Jan Klenke über Patrick Köllner et al., Comparative Area Studies – Methodological Rationales and Cross-Regional Applications (2018)

Patrick Köllner ist Vizepräsident des German Institute for Global and Area Studies (GIGA) und Direktor des Instituts für Asien-Studien des GIGA. Seit 2011 lehrt Köllner als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg, vor allem zu Vergleichenden Regionalstudien und den politischen Systemen Ostasiens. Als Herausgeber des zuletzt erschienen Sammelbandes „Comparative Area Studies: Methodological Rationales and Cross-Regional Applications“ widmet Köllner seine Expertise der Aufarbeitung des CAS-Ansatzes, an dem sich auch die Forschung am GIGA orientiert.

Jan Klenke ist Research Fellow am GIGA Institute for Asian Studies in Kooperation mit der Universität Hamburg. Er arbeitet zu Concession Making and Preference Adjustment of Emerging Powers in International Climate Change Negotiations. Der Vergleich der von ihm untersuchten Länder Indien, Brasilien und China steht dabei vor besonderen Herausforderungen hinsichtlich unterschiedlicher Kontexte und Vergleichbarkeit.


Anlässlich des 100. Geburtstags der Universität Hamburg ist ihre Geschichte ganz besonders in den Vordergrund getreten. Die Wurzeln im Hamburger Kolonialinstitut werden dabei diskutiert. Die Beziehung zu den verschiedenen Weltregionen hat seit der Gründung der Universität Hamburg einen weitreichenden Wandel erlebt, der sich auch in der Art der Forschung sowie in den Inhalten widerspiegelt. Mit dem Impetus, die substantiellen Implikationen wissenschaftlicher Methoden zu vertiefen, nähert sich ein Sammelband von Ariel I. Ahram, Patrick Köllner und Rudra Sil dem Verhältnis der Regionen zueinander: Comparative Area Studies – Methodological Rationales & Cross-Regional Applications (2018). Die Stoßrichtung des Bandes zielt auf zwei Aspekte: zum einen auf die Verknüpfung der Wissensproduktion aus und zu verschiedenen Regionen; und zum anderen auf den Dialog zwischen diesem regionenspezifischen Wissen und generalistisch-universellen Einsichten der Fachdisziplinen, die zumindest in dem Sinne kolonial sind, als dass die zentralen Einrichtungen der generalistisch orientierten Forschung sich üblicherweise im globalen Norden befinden[1], also in den ehemaligen Kolonialmächten.

Der Ansatz von Comparative Area Studies (CAS; vergleichende Regionalstudien) – das betonen die Herausgeber in der Einleitung – ist dabei nichts völlig Neues. Vielmehr stellt der Band einen Versuch dar, bestehendes Wissen zum Thema zu bündeln, die Vorteile vor allem über- (im englischsprachigen Original: „cross“) und interregionaler Vergleiche herauszuarbeiten und eine Argumentationshilfe bereitzustellen für all jene, die diesen Forschungsweg einschlagen wollen. Der Band zielt hierzu zentral auf die Fähigkeit von CAS ab, die wissenschaftlichen Diskurse verschiedener Regionalstudien-Communities miteinander und mit den Diskursen der Generalisten der jeweiligen Disziplinen zu verknüpfen und dabei die Kontextsensitivität der Ergebnisse zu beachten und hervorzuheben. Dieses Ziel verfolgt der Band recht erfolgreich, indem neben der Einordnung in die allgemeine Methodendebatte im Rahmen der Einleitung und allgemeinen theoretischen Ausführungen zum einen konkrete Praxisbeispiele gegeben werden, die sehr zugänglich verfasst sind. Zum anderen werden auch praktische Herausforderungen wie Sprachenvielfalt und Finanzierung, sowie theoretische Begrenzungen des Ansatzes beschrieben und diskutiert. Als Aufhänger dient die wissenschaftliche Debatte, der zufolge sich die Regionalstudien in einer Krise befänden. Im Großen und Ganzen lautet die Problemanalyse des Werks, dass intraregionale Vergleiche die Gelegenheit wertvoller Erkenntnisse leider häufig liegen ließen, da unter anderen die Spezialisierung der Forschenden den Dialog mit den anderen Regionen nicht begünstige im Gegensatz zu zusätzlicher Expertise in der eigenen Region, die dank besserer Kontextkontrolle eher Vergleiche im klassischen Mill’schen Design zulassen. Auch der Dialog mit Generalisten der jeweiligen Fachrichtungen aus den Sozialwissenschaften sei hiervon betroffen. Gerade die über- und interregionalen Vergleiche könnten hier eine Abhilfe beziehungsweise Linderung verschaffen, so die Herausgeber.

Der Sammelband setzt sich aus vier Teilen zusammen: Nach der gemeinsamen Einleitung der Herausgeber folgt ein Theoriekapitel im zweiten Teil, der sich wiederum in sechs Unterkapitel gliedert. Kapitel eins bis drei setzen sich mit generellen epistemologischen und methodologischen Fragen auseinander. Weitere drei Kapitel behandeln im Anschluss, wie regionenübergreifende Vergleiche Wissenschaftler*innen helfen können, ihr eigenes Fachgebiet besser zu verstehen. Dieser Mehrwert wird anschließend in drei weiteren Kapiteln an Bespielen durchexerziert. Part III beinhaltet seinerseits fünf Unterkapitel zu den Anwendungen von Comparative Area Studies: ein Vergleich des postkommunistischen Autoritarismus in China und Russland mit Blick auf Antikorruptionskampagnen; intra-, über- und interregionaler Vergleiche zu Diffusionseffekten politischer Ideen, ausgehend vom sogenannten Arabischen Frühling; eine vergleichende Analyse von Separatismusbewegungen in Afrika, Asien und dem Nahen und Mittleren Osten; eine Untersuchung, wie die Aufgabe Mill‘scher Vergleichsdesignkriterien unser Wissen über Institutionenbildung fortbilden kann, am Beispiel des Vergleichs von Argentinien, Kolumbien und Ghana; und eine ethnografische Auseinandersetzung mit dem Verhalten der chinesischen Bevölkerung in Wenzhou mit dem der Aussiedler aus der Region in Italien. Den vierten und letzten Teil bildet die Konklusion von Rudra Sil.

Konkret umfasst CAS verschiedene vergleichende Ansätze: intra-, über- und interregional. Diese Termini bezeichnen dabei den Vergleich von Ländern innerhalb einer Region, den Vergleich von Ländern verschiedener Regionen und den Vergleich von Regionen im Ganzen. Sowohl im theoretischen Teil als auch bei den Anwendungen liegt die Emphase des Bandes jedoch klar auf den letzteren beiden. Lediglich die Beiträge von Mikko Huotari und Jürgen Rüland sowie von André Bank bleiben stärker dem intraregionalen Vergleich verbunden. Insgesamt arbeitet der Band heraus, dass regionenübergreifende Studien weniger verschiedene Methoden, sondern vielmehr Regionen triangulieren. Somit dienen sie einer Validitätsprüfung für Konzepte: Sind sie auch andernorts sinnvoll anwendbar? Halten die darauf gebauten Theorien mittlerer Reichweite auch in anderen Kontexten einer Überprüfung stand? Wenn nein, welche Anpassungen liegen nahe? Laurence Whitehead hält hierzu die Bedeutung von Forschungsprotokollen hoch, in denen die Unterschiede systematisch über den Forschungsverlauf zusammengetragen und verglichen werden. Mehrere Autoren des Bandes halten für die Praxis zudem fest, dass diese interregionalen Vergleiche oft Teamarbeit begünstigen oder gar erfordern, um die Expertisen aus verschiedenen Regionen zu verbinden und den Arbeitsaufwand für die einzelnen Forschenden zur reduzieren.

Alles in allem ist dieser Beitrag zur methodologischen Debatte in den Sozialwissenschaften ein angenehm reflektiertes, seine eigenen Schwächen und Grenzen anerkennendes Werk, das auf die sonst häufige Selbstbeweihräucherung verzichtet. Dennoch bleibt der Band an einigen Stellen durch seinen Doppelcharakter hinter seinen Möglichkeiten zurück: als eine Art Anleitung für Regionalforschende geht der Band in seinen Argumenten explizit auf die Informationsbedürfnisse von Regionalforschenden ein und ermutigt den Schritt aus ihren Regionen heraus; gleichzeitig verteidigt der Band als Manifest den Ansatz gegenüber Kritik durch quantitative Generalisten. Die Argumentation ist so gesehen asymmetrisch, denn den Generalisten wird nicht empfohlen ihrerseits den Weg in die qualitativen regionenübergreifenden Forschungsansätze einzuschlagen – zumindest werden die Argumente nicht zu diesem Zweck hervorgehoben. Dabei haben die Urheber des Bandes allen voran das gewichtige Argument auf ihrer Seite, dass die gemittelten Effekte der Generalisten die Realität vor Ort häufig nicht in ihrer Komplexität erfassen und dadurch maßgeblich an Erklärungskraft einbüßen. Im Kapitel zu CAS als ‚Goldenem Schnitt‘ wird das Argument zwar vorgetragen, doch liest es sich auch hier nur wie hastig beigemischt.[2] Die Nützlichkeit des Ansatzes in beide Richtungen bleibt dadurch tendenziell unterentwickelt.

Wie aber ist es in der Praxis um den Ansatz bestellt? CAS wird vereinzelt schon seit längerem institutionell betont und gefördert: Universitäten wie die Duke University boten bereits in den 1990ern Studienprogramme mit diesem Titel an. Das German Institute for Global and Area Studies (GIGA) hat die Herangehensweise der CAS zum Schlüsselansatz für die eigene Arbeit erklärt.[3] Letzteres spiegelt sich auch darin wider, dass drei von fünfzehn Autor*innen des Buches am GIGA tätig sind. Am GIGA wird CAS zudem organisatorisch durch eine Matrixstruktur unterstützt: zwar ist das Institut zunächst in vier Regionalinstituten organisiert, doch liegen quer dazu vier Forschungsprogramme, die Wissenschaftler*innen aus den verschiedenen Regionen systematisch zu den übergreifenden Themen zusammenbringen. Alle Wissenschaftler*innen sind dementsprechend organisatorisch in mindestens einer Region und einem überregionalen Forschungsteam verankert. Die Relevanz des Ansatzes bleibt am GIGA aber nicht nur auf qualitativ forschende vergleichende Politikwissenschaften beschränkt. Vielmehr finden sich genauso qualitative und quantitative Ansätze aus der Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Ethnologie oder Geschichtswissenschaft.

Für die Universität Hamburg liegt hier ein besonderes Potenzial, denn aus dem Dialog mit den Regionen außerhalb Europas oder des Westens können sich neue Erkenntnisse auch für hiesige Verhältnisse ergeben, indem Konzepte geschärft und ein vertieftes Verständnis auch der europäischen Kontextbesonderheiten erreicht werden kann. Besonders die Forschung zu Prozessen regionaler Integration, dem Verhältnis von globalem Norden und Süden oder internationaler Normbildung profitiert bereits seit einiger Zeit von CAS Ansätzen[4]. Es erlaubt auch, Generalisierungen oder Beobachtungen zu internationalen Vorgängen an konkrete Abläufe in den Regionen zurückzubinden ohne in eurozentrische Denkmuster zurückzufallen. Bezieht man auch den Aspekt der Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen aus den Regionen ein, was zur Bewältigung der zusätzlichen Anforderungen inter- und überregionaler Vergleiche angezeigt sein kann, so zahlt CAS auch auf die Leitidee der Universität Hamburg einer „Internationalisierung von Bildung und Wissenschaft für eine friedliche und menschenwürdige Welt“[5] ein. Hier bieten sich Gelegenheiten für Austausch, für eine vertiefte Kooperation mit den Partneruniversitäten rund um den Globus und für internationale Forschungskooperationen an.

Abschließend lässt sich somit feststellen, dass CAS einen indirekten Weg darstellen, sich mit der eigenen Kolonialgeschichte insofern auseinanderzusetzen, als dass es einen Weg zeigt, sich mit dem globalen Süden fruchtbar ins Benehmen zu setzen – und zwar „on its own terms“[6]. Dabei können wir unser Wissen schärfen, Perspektiven weiten und viele Fehler von früher vermeiden. Gleichzeitig bietet das Feld auch viele spannende Pfade für weitere und vertiefte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen in Hamburg. Der Sammelband von Ahram, Köllner und Sil dient dabei als geeigneter und sehr lesenswerter Einstieg und Überblick zu dieser Debatte.


[1] Nye Jr., Joseph S. (2010), The Future of American Power. Dominance and Decline in Perspective, Foreign Affairs, 89 (2), S.3.

[2] Berg-Schlosser, Dirk (2018), Comparative Area Studies: The Golden Mean between Area Studies and Universalist Approaches?, in: Ahram, Ariel I./Köllner, Patrick/Sil, Rudra (Hrsg.): Comparative Area Studies – Methodological Rationales & Cross-Regional Applications, New York: Oxford University Press, S.44.

[3] Köllner, Patrick/Sil, Rudra/Ahram, Ariel I. (2018), Comparative Area Studies: What It Is, What It Can Do, in: Ahram, Ariel I./Köllner, Patrick/Sil, Rudra (Hrsg.): Comparative Area Studies – Methodological Rationales & Cross-Regional Applications, New York: Oxford University Press, S.13.

[4] Beispielsweise bei Acharya, Amitav (2011), Norm Subsidiarity and Regional Orders: Sovereignty, Regionalism, and Rule-Making in the Third World, International Studies Quarterly, 55 (1), S. 95-123. oder Mattheis, Frank/Wunderlich, Uwe (2017), Regional Actorness and Interregional Relations: ASEAN, the EU and Mercosur, Journal of European Integration, 39 (6), S.723-738.

[5] https://www.uni-hamburg.de/uhh/profil/leitbild.html [zuletzt abgerufen am 09.09.2019]

[6] Narlikar, Amrita (2016), „Because they Matter“: Recognise Diversity – Globalise Research, Giga Focus Global, 12 (1), S.1.

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