die freie Verfügbarkeit von Mobilität mit Auto und Flugzeug, Fleischkonsum und tradierte Bindungen an Industrien und damit verbundene Milieus. Angesprochen werden innerhalb dieses Frames auch Beharrungsargumente zugunsten nationaler Souveränität und Selbstbestimmung: Ein zentrales Beispiel dafür ist die Begründung von US-Präsident Trump für den Rückzug aus dem Pariser Abkommen mit dem Argument, die eigene nationale Selbstbestimmung müsse ungeachtet globaler Vorgaben oder vermeintlich spekulativer Folgen des Klimawandels behauptet werden. Auf der programmatischen und policy-Ebene setzt dieser Framing-Typus folglich bei Kriterien der Freiwilligkeit und Wählbarkeit von Optionen, und gegen ein staatlich interventionistisches oder sogar global verbindliches Klimaregime an.
Zusammenfassend soll damit nochmals auf eine Gemeinsamkeit der hier dargelegten normativen Frames hingewiesen werden: Ihr diskursives Profil gewinnen die daraus gewonnenen Argumente nicht primär aus der Betrachtung des Klimawandels, sondern der Forderung nach den normativen und kulturellen Prinzipien, mit denen ihm begegnet werden soll. Im Vordergrund steht die Darstellung von Gerechtigkeitsbeziehungen und ethischen oder kulturellen Grundsätzen, die ausschlaggebend dafür sind, welche Ausschnitte der wissenschaftlichen Zusammenhänge des Klimawandels überhaupt betrachtet werden. Das dadurch abgedeckte Spektrum politischer Argumente ist hochgradig kontrovers und reicht von Forderungen zum radikalen Umdenken in globaler Perspektive zum Beharren auf nationaler oder kultureller Selbstbestimmung.
Die Bezugnahme auf kausale Zusammenhänge des Klimawandels und der Klimapolitik rückt bei den drei unterschiedenen kognitiven Framing-Typen in den Vordergrund. Am vordergründigsten wissenschaftlich fundiert ist ein epistemischer Frame, mit dem im weitesten Sinne materielle Gefährdungen der menschlichen Sicherheit durch Effekte des Klimawandels thematisiert werden[25]. Dazu gehört die Darlegung eines Handlungsbedarfs wegen der Gefährdung von Menschen durch extreme Wetterereignisse, Hitze- und Dürreperioden und veränderte Infektionsrisiken, aber auch Risiken durch klimabedingte politische Instabilität und daraus resultierende Konflikte. Das zentrale Kriterium dieser Begründungen ist das der materiellen Sicherheit. Das kritische Gegenstück zu dieser Deutung besteht in der Minimierung oder Relativierung von Risiken mit Gründen, die zumindest als wissenschaftlich fundiert dargestellt werden. Dazu gehören die (natürlich fragwürdigen bis evident falschen) Behauptungen, der derzeitige Klimawandel sei nicht messbar, nicht anthropogen bedingt, in seinen Konsequenzen insgesamt positiv für Ökosysteme oder nur eine Wiederholung früherer Warmphasen, wie etwa im Mittelalter. Zentraler Angriffspunkt ist der Vorwurf des Alarmismus oder der Hysterie, mit dem die Wissenschaftlichkeit der Aussagen zum Klimawandel zurückgewiesen oder als übersteigert oder einseitig abgelehnt werden. Der hier gewählte Ansatz zieht dabei bewusst wissenschaftlich fundierte und pseudo-wissenschaftliche Argumente in einem gemeinsamen Frame zusammen: Geprüft wird damit, zu welchem Grad die Erkenntnisgrundlagen zum Klimawandel selbst als strittig thematisiert werden.
Ein zweiter kognitiver Begründungstyp, der als politischer Frame bezeichnet wird, rekurriert auf Kriterien der Unterstützung und Durchsetzbarkeit des Handelns gegen den Klimawandel. Zentral für die Begründung ist das Argumentieren mit politischen Machbarkeiten. Ein positiver Begründungsansatz in diesem Rahmen beruft sich auf die gewachsene Unterstützung der politischen Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlicher Organisationen für ein konsequentes Handeln. Allerdings thematisiert dieser Frame den Klimawandel auch als Kooperationsproblem, vor allem in Hinblick auf die globale Ebene. In diesen Kontext gehört das Argument klimaskeptischer Parteien, dass stringente Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen im nationalen oder regionalen Rahmen ohne Folgebereitschaft der größten Emittenten – vor allem Indiens und Chinas – ökologisch zwecklos und damit eine schädliche Form der Selbsttäuschung sind. Auch in abgeschwächter Form ist das Argument, Vorbehalte der Bürger(innen) gegen zu schnelle Einschnitte müssten ernstgenommen werden, für klimapolitische Debatten offenkundig relevant: Die Rechtfertigung des Klimapakets der Bundesregierung als Ausdruck des politisch (zunächst) Machbaren ist dafür nur das jüngste Beispiel. Neben das Framing des Klimawandels als Kooperationsproblem tritt auf der programmatischen Ebene ein Framing der Klimapolitik durch politisch definierte Wahl- und Handlungszyklen (etwa die Revisionsphasen der EU-Klimaprogramme) und die Frage der Durchsetzbarkeit von Instrumenten auf der policy-Ebene, wie etwa die Form der Karbonbepreisung.
Zu betrachten ist schließlich ein ökonomischer Frame, mit dem wirtschaftliche Anreize und Folgeeffekte des Klimawandels und klimapolitischer Maßnahmen thematisiert werden[26]. Mehr noch als die anderen Frames erscheint dieser Begründungstyp ambivalent, also sowohl zur Unterstützung als auch Ablehnung eines entschlossenen Handelns zur Reduktion von Treibhausgasen einsetzbar. Auf progressiver Seite steht das Argument der Vermeidung relativ höherer Folgekosten eines Nichtstuns, das vor allem durch den Stern-Report im Jahre 2006 prominent etabliert worden ist. Auch das Argumentieren mit ökonomischen Anreizen durch Effizienzgewinne, technologische Innovation und Zukunftsmärkte ist in diesem Zusammenhang relevant. Aus diesem Framing ergibt sich eine programmatische Definition der Klimapolitik als Wirtschafts- und Energiepolitik; auf der policy-Ebene werden regulatorische Instrumente vor allem nach ihrer Effizienz und Markttauglichkeit bewertet, wie etwa bei der Konzeption des Emissionshandels. Offensichtlich stehen dem aber auch ökonomisch gerahmte Argumente gegenüber, die eine stringente Klimapolitik als kostenträchtig, wachstumshemmend und schädlich für betroffene Industrien und Arbeitsplätze ablehnen. Es wird daher erwartet, dass der ökonomische Frame noch stärker als andere Begründungsrahmen gegensätzliche, auch parteipolitisch polarisierte Positionen bündelt.
Aus diese Darlegungen sollte deutlich geworden sein, dass die hier konzipierten Frames zur Bündelung kritischer und progressiver Positionen eingesetzt, also auch jeweils potenziell von Befürwortern und Gegnern einer stringenten Klimapolitik verwendet werden. Dieser Ansatz zielt auf die Erfassung von Brennpunkten der politischen Kontroverse, in denen sich konträre, aber jeweils auf denselben Kriterien beruhende Argumente bündeln. Damit ist die bewusste Entscheidung verbunden, die Leugnung des Klimawandels nicht als eigenen, von den übrigen Begründungstypen abgetrennten Frame zu betrachten, aus einem einfachen Grund: Die empirischen Vorarbeiten zu diesem Thema demonstrieren, dass auch fundamental kritische Ablehnungen der Klimapolitik weder einheitlich gefasst sind noch pauschal die Existenz des Klimawandels verneinen. Vielmehr entzündet sich die politische Kontroverse auch bei Anerkennung der wissenschaftlichen Grundlagen der Erderwärmung an Fragen der Gerechtigkeit, Anerkennung, Effektivität und Wirksamkeit. Insgesamt ergibt die Aufstellung klimapolitischer Frames eine Matrix aus sechs zentralen Begründungstypen der Klimapolitik, die als empirischer Analyserahmen eingesetzt werden kann. Diese Unterscheidung hat dabei keine rein deskriptive Funktion, wie abschließend argumentiert werden soll.
- Zusammenfassung und Forschungsthesen
Der hier vorgestellte Analyserahmen soll abschließend auf die oben formulierten drei Fragen bezogen werden. Dabei lassen sich die folgenden Forschungsthesen ableiten, die im Rahmen der empirischen Untersuchung von EU und USA noch eingehender zu prüfen sind:
Erstens ergeben sich Rückschlüsse aus der hier angestellten Systematisierung von Ideen auf ihre Konfliktqualität. Es wird angenommen, dass paradigmatische Ideen als grundsätzliche Deutungen der Realität stärker polarisierend wirken und eine höhere Konfliktintensität erzeugen als die nachgeordneten programmatischen und policy-spezifischen Ideen. Daran anknüpfend wird erwartet, dass normative Ideen eine stärkere Konfliktqualität aufweisen als kognitive, da sie stärker an ideologische Orientierungen oder sogar Identitätskonzepte anknüpfen und daher stärker zwischen ihren politischen Trägern polarisieren. Vor allem moralische Frames haben aus dieser Sicht eine hohe Konfliktqualität, da sie eine Allgemeingültigkeit von politschen Handlungsmaßstäben postulieren und damit vor allem von Diskursgegnern drastische Anpassungen verlangen: Wer Gerechtigkeit fordert oder Wahrhaftigkeit anmahnt, stellt diesen Anspruch im politischen Diskurs meist als Veränderungsappell gegenüber anderen. Kognitive Ideen sind als Aussage über Ursache-Effektbeziehungen dagegen besser an verschiedene ideologische Kontexte anschließbar und werden daher als stärker verhandelbar angesehen.
Zweitens eröffnet das Analyseraster eine theoretische Perspektive auf die Erklärung von Diskurskoalitionen und ihre Entstehung. Aus der Sichtweise des hier gewählten Ansatzes entstehen Koalitionen aus dem Pooling politisch relevanter Ressourcen, das die Träger unterschiedlicher ideeller Perspektiven zusammenbringt. Koalitionen entstehen also aus der Verbindung unterschiedlicher Frames, mit denen gemeinsame Präferenzen für politisches Handeln unterstützt werden, etwa bei der Befürwortung des Emissionshandels aus einer ökologisch fundierten Wirksamkeits- und einer ökonomisch begründeten Effizienzperspektive. Insgesamt erscheinen konkrete klimapolitische Initiativen somit auch eher politisch durchsetzbar, wenn sie nicht auf einen einzelnen (polarisierenden) Frame, sondern eine Verknüpfung unterschiedlicher Zugänge gestützt sind. Diese Ansicht erscheint grundsätzlich nicht neu und wurde etwa für die Erklärung des Aufstiegs von Emissionshandel-Systemen bereits erprobt, ist aber bisher kaum systematisch vergleichend geprüft worden.
Die als dritter Punkt angesprochene Verbindung zwischen öffentlich thematisierten Kontroversen zum Klimawandel und policy-Prozessen kann hier nur umrissen werden. Der vorgestellte Analyserahmen für Frames liefert aber einen wichtigen Hinweis für die Kopplung beziehungsweise Disruption beider Ebenen: Es kann angenommen werden, dass Frames mit hoher Reichweite (also vor allem paradigmatische Begründungen) im öffentlichen Diskurs eine relativ vorrangige, im policy-Prozess dagegen geringere Bedeutung einnehmen. Hier spielen eher policy-spezifische Frames und ihre programmatische Einordnung eine Rolle. Kohärente, und politisch durchsetzbare policy-Optionen in der Klimapolitik entstehen somit vor allem dann, wenn Rechtfertigungs- und policy-Frames auf denselben oder zumindest miteinander verbundenen Ideen aufbauen. Gegensätze zwischen Frames im öffentlichen Diskurs und policy-Ansätzen erscheinen dagegen konflikthafter und weniger durchsetzbar. Insofern sind stark moralisch aufgeladene Frames wie der Diskurs der Fridays for Future-Bewegung (oder auch der Initiativen für einen Green New Deal im US-amerikanischen Kontext) schwieriger in konkrete policy-Prozesse übersetzbar als pragmatischer orientierte, mit politischen und ökonomischen Argumenten gerahmte Initiativen.
Der gesamte theoretische Untersuchungsrahmen des Projekts – und vor allem seine institutionellen Aspekte – kann hier ebenso wie die Einzelheiten des Forschungsdesigns nicht vorgestellt werden. In der Hauptsache geht es aber um das Argument, dass Ideen zentral für Kontroversen zum Klimawandel und das politische Handeln gegen die Erderwärmung sind. Es wurde argumentiert, dass in bezug auf ideelle Faktoren ein nicht ausgeschöpftes Potenzial für vergleichende Systemanalyse brachliegt, vor allem in bezug auf einen Vergleich der EU und USA als Mehrebenensysteme. Der Framing-Ansatz erscheint als Instrument zur Erfassung damit thematisierten Ideenkonflikte als sehr leistungsfähig, aus zwei Gründen: Neben der Rekonstruktion von Rechtfertigungen lassen sich damit wie gezeigt die Brennpunkte polarisierter Kontroversen zur Klimapolitik systematisch nachzeichenn. Ein zweiter Vorteil liegt in der Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit einem Methodenmix, durch den quantitatives Mapping und qualitative Fallanalyse kombiniert werden können. Der Klimawandel bedeutet sehr unterschiedliche Dinge für unterschiedliche Akteure – der Schlüssel zum Erklären ihres Handelns sind Ideen.
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