Dirk Jörke über Jens Hacke, Existenzkrise der Demokratie (2018)

Jens Hacke ist Ideenhistoriker und mit Schriften zum Politischen Denken der Weimarer Zeit und in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit bekannt geworden. Von 2008 bis 2016 war er am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig. 2017 ist er mit der „Existenzkrise der Demokratie“, die mittlerweile in dritter Auflage bei Suhrkamp vorliegt, an der Berliner Humboldt-Universität habilitiert worden; seit 2018 vertritt er die Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald.

Dirk Jörke ist seit 2014 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Darmstadt und leitet dort den M.A. Studiengang Politische Theorie, der in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt angeboten wird. Er hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, bei Udo Bermbach und Rainer Schmalz-Bruns seine Magisterarbeit verfasst und im Jahr 2011 die Theorieprofessur von Michael Th. Greven am Institut für Politikwissenschaft vertreten. Im Mai 2019 erscheint bei Suhrkamp sein Buch Die Größe der Demokratie.


Das Erscheinen von Jens Hackes Habilitationsschrift im Sommer 2018 hat bei der Kritik ein starkes und überwiegend positives Echo ausgelöst. Und das zu Recht. Gelingt es ihm in diesem Buch doch in eindrucksvoller Weise, das politische Denken einer Gruppe von Autoren zu rekonstruieren, die Hacke zufolge alle dem Liberalismus zugerechnet werden müssen. Dieser Bogen spannt sich von Hugo Preuß und Max Weber über Hans Kelsen, Karl Loewenstein und Ludwig von Mises bis hin zu eher unbekannten Denkern wie Fritz Schotthöfer und Moritz Julius Bonn, wobei Bonn von Hacke besonders ausführlich gewürdigt wird. Doch auch Hermann Heller, den man zunächst einmal nicht dem liberalen Denkuniversum zuordnet, wird eingemeindet. Sie alle, so Hackes These, vereint die Verteidigung der liberalen Demokratie gegen deren radikale Kritiker von links und rechts. Dass der Kampf für eine demokratische Ordnung dem Liberalismus jedoch nicht in die Wiege gelegt war, ist dann auch die Ausgangsthese von Hacke, wenn er im ersten Hauptkapitel, das der Konstellation liberalen Denkens nach dem Ersten Weltkrieg gewidmet ist, mit Blick auf Weber schreibt: „Die Gewährung der Demokratie gehörte also zum grand bargain, den der Liberalismus an die gesellschaftliche Modernisierung zu entrichten hatte.“ (S. 57) Es war also eher eine Liebe auf dem zweiten Blick, doch eine Liebe, die im Kampf vor allem gegen den Faschismus inniger wurde. Und es ist die Auseinandersetzung der liberalen Denker mit dem Faschismus in Theorie und Praxis, deren Rekonstruktion den Schwerpunkt des Buches in Kapitel drei und vier ausmacht und worin vielleicht auch dessen Aktualität liegen könnte. Denn auch wenn Hacke sich mit Aussagen über den Gegenwartsbezug zurückhält, ist der Leser doch ständig versucht, zwischen den Debatten der Weimarer Zeit und der heutigen Konfrontation der liberalen Demokratie Parallelen herzustellen. Zumindest implizit wird vom Verfasser behauptet, dass der politische Liberalismus, wie er von den Weimarer Staatsrechtlern, Wirtschaftswissenschaftlern und Intellektuellen formuliert worden ist, auch heute nicht „erschöpft “ und zu seiner „faktischen Erledigung“ (S. 9) gelangt sei. Damit vertritt Jens Hacke eine These, die zumindest den Rezensenten in der Durchführung nicht gänzlich überzeugt.

Zwar ist ihm unbedingt darin zuzustimmen, dass „die liberale Idee weiterhin als essentielles Komplement zur Demokratie ernst genommen werden sollte“ (398), doch zugleich verbleibt diese Einsicht zu sehr auf der normativen Ebene. Denn gerade im letzten der vier großen Blöcke, in dem es um die Frage nach der „Einhegung des Kapitalismus“ geht, wird offenbar, dass das liberale Denken nicht aus seiner Haut konnte, oder, mit Hacke gesprochen, „eine gewisse theoretische Starrheit“ an den Tag legte, was mit einer „fehlenden Berücksichtigung gesellschaftspolitischer Faktoren“ (364) einherging. In der Konsequenz war das liberale Denken, zumindest in der Form, in der es abschließend im Buch präsentiert wird, nicht in der Lage, der zunehmenden Verelendung immer größerer Teile der deutschen Bevölkerung seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in einer konzeptionell überzeugenden Weise zu begegnen. Im Gegenteil, die gerade von neo- oder ordoliberalen Autoren wie von Mises, Bonn, aber auch Eucken, Röpke und Rüstow verfolgte Strategie, „den ökonomischen Liberalismus als altes Rezept neu zu verschreiben“ (357), führte bekanntlich in die Sackgasse der Austeritätspolitik am Ende der Weimarer Republik. Das mit aller Deutlichkeit aufzuzeigen, ist vielleicht die größte Überraschung im Buch eines Autors, der seine grundsätzliche Sympathie mit dem liberalen Denken nicht verhehlt. Bezeichnenderweise ist dieser Aspekt in den vielen Besprechungen bislang kaum zur Kenntnis genommen worden. Überwiegend wurde stattdessen auf die Überzeugungskraft und Aktualität der von Hacke skizzierten normativen Verteidigung der liberalen Demokratie verwiesen. Doch damit sollte sich liberales Denken nicht begnügen. Vielmehr sollte zur Kenntnis genommen werden, dass auch der US-amerikanische „New Deal inklusive seiner intellektuellen Kontroversen ganz wesentlich in die Ideengeschichte des Liberalismus gehört“, wie Hacke in seinem Ausblick über die Zeit nach 1933 konstatiert. Wenn man das ernst nimmt – und der vom Verfasser vorgenommene Verweis auf die damaligen Kontroversen lassen einen Restzweifel entstehen, wie sehr er diesen Aspekt selbst ernst nimmt – dann hätte es nahe gelegen, bei der Diskussion über Möglichkeiten einer (liberalen) Einhegung des Kapitalismus auf jenen Autor zurückzukommen, der zuvor im Kapitel über die „wehrhafte Demokratie“ als einer der Hauptprotagonisten liberalen Denkens gewürdigt worden ist: Hermann Heller. Doch nach seinem Namen fahndet man im letzten der vier Hauptkapitel vergeblich. Die Auseinandersetzung mit Hellers ordnungspolitischer Idee eines „Sozialen Rechtsstaats“ und insbesondere seine Kritik an einem „autoritären Liberalismus“ hätte einen Ausweg aus der Sackgasse des Wirtschaftsliberalismus liefern können. Dass es dazu nicht gekommen ist, mag auf eine tiefe Zerrissenheit liberalen Denkens hindeuten, schmälert aber das Verdienst der äußerst anregenden Studie von Jens Hacke in keiner Weise.

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