Hans-Peter Schwarz war nach Siegfried Landshut und Wilhelm Hennis der dritte Inhaber eines ‚Lehrstuhls für die Wissenschaft von der Politik‘ an der Universität Hamburg. Insgesamt acht Jahre forschte und lehrte er in der Hansestadt, als erster Professor befasste er sich dabei explizit mit Phänomenen der Außenpolitik und der Internationalen Beziehungen. Mit diesem Archivfundstück schauen wir zurück auf das wissenschaftliche wie politische Wirken von Schwarz, außerdem auf einige, heute aktueller denn je erscheinende Kontroversen.
Als der 1934 im badischen Lörrach geborene Hans-Peter Schwarz Mitte der 1960er Jahre nach Hamburg kommt, hat er bereits einige akademische Stationen hinter sich. Von 1954 bis 1958 hatte er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Politische Wissenschaft, Soziologie, Geschichte und Germanistik studiert, dann auch bei Arnold Bergstraesser promoviert und für zwei Jahre als wissenschaftlicher Assistent gearbeitet. Von 1963 bis 1966 folgte ein Aufenthalt an der Pädagogischen Hochschule Osnabrück als Professor für Politische Wissenschaft – und dann, 1966, der Ruf an die Universität Hamburg.
Während Schwarz bei Bergstraesser noch über den „konservativen Anarchisten“ Ernst Jünger und dessen zeitdiagnostisches Potenzial promoviert hatte, war er in den darauffolgenden Jahren zu einem ausgewiesenen Experten in der noch kaum ausdifferenzierten geschweige denn institutionalisierten Disziplin der Internationalen Beziehungen geworden. Seine ebenfalls 1966 publizierte Habilitationsschrift Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945–1949 war sofort und für lange Jahre ein Standardwerk in der Erforschung deutscher Außenpolitik nach 1945 geworden – die Universität Hamburg hatte also einen führenden Forscher in diesem Feld gewinnen können.[1]
In den acht Jahren in Hamburg entwickelt Schwarz seinen Fokus auf die westdeutsche Außen-, Sicherheits- und Europapolitik weiter. Mitte der 1970er Jahre etwa publiziert er das weitgehend in Hamburg entstandene Handbuch der deutschen Außenpolitik, das erste seiner Art, in welchem er wichtige systematische Innovationen, wie die wechselseitige Durchdringung von Innen- und Außenpolitik einführt. Ein ganz besonderes Augenmerk liegt für Schwarz auch stets auf der Person Konrad Adenauer – später wird er mehrere große biographische Bände zu Adenauer schreiben, doch schon in den 1970er Jahren beschäftigt er sich immer wieder mit den Kanzlerjahren und außenpolitischen Weichenstellungen des für ihn wichtigsten deutschen Politikers der Nachkriegszeit.
Für die Studierenden in Hamburg bedeutete Schwarz‘ Schwerpunkt vor allem die erstmalige Möglichkeit einer expliziten Beschäftigung mit Phänomenen der Außenpolitik und Internationalen Beziehungen im Studium der Politischen Wissenschaft. So etwa in der Vorlesung „Theorie der Internationalen Politik“ im Wintersemester 1967/68, in der Schwarz über die systematischen Grundbegriffe der Disziplin der Internationaler Beziehungen, aber auch über zeitgenössische Theorien, wie die Systemtheorie, praxeologische Ansätze, usw. dozierte.
Doch um Schwarz entwickeln sich in Hamburg auch bald große Kontroversen. Seine Vorlesungen und vor allem auch politischen Aussagen und Aktivitäten werden in der Studierendenschaft nicht nur positiv gesehen und stoßen auf Kritik, geäußert vor allem von den nach 1968 politisierten und radikalisierten linken Studierendengruppen – im Sommersemester 1971 erreichen die Auseinandersetzungen ihren Höhepunkt: Studierende der marxistisch-leninistischen Hochschulgruppe MSB Spartakus blockieren mehrere Vorlesungen von Schwarz über „Die Außenpolitik Adenauers und ihre Kritiker“. In Flugblättern und mehrseitigen Informationsbroschüren zu Schwarz‘ Arbeit kritisiert der Spartakus beispielsweise die „antidemokratische Institutspolitik“, die Schwarz zu einer „Personifizierung der Reaktion“ mache. Etwa habe er Bemühungen für die Einsetzung eines drittelparitätischen Seminarrats im Nachklapp zu den 68er-Protestesten „sabotiert“, den „erzreaktionären ‚Theoretiker‘ Armin Mohler“ für eine Stelle am Institut vorgeschlagen sowie „den Kommilitonen Biermann seines marxistischen Ansatzes wegen von 4 auf 5 ‚heruntergeprüft'“.
Doch vor allem die Forschungsinhalte und politischen Interventionen Schwarzens werden thematisiert. Seine Wissenschaftsphilosophie sei – ganz seinem Lehrer Bergstraesser und seinem Hamburger Ex-Kollegen Wilhelm Hennis folgend – inhärent konservativer Natur. Der Apologetik des kapitalistischen Staates, die durch Heranziehung des antiken Polis-Modells politikwissenschaftlich „geweiht werde“, füge Schwarz nun noch die außenpolitische Komponente hinzu. In seiner Forschung sei er klassischer „Kalter Krieger“, der mit der Befürwortung der adenauerschen Westintegration den „antikommunistischen NATO-Imperialismus“ legitimiere.
Nach mehreren gesprengten Vorlesungen – Ereignisse über die auch das Hamburger Abendblatt, Die Welt und die Bild in mehreren Ausgaben berichten – stellt sich das Universitätspräsidium um Präsident Peter Fischer-Appelt hinter Schwarz. Gegenüber der Presse verspricht Fischer-Appelt notfalls mit Anzeigen für einen Ablauf der Vorlesung in „ungestörter Form“ zu sorgen, in einem Schreiben an die Fachschaft Soziologie-Politologie kündigt er an, dass zukünftig in jeder Vorlesung ein Präsidiumsmitglied anwesend sein werde, um strittige Fragen gemeinsam mit Hans-Peter Schwarz zu diskutieren, aber auch um destruktive Störerinnen des Saales zu verweisen.
Ob Hans-Peter Schwarz die Universität Hamburg 1976 auch aufgrund der anhaltenden Kontroversen um seine Forschung und Lehre verließ, bleibt wohl ungeklärt. Weniger präsent ist er auf seinen folgenden Stationen an der Universität Köln sowie in Bonn ab 1987 und nach seiner Emeritierung im Jahr 1999 jedenfalls nicht. Weiter publiziert er über entscheidende Fixpunkte deutscher Außenpolitik, interveniert öffentlichkeitswirksam in Debatten, etwa über das Verhältnis des geeinten Deutschlands mit Europa und der EU, beschäftigt sich auch weiter mit der Person Adenauer. In allen seinen Publikationen, meist große, mehrbändige Ausgaben verbindet er stets zeitdiagnostische Perspektiven mit politikwissenschaftlichen Analysen, biographischen Darlegungen und zeithistorischen Einordnungen. 2017, in seinem Todesjahr erscheint dann sein letztes, wiederum kontrovers rezipiertes und diskutiertes Werk: Völkerwanderung nach Europa. Über den Verlust politischer Kontrolle und moralischer Gewissheiten.
In Hamburg bleibt Schwarz vor allem als heftig umstrittener, politisch fehlbarer, aber nichtsdestotrotz wichtiger Vorläufer der Internationalen Beziehungen in Erinnerung.
[1] Eckhard Jesse 2014. Hans-Peter Schwarz (geboren 1934), in: Eckhard Jesse und Sebastian Liebold: Deutsche Politikwissenschaftler – Werk und Wirkung, Baden-Baden: Nomos
Text: David Weiß, Redaktion Politik 100×100