Fundstück: Der Hamburger Zweig der Weißen Rose

Die Plakette zum Gedenken an die Weiße Rose Hamburg im Eingangsfoyer des Audimax – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Während die Münchner Widerstandsgruppe gegen die nationalsozialistische Diktatur, die Weiße Rose um Hans und Sophie Scholl weltbekannt ist, blieb und bleibt der Hamburger Zweig der Weißen Rose oft unbeachtet. Dabei organisierten sich auch in der Hansestadt und ganz besonders in den intellektuellen und universitären Kreisen Hamburgs, dutzende Personen, um im stetigen Austausch mit den Münchner Kommilitoninnen die Bevölkerung  zum Widerstand aufzurufen. Mit diesem Fundstück, dem Bild der Erinnerungsplakette an die Weiße Rose Hamburg aus dem Audimax der Universität, erzählen wir die Geschichten der oppositionellen Kreise in Hamburg, der zentralen Personen und Aktionen sowie des Gedenkens in der Gegenwart.


Der erste oppositionelle Kreis in Hamburg bildete sich bereits Mitte der 1930er-Jahre in der reformpädagogischen Lichtwarkschule in Hamburg-Winterhude. Auch wenn die Schule mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gleichgeschaltet wurde, veranstaltete die oppositionelle Lehrerin Erna Stahl Gesprächsrunden und Lesekreis mit zugewandten Schülerinnen – viele von ihnen gingen Ende der 1930er-Jahre gemeinsam auf die Universität und trugen den Geist ihrer Lehrerin weiter.

Einen weiteren zentralen Bezugspunkt bildete die Akademikerinnenfamilie Leipelt aus Hamburg-Wilhelmsburg. Auch in ihrem Haus wurden regelmäßige Treffen zum Austausch und zur Entwicklung von Ideen abgehalten. Ganz praktisch gewährte man sich Schutz und Unterstützung, die Familie Leipelt war selbst als „halbjüdisch“ gebrandmarkt.

Weitere Gruppen im Untergrund bildeten sich in der Hamburger Swingjugendszene oder um eine Künstlerinnengruppe, dem Musenkabinett, aber etwa auch am Universitätsklinikum im Eppendorf. Dort fand sich – unterstützt und geschützt durch den oppositionellen Ordinarius für Kinderheilkunde Rudolf Degkwitz – ein Zusammenschluss aus jungen Ärztinnen und Studierenden, die sogenannten candidates of humanity.

In den unterschiedlichen oppositionellen Kreisen trieben sich im Laufe der 1930er-Jahre und dann intensiviert zu Beginn der 1940er-Jahre etwa fünfzig Personen vor allem akademischen Hintergrunds um. Dabei konnte kaum von einem einzelnen Zusammenhang gesprochen werden, auch die Sammelbezeichnung ‚Weiße Rose Hamburg‘ wurde retrospektiv angesetzt. Und doch gab es Verbindungen zwischen den skizzierten Gruppen. Gemeinsamer Nenner war oftmals die Universität, hier trafen sich Studierende aus den unterschiedlichen Kreisen, tauschten sich aus und organisierten gemeinsame Treffen.

Ein Portrait von Margarethe Rothe – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Margerethe Rothe etwa war bei Erna Stahl auf die Lichtwarkschule gegangen und begann 1939 ihr Medizinstudium an der Universität. Dort lernte sie die Mitglieder der candidates of humanity kennen und brachte sie mit den anderen ehemaligen Schülerinnen der Lichtwarkschule zusammen.

Ein Portrait von Traute Lafrenz – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Eine dieser Schülerinnen war Traute Lafrenz, die gemeinsam mit Rothe angefangen hatte Medizin zu studieren. Und Lafrenz war es schließlich auch die den Kontakt zur Widerstandsgruppe um Hans und Sophie Scholl herstellen konnte. 1941 wechselte sie für einige Jahre nach München, um dort ihr Medizinstudium fortzusetzen, lernte Hans Scholl und einige seiner Freunde kennen, ließ den Kontakt nach Hamburg jedoch nie abreißen und brachte immer wieder Flugblätter der Münchner Weißen Rose mit in den Norden.

Ein Portrait von Hans Leipelt – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Genauso auch Hans Leipelt, der älteste Sohn der Familie Leipelt und aufgrund gemeinsamer Aktivitäten an der Universität in Hamburg Bekannter von Rothe und Lafrenz. 1941 war er ebenfalls für einige Jahre nach München gegangen und versorgte seine Bekannten, vor allem den Kreis um seine Familie, mit Materialien.

Auch wenn es zu keinen großen Widerstandsaktionen kam, die die verschiedenen kleineren Kreise zusammengebracht hätten, waren insbesondere die Jahre 1942 bis 1943 von reger politischer Aktivität der Gruppen geprägt. Die Flugblätter aus München wurden diskutiert, ergänzt und tausendfach zur Verbreitung vervielfältigt. Nach der Verhaftung und Hinrichtung der Münchner Gruppe im Februar 1943 wurde etwa das letzte Flugblatt aus München mit dem Titel „Ihr Geist lebt trotzdem weiter“ auch in Hamburg verbreitet. Weitere proaktivere Widerstandsaktionen, wie etwa Demonstrationen oder Anschläge auf militärische Stützpunkte in Hamburg, wurden zwar diskutiert, jedoch vor allem aufgrund des christlichen Glaubens vieler Widerständlerinnen nicht realisiert.

Systematisch zerschlagen wurde die Weiße Rose in Hamburg, nachdem es bereits einzelne Festnahmen etwa von Mitgliedern der candidates of humanity, die durch ein Gestapo-Spitzel aufgeflogen waren, gegeben hatte, ab Oktober 1943. Im Zuge der Festnahmen in München wurden die Verbindungen von Traute Lafranz und Hans Leipelt aufgedeckt und in nur wenigen Wochen über dreißig Mitglieder der unterschiedlichen Widerstandskreise auch in Hamburg verhaftet.
Einige Widerständlerinnen wurden nach Verurteilungen wegen „Hochverrats, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet, so etwa Hans Leipelt, der am 29. Januar 1945 in München getötet wurde. Weitere konnten sich durch „Schutzhaft“ und Schauprozesse retten und wurden durch die Alliierten befreit. Traute Lafrenz etwa überlebte Haftstrafen in Cottbus, Leipzig und Bayreuth, wohin sie nach der Bombardierung Hamburgs und dem Vorrücken der Roten Armee verlegt worden war, und emigrierte 1947 in die USA, wo sie bis heute lebt. Margarethe Rothe war wie schon in Hamburg an Lafrenz Seite, wurde ebenfalls in Cottbus und Leipzig inhaftiert. Am 15. April 1945 starb sie jedoch an den Folgen einer Lungenkrankheit, die ihr die unmenschlichen Haft- und Transportbedingungen zugefügt hatten.

Auch wenn dem Hamburger Zweig der Weißen Rose kaum ein ähnlicher Stellenwert wie seinem Münchner Pendant eingeräumt wird, finden sich in der ganzen Stadt Hinweise und Kunstwerke zur Erinnerung an die Gruppen. Straßen sind nach den Widerständlerinnen benannt, Stolpersteine etwa in Hamburg-Wilhelmsburg der Familie Leipelt, darunter auch Hans Leipelt gewidmet. An der Universität Hamburg findet sich im Foyer des Audimax die obige Plakette, außerdem ein Stolperstein für Margarethe Rothe vor dem großen Hauptgebäude.


Text: David Weiß, Redaktion Politik 100×100

Eine Antwort auf „Fundstück: Der Hamburger Zweig der Weißen Rose“

  1. Davon weiß man selbst bei uns in München kaum etwas ! Aber es ist immer gut, wenn neue Erkenntnisse über die von Verbrechen belastete NS-Zeit ans Licht kommen. Vor allem, wenn es zeigt, dass nicht alle Menschen in Kultur und Wirtschaft mit den NS-Machthabern konform gingen und dabei viel Schuld aus sich luden. Also: Weiter historsich forschen, um die Welt zu verbessern !

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