Kathrin Voss über Hans J. Kleinsteuber und die Notwendigkeit, Wissenschaft und Praxis zu verknüpfen

Hans J. Kleinsteuber (1943-2012) hatte Politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und an den Universitäten Tufts und Harvard in den USA studiert. Bevor er nach Hamburg kam, war er wissenschaftlicher Assistent am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Von 1976 bis 2008 war er Professor am Institut für Politikwissenschaft und lehrte ab 1982 auch am neu gegründeten Teilstudiengang Journalistik. 1989 wurde er auch Professor am Institut für Journalistik.

Kathrin Voss hat Politikwissenschaft und Journalistik an der Universität Hamburg studiert und 2006 bei Hans J. Kleinsteuber an der Arbeitsstelle Medien und Politik über die Öffentlichkeitsarbeit von Nichtregierungsorganisationen in USA und Deutschland promoviert. Heute arbeitet sie als freiberufliche Beraterin und lehrt im Erasmus Mundus Studiengang „Journalism, Media and Globalisation“ am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg.


Hans J. Kleinsteubers Wirken an den Instituten für Politikwissenschaft und für Journalistik war geprägt von dem Bestreben, Wissenschaft mit Praxis zu verknüpfen. Untrennbar damit verbunden war sein Einsatz für interdisziplinäre und internationale Vernetzung.

Im Mittelpunkt seines wissenschaftlichen Interesses stand das Zusammenspiel von Medien und Politik. In seiner Forschung beschäftigte er sich vor allem mit Medienpolitik, in erster Linie mit der Regulierung des Rundfunks, aber auch mit dem Vergleich unterschiedlicher Mediensysteme. Er gehörte zu den ersten Politikwissenschaftlern in Deutschland, die sich schon in den 90er Jahren ausgiebig – und auch hier mit vergleichendem Blick in die USA – mit den Auswirkungen der Digitalisierung für die Medienlandschaft und für die Politik beschäftigte.[i] Sein Lieblingsmedium blieb aber bis zum Schluss das Radio, dem er 2012 kurz vor seinem Tod noch eine Monografie[ii] widmete, in der er wieder seine Einschätzung verdeutlichte, dass Radio ein unterschätztes Medium ist.

Um den von ihm so geschätzten Austausch – international, interdisziplinär und mit der Praxis – zu ermöglichen, bedurfte es Orte und Strukturen. Einige davon hat er selber geschaffen. Die von ihm 1988 an der Universität Hamburg gegründete Arbeitsstelle Medien und Politik war so ein Ort. Sie war Heimat für viele Drittmittel-finanzierte Forschungsprojekte, die unter seiner Leitung die ganze Bandbreite des Themenfeldes Medien und Politik abdeckten. Kleinsteuber war auch Mitbegründer der Euromedia Research Group[iii], in der sich seit den 80er Jahren bis heute Forscher aus aller Welt regelmäßig treffen, um die neuesten Entwicklungen in der Medienpolitik zu besprechen. Er war ebenfalls Gründungsmitglied des Netzwerkes Medienstrukturen[iv], eine Plattform für Forschende, die sich mit Medienstrukturen in politischer, historischer, ökonomischer, rechtlicher oder soziologischer Perspektive befassen, und  ein aktives Mitglied der International Association for Media and Communication Research (IAMCR) und da vor allem in der Sektion „Communications Policy and Technology Section” aktiv. Das Credo der IAMCR, eine wirklich internationale Organisation zu sein und gezielt auch jene Regionen zu repräsentieren, die in der von der westlichen Welt dominierten Wissenschaft nur selten Aufmerksamkeit erfahren, das entsprach Kleinsteubers Wunsch nach wirklich internationalem Austausch.

Internationaler Austausch war für ihn aber nicht begrenzt auf die Kommunikation und Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Fast jede Konferenz und Aufenthalte als Gastwissenschaftler nutzte er, um die Welt eben nicht nur über Vorträge, Bücher und Artikel von Kollegen kennenzulernen, sondern sich selber ein Bild zu machen, mit Menschen in Kontakt zu kommen, vor Ort Fern zu sehen und Radio zu hören, die fremde Medienlandschaft aus der eigenen Perspektive wahrzunehmen. So manch eine Reisebeobachtung inspirierte zu einem anderen Blick auch auf das eigene Mediensystem.

Praxis wiederum, das war für Kleinsteuber die Notwendigkeit, Kontakte auch außerhalb der Wissenschaft zu knüpfen und Erfahrungen aus der Praxis in seine Forschung einfließen zu lassen und wie er es selber einmal in einem Interview sagte, um sich nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft zu verstecken und die Bodenhaftung zu behalten. Ihn trieb die Neugier ebenso wie die Überzeugung, dass Wissenschaft sich beratend einbringen sollte. Konkret bedeutete das für ihn, dass er die Möglichkeiten, die sich ihm boten, in die Praxis hineinzuwirken wahrnahm, sie im Anschluss reflektierte und die gemachten Erfahrungen oft in Form von Publikationen teilte. Dabei war es für ihn nicht relevant, ob er in großen, wichtigen Gremien saß oder im Kuratorium von kleinen zivilgesellschaftlichen Projekten. Für ihn war wichtig, dass ihn das Thema interessierte, es seine Neugierde befriedigte. So war er von 1999 bis 2007 Mitglied des Rundfunkrates der Deutschen Welle und nutzte diese Erfahrung für einige Publikationen zur Rolle der Rundfunkräte.[v]  Die Erfahrung verstärkte sein Plädoyer für eine Entstaatlichung der Rundfunkräte und für eine Stärkung der Zivilgesellschaft im deutschen Rundfunkwesen. Von 1996 bis 1998 war er als Sachverständiger in der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“[vi]; die gemachten Erfahrungen reflektierte er in einer Publikation zum Thema Politikberatung.[vii] Von 2002 war er Mitglied im Fachausschuss „Information und Kommunikation“ der Deutschen UNESCO-Kommission. Darüber hinaus beriet er zahlreiche Institutionen – von der OSCE über Gewerkschaften wie die IG Medien und ver.di bis zu NGOs wie Greenpeace oder auch Parteien wie die Grünen. Er war eines der ersten Mitglieder der taz Genossenschaft, schrieb gelegentlich Artikel und war Moderator bei taz-internen Konflikten. Er hat als Kuratoriumsmitglied die Arbeit von politik-digital.de ebenso begleitet wie die von Abgeordnetenwatch.de und letzteres auch wissenschaftlich untersucht.[viii] Mediensysteme und Medienpolitik waren für ihn immer eben nicht nur Felder wissenschaftlicher Forschung, sondern auch solche die er aktiv beratend mitgestalten wollte.

Eine Gemeinsamkeit aller dieser Aktivitäten war die Sichtweise, dass Politik und Medien zivilgesellschaftliches Engagement, ja zivilgesellschaftlichen Einfluss brauchen. Entsprechend war es kein Zufall, dass die ihm zu seinem 60. Geburtstags gewidmete Festschrift den Titel “Internationale partizipatorische Kommunikationspolitik“ hatte.[ix] Die dazugehörige Tagung spiegelte dann noch einen weiteren wichtigen Baustein im Wirken von Hans J. Kleinsteuber wider – sein Netzwerk, bestehend zum einen aus Menschen, denen er in Gremien, Institutionen und Organisationen begegnet war, aber vor allem auch aus Menschen, die bei ihm studiert und ihre Abschlussarbeiten bei ihm geschrieben haben, die bei ihm promoviert und in Projekten mit ihm geforscht haben.

Hans Kleinsteuber war eben auch ein Mentor für viele Studierende, Promovierende und Post-Docs und begegnete ihnen  auf Augenhöhe. Die erste Ausgabe seines Buches zum Reisejournalismus entstand mit Studierenden im Rahmen eines Seminars.[x] Für seine Doktorandinnen und Doktoranden öffnete er die Räume der Arbeitsstelle Medien und Politik ebenso wie seine Privaträume für die zahlreichen „Doc Days“ genannten Treffen, auf den Promotionsvorhaben diskutiert wurden und Vernetzung untereinander gefördert wurde. In der Schriftenreihe beim LIT-Verlag bot er vielen seiner Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit der Publikation.[xi] Auf Tagungen und durch persönlichen Einsatz vernetze er seine aktuellen Doktoranden mit den vielen Ehemaligen und mit seinem großen Netzwerk in Wissenschaft und Praxis. Wer einmal Teil seines Netzwerkes war, der konnte immer damit rechnen, dass er einem weiterhalf, wenn man auf der Suche nach einem Kontakt in Medien, Politik, Wissenschaft oder Zivilgesellschaf war. Er stellte gerne Verbindungen her, von der Wissenschaft zur Praxis und umgekehrt. Er freute sich über die neuen Netzwerke, die aus seinem Netzwerk heraus entstanden. Für ihn war auch das ein Teil der Verbindung von Wissenschaft und Praxis, von internationaler Vernetzung und Interdisziplinarität, Teil von der Offenheit und Neugierde, die ihn antrieb und die für ihn unabdingbar war für die Politikwissenschaft, um die komplexe Realität zu erfassen und zu analysieren und mit ihren Ergebnissen zurückzuwirken in die Gesellschaft.


[i] Kleinsteuber, H.J. (Hrsg.) (1996): Der „Information superhighway“ – Amerikanische Visionen und Erfahrungen. Opladen. Westdeutscher Verlag.

[ii] Kleinsteuber, H.J. (2012): Radio – eine Einführung. Wiesbaden : VS-Verlag.

[iii] http://www.euromediagroup.org/

[iv] https://medienstrukturen.net

[v] Unter anderem: Kleinsteuber, H.J. (2006) Deutsche Welle & Co und ihr Beitrag zur Stärkung europäischer Öffentlichkeit. In: Langenbucher W.R., Latzer M. (Hrsg.) Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Oder auch: Kleinsteuber, H.J. (2007): Sieben Jahre im Rundfunkrat der Deutschen Welle. Expeditionen eines Wissenschaftlers in die medienpolitische Praxis. (Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln, Heft 229). Köln. Online: http://www.rundfunk-institut.uni-koeln.de/sites/rundfunk/Arbeitspapiere/229_07.pdf

[vi] Deutscher Bundestag (1998): Schlußbericht der Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft. Drucksache 13/1 1004

[vii] Unter anderem: Kleinsteuber H.J. (2006) Die Enquetekommission des Deutschen Bundestags zu „Zukunft der Medien“ 1996–1998. Ein Bericht aus der Sachverständigen-Perspektive. In: Falk S., Rehfeld D., Römmele A., Thunert M. (Hrsg.) Handbuch Politikberatung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Sowie: Kleinsteuber H.J. (2000) Technikberatung in der Demokratie. In: Martinsen R., Simonis G. (Hrsg.) Demokratie und Technik — (k)eine Wahlverwandtschaft? VS Verlag für Sozialwissenschaften.

[viii] Kleinsteuber, H.J., Voss. K. (2012) abgeordnetenwatch.de – Bürger fragen, Politiker antworten. In: Braun, S., Geisler, A. (Hrsg.) Die verstimmte Demokratie – Moderne Volksherrschaft zwischen Aufbruch und Frustration. Wiesbaden. Springer VS. (gekürzte Version auch in der Zeitschrift für Politikberatung, Heft 3, 2012)

[ix] Ahrweiler, P., Thomaß, B. (2005) (Hrsg.): Internationale partizipatorische Kommunikationspolitik. Strukturen und Visionen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans J. Kleinsteuber. Münster. LIT-Verlag.

[x] Kleinsteuber, H.J. (1997) (Hrsg.): Reisejournalismus. Opladen. Westdeutscher Verlag.

[xi] http://www.lit-verlag.de/reihe/MP

Eine Antwort auf „Kathrin Voss über Hans J. Kleinsteuber und die Notwendigkeit, Wissenschaft und Praxis zu verknüpfen“

  1. Danke für diesen Text. Hans Kleinsteuber war ein wirklich außergewöhnlicher Hochschullehrer und Wissenschaftler, der insbesondere ein wunderbarer und unermüdlicher Kommunikator zwischen Wissenschaft und Praxis war. Ich verdanke ihm sehr viel, und die Möglichkeit an seiner Arbeitsstelle Medien und Politik im Austausch mit anderen zu forschen war eine Erfahrung, die mich nachhaltig geprägt hat.

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