Gender und Queer-Studies an der Universität Hamburg, ein Interview mit Marianne Pieper

Marianne Pieper wurde 1996 Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt „Kulturen, Geschlechter, Differenzen“ an der Universität Hamburg. Im folgenden Interview spricht sie über das Thema Frauen, Gender und Queer am Fachbereich Sozialwissenschaften. Was sich in den vergangenen zwanzig Jahren verändert hat, vor allem aber auch, welche Probleme und Herausforderungen sich weiterhin stellen. Im anschließenden Essay beleuchten Deborah Kirchgässner und Emma Neuhaus die Gender und Queer-Studies an der Universität Hamburg – leitender Titel: ein Leerraum.

Die hier präsentierten Projekte entstanden im Rahmen des Seminars „Einführung in den Journalismus“ von Prof. Volker Lilienthal, das sich auch mit dem Blog befasst hat. Das Interview mit Frau Prof. Pieper führte Alexandra Tornow (Soziologie), den Beitrag im zweiten Teil haben Deborah Kirchgässner (Politikwissenschaft) und Emma Neuhaus (Soziologie) verfasst.


Zwei Schritte vor, einen zurück – ein Interview mit Prof. Marianne Pieper

Als Prof. Dr. Marianne Pieper 1996 eine Professur für Soziologie an der Universität Hamburg antritt, begibt sie sich in ein von Männern dominiertes Terrain. Während die Anteile von Frauen und Männern unter den Studierenden der Soziologie bereits seit Ende der 1970er Jahre ausgewogen sind, beobachtete man beim wissenschaftlichen Personal weiterhin das sogenannte Flaschenhals-Phänomen – je höher die Stelle, desto geringer die Anzahl weiblicher Mitarbeiterinnen. Was hat sich innerhalb der letzten 20 Jahre für Frauen am Fachgebiet für Soziologie der UHH verändert? Eine Professorin reflektiert ihre Erfahrungen:  

Alexandra Tornow (AT): Frau Professorin Pieper, zu Ihren Anfangszeiten als Professorin waren Sie eine von zwei Frauen mit einer Professur für Soziologie in Hamburg. Ihre männlichen Kollegen waren da zahlreicher vertreten. Wie hat sich dieses Geschlechterverhältnis spürbar gemacht?

Marianne Pieper (MP): Zu Beginn kam ich auf eine Stelle, die nicht ausgestattet war. Ich hatte also keine wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und auch andere Gelder waren größtenteils schon verplant – an Kollegen eben. Diese waren nicht offen aggressiv, aber feine Nadelstiche in Form von Randbemerkungen gab’s natürlich schon. Manchmal sprachen sie mit einem väterlichen Umgangston und beugten sich leicht vor. Auch die von mir bearbeiteten Themen und Methoden wurden immer mal wieder für irrelevant erklärt.  Daran merkte ich, dass wir nicht ganz ernst genommen wurden. Sicherlich lag das nicht nur daran, dass meine Kollegin Ingrid Sommerkorn und ich nun als Frauen hier herkamen – wir gingen auch beide in Richtung Gender-Forschung und ich forschte qualitativ, was nicht akzeptiert wurde. Als andere Kollegen zum Beispiel anfingen ebenfalls zu Familien zu forschen, wurde mein Wunsch nach einer Kooperation abgelehnt mit der Begründung, wir würden „ganz unterschiedliche Dinge machen“. Dabei war es ja meine Professur, die unter anderem für „Familiale Lebensformen“ ausgeschrieben war. Auf der anderen Seite war ich dadurch autonom in meiner Position. Das machte es leichter, mich über einiges hinwegzusetzen.

AT: Im Rückblick: aufgrund welcher Einflussfaktoren, welcher Akteure kam allmählich eine Veränderung zum Besseren in Gang?

MP: Wir haben in Kooperation mit Frauenbeauftragten und auch in den Berufungskommissionen darauf geachtet, dass Frauen berufen werden. Gerade bei gleicher Qualifikation war das nicht immer einfach durchzusetzen. Es gab bestimmte Mechanismen, um Frauen ganz subtil auszuschließen und es fielen Sätze wie: „Früher hat sie Marxismus gemacht, heute macht sie Feminismus – beides Ideologien“. Irgendwann kam eine Phase der Umstrukturierung, in der ganz viele Professuren auf einmal ausgeschrieben wurden und Gott sei Dank waren Frauen da, die auf diese Stellen passten. Außerdem haben wir versucht, Gender-Themen in der Lehre zu verankern.

AT: Sie waren eine der Initiator*innen des Studiengangs Gender Studies und elf Jahre lang Leiterin des Zentrums für Frauen-, Geschlechter- und Queer-Forschung an der Universität…

MP: Genau. In meiner Anfangszeit hier, noch vor 2000, habe ich den hochschulübergreifenden Studiengang Gender Studies in Hamburg mit initiiert. Das war wirklich ein Kampf! Ich habe immer versucht viel anzuregen – u.a. die Einrichrung einer Professur  für Queer Studies aus Bund-Ländermitteln, aber gerade in den ersten Jahren war der Widerstand hier am Fachbereich sehr stark. Später hatten wir dann im Rahmen des hochschulübergreifenden Studiengangs eine anspruchsvolle Lehre, tolle Veranstaltungen und ungefähr die Hälfte der Studierenden war männlich. Mittlerweile hat man den Studiengang aber systematisch abgebaut und ich frage mich, wieso diese Themen in Hamburg nicht mehr relevant zu sein scheinen. In der Gesellschaft sind gender-bezogene Probleme weiterhin mehr als aktuell: Es gibt immer noch Gender Pay Gaps, sexualisierte Gewalt und die MeToo-Debatte, um nur ein paar zu nennen.

AT: Welche Verbesserungen wären Ihrer Meinung nach noch notwendig für eine gleichberechtigte Arbeitssituation an der Universität Hamburg?

MP: Bessere Arbeitsplätze. Nach wie vor ist es nicht leicht zu promovieren und die weiteren Qualifikationsschritte zu machen. Gerade im Mittelbau und für die Nachwuchsförderung wäre es wichtig, nicht immer nur befristete Verträge auszustellen. Kinderplanung passt nie richtig rein, wenn man nur drei Jahre vorausschauen kann. Ich war selbst auch immer in einer Situation , in der ich nicht planen konnte und keinen klaren Zukunftshorizont hatte. Sobald man Kinder hat, ist das auch eine Frage der Vereinbarkeit: Nehme ich mir Zeit für mein Kind oder veröffentliche ich? Während meiner Habilitation habe ich oft nachts gearbeitet und dasselbe beobachte ich auch jetzt noch bei meinen Nachwuchswissenschaftlerinnen, die sich extrem abstrampeln müssen.

AT: Als wie wirksam schätzen Sie Fördermaßnahmen für Frauen der Universität ein?

MP: Ich finde schon, dass diese unterstützend sind und kleine Teile des Nachteils auszugleichen versuchen. Über Quoten kann man denken wie man will, aber ich muss ehrlich sagen, dass wir ohne sie nicht so viele Frauen hätten berufen können. Und auch der Frauenförderpreis ist eine gute Sache. Für einige meiner Doktorandinnen war das für Bewerbungsverfahren ausgesprochen hilfreich , dass sie einen Preis der Universität vorweisen konnten.

AT: Zurzeit sind vier von sieben Professuren für Soziologie weiblich besetzt. Ist es damit getan? Führt das zu einer besseren Lehre, anderer Forschung?

MP: Das Verhältnis ist paritätisch in Ordnung, aber es ist ja nicht nur eine Frage von biologischem Geschlecht, sondern auch davon, welche Inhalte Leute vertreten. Ich habe den Eindruck, dass es in der Forschung und Lehre eine Art Roll-Back gibt: Im Moment hat niemand in Hamburg einen Schwerpunkt in Genderforschung und den Gender-Studiengang gibt es auch nicht mehr. Das finde ich schon problematisch. Im Vergleich zu anderen Universitäten ist das sogar ausgesprochen ungewöhnlich. Gerade angesichts gesellschaftlicher Probleme nach wie vor bestehender Geschlechterungleichheiten und antidemokratischer rechter Strömungen, die Anti-Genderism betreiben, würde ich mir wirklich wünschen, diese Themen wären wieder in der Lehre verankert. Wenn ich das mit meinen früheren Auseinandersetzungen vergleiche, denke ich manchmal, so viel hat sich vielleicht doch nicht verändert…


Ein Leerraum in Hamburg: Warum es Gender und Queer-Studies nicht an der UHH zu finden gibt

Gender und Queer-Studies sind längst keine Seltenheit mehr in der deutschen Hochschullandschaft – doch in der zweitgrößten Stadt der Bundesrepublik wird man nach wie vor lange danach suchen müssen. Wir fragen nach, was aus dem jahrzehntelangen Kampf um die Institutionalisierung von Gender und Queer-Studies an der Universität Hamburg geworden ist.

Marianne Pieper, Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg, stellt  mit einem Augenzwinkern fest, dass die Abwesenheit von Gender und Queer Studies an unserer Universität fast schon zu einem Alleinstellungsmerkmal wird. Pieper berichtet uns in einem Interview von dem langwierigen Kampf für die Verankerung des umstrittenen Studiengangs: Was sie und ihre Mitstreiter*innen erreichten und welcher Widerstand ihnen entgegengesetzt wurde.

Seit 1996 lehrt Prof. Dr. Pieper an der Uni Hamburg. Der Schwerpunkt ihrer Professur lautet den Titel „Kulturen, Geschlechter, Differenzen“. Gerade zu Beginn der 1990er-Jahre entbrannte in Deutschland der Diskurs um Judith Butlers „gender trouble“ und damit die Frage nach der Performativität von Geschlecht. Neue Perspektiven taten sich auf: Die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht (sex) und anerzogenem Geschlecht (gender) mit einer kritischen Betrachtung der zuvor nicht hinterfragten binären Geschlechterordnung. Der Diskurs erweiterte sich von dem Konflikt um die Differenz zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft, auf Gender und Queer Fragen. Diese neuen Ideen griff die damals sehr aktive Hochschul AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies auf, in der auch Pieper mitwirkte. Die Verschiebung des Diskurses und das enorme studentische Interesse an der Debatte, führten dazu, dass die Forderungen nach der Institutionalisierung von Gender und Queer Studies immer lauter wurden. Pieper betonte mehrmals in unserem Interview, dass hiermit ein buchstäblicher Kampf losgetreten wurde. Auf verschiedensten Ebenen musste für die neue Fachrichtung geworben werden.

Dank des zunächst günstigen politischen Klimas durch eine rot-grüne Regierung in Hamburg und einem bundesweiten Förderprogramm der Grünen, gelang es, Gelder für die Finanzierung von Gender und Queer Studies zu gewinnen. So wurde 2001 auch ein Master-, sowie ein Nebenfachstudiengang mit dem Schwerpunkt Gender an der damals noch existierenden HWP eingeführt. Doch im selben Jahr fand in Hamburg ein Regierungswechsel statt und die nun bestehende Koalition aus CDU, FDP und der rechtspopulistischen Schill-Partei stellte die Weiterfinanzierung ein. Auch die Universität erklärte sich nicht bereit, die Gender-Studiengänge weiter zu tragen, weshalb diese bereits nach drei Jahren ihr Ende fanden.

Eine weitere Baustelle war die versprochene Queer Professur, welche ebenfalls aus der Förderung der Grünen hervorgehen sollte. An dieser Stelle betont Pieper, dass der größte Widerstand nicht von oben kam, sondern überraschenderweise aus dem eigenen Fachbereich. Trotz Zusage des Universitätspräsidiums sah sich Pieper von ihren eigenen Kollegen mit starker Skepsis und Unverständnis konfrontiert: „Und dann haben die erst einmal gefragt: Ja Queer, was ist das denn? Wieder so ne neue Sprechblase.“

Trotz der Meinung ihrer Kollegen, Queer Studies seien unwissenschaftlich und „statistisch doch überhaupt nicht relevant“, konnte Pieper die Professur schlussendlich durchbringen. Angetreten wurde sie jedoch nie, da der erstplatzierten Kandidatin in den Verhandlungsgesprächen indirekt vermittelt wurde, dass ihre Professur gar nicht gewollt sei. Die fehlende Unterstützung und finanzielle Ausstattung des Lehrstuhls bewegten sie dazu, den Ruf zurückzugeben. Die Zweitplatzierte durfte nicht nachrücken, da der Fachbereichsrat wegen ihrer noch nicht abgeschlossenen Promotion ihrer Einsetzung nicht zustimmen wollte.

Wäre diese eigentlich schon finanzierte und vom Präsidium abgesegnete Professur angetreten worden, wäre die Universität Hamburg die erste Hochschule der Bundesrepublik mit einer Queer Professur gewesen. Stattdessen ist sie jetzt eine der wenigen, welche sich nach wie vor einer Institutionalisierung querstellt. So musste die wissenschaftlichen Vorreiterrolle durch die Verhinderung der wissenschaftlichen Legitimierung von Gender und Queer Fragen weichen. Dass gerade die als kritisch und progressiv geltende Fakultät für Sozialwissenschaften an der Uni Hamburg diese Professur verhindert haben soll, ist enttäuschend.

Nachdem also zwei Studiengänge und eine Professur hart erkämpft und dann wieder verloren wurden, wirkt der Raum, welcher Gender und Queer Studies heute an unserer Universität gegeben wird, doch relativ klein. Man kann sie finden: Gesprenkelt über alle Fachbereiche, doch scheint ein gebündelter Studiengang weiter denn je. Die Gender und Queer Angebote im Wahlbereich sind spärlich und immer überlaufen. Die Themen haben also nicht an Beliebtheit und Relevanz verloren, nur das Angebot schrumpft stetig. Damit dieser Lehrraum nicht zum Leerraum wird, haben wir zum Schluss Marianne Pieper gefragt, was aus ihrer Sicht passieren müsste:

„Ich bin ganz stark der Meinung, dass Gender und Queer professoral verankert werden muss. Man muss viel tun dafür, das will erkämpft sein und muss auch immer wieder erkämpft werden. Es gibt eben auch öffentlich gerade von Seiten der rechten und auch der konservativen Parteien starke Gegenbewegungen. Das müsste uns dafür sensibel machen zu bemerken: Wenn auf der einen Seite so eine starke Gegenbewegung ist, dann ist es umso wichtiger, es wieder zu institutionalisieren, um diesen antidemokratischen Tendenzen auch ein Stück weit entgegenzuwirken. Und wenn ich mir anschaue, was die Themen damals waren um die wir diskutiert haben, und was die Themen heute sind: Besonders viel hat sich da nicht getan. Es muss mehr passieren!“

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