Fundstück: Der Pferdestall wird Universitätsgebäude

Die Frontfassade des Pferdestalls um 1920 – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Nach zwei Jahrzehnten Nutzung als Pferdestall bekommt auch das stattliche Gebäude am Bornplatz, der heutigen Heimat der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg, die rapiden sozioökonomischen und politischen Umbrüche der 1910er und 20er Jahre zu spüren. Die nächsten Archivfundstücke mit Impressionen des Pferdestallumbaus 1928 sowie den ersten Jahren wissenschaftlicher Arbeit im dann zum nurmehr Mythos gewordenen “Pferdestall”.


Zehn Jahre nach der Gründung im Jahr 1919 boomt die akademische Arbeit an der Hamburgischen Universität. Die Studierendenzahlen steigen in nur wenigen Jahren von 1 729 Immatrikulierten im ersten Semester 1919 auf nahezu 3 000 zu Beginn der 1930er Jahre, die Zahl der Lehrenden verdoppelt sich in nur wenigen Jahren auf 300 Personen und fast in jedem Semester wird ein neues Studienfach in das von der breiten Stadtbevölkerung beachtete Curriculum aufgenommen.
Die fachliche wie soziostrukturelle Expansion der Universität stellt die Hochschulbehörde allerdings auch vor handfeste Probleme – wo bekommt man so schnell Vorlesungsräume, Platz für Bibliotheken sowie Büros für Professorinnen, Mitarbeiterinnen und Verwaltungspersonal her? Gerade die Verortung der bisherigen Universitätsstätten mitten im Hamburger Stadtteil Rotherbaum stellt für Behörde und Universitätsleitung eine Herausforderung dar.

Mitteilung des Senats über den Ankauf und den Umbau des Gebäudes am Bornplatz 1-3 – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Zur gleichen Zeit steht auch die Hamburger Firma für Luxusfuhrwesen Schlüter & Söhne vor den Herausforderungen der Transformation der 1920er Jahre – genauer den technischen Entwicklungen der Zeit. Hatte man mit dem Bau des neuen firmeneigenen Pferdestalls am Bornplatz noch voll auf die Kutsche als Fortbewegungsmittel gesetzt, bekam das Familienunternehmen nun zunehmend die Motorisierung des Personenverkehrs zu spüren. Konsequenz: Der Pferdestall im Grindelviertel, etwa 700 Meter Luftlinie vom Hauptgebäude der Hamburgischen Universität entfernt, soll nach nur zwanzig Jahren Nutzung verkauft werden…

…und eine Käuferin ist schnell gefunden: Im Juni 1928 beschließt die Hamburgische Bürgerschaft den Ankauf des Gebäudes und bewilligt mit 500 000 Reichsmark den Umbau “zu Hochschulzwecken”. Zum Wintersemester 1929/30 kann die Universität – nach etwas Verzögerung, da u.a. die neue Telefonanlage sich teurer als geplant erwies – die Räumlichkeiten beziehen und nimmt die Arbeit auf.

Bauanzeige zum Umbau des Gebäudes – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Ende der 1920er bis Anfang der 1930er-Jahre sind im Gebäude am Bornplatz 1-3 das Seminar für romanische Sprachen und Kultur, das Literaturwissenschaftliche und das Germanische Seminar sowie das Seminar für Erziehungswissenschaften untergebracht. Außerdem befinden sich im Gebäude das Seminar für Philosophie im ersten Stockwerk sowie das Psychologische Institut der Universität im zweiten Stock. Dies bedeutet auch, dass ab dem Wintersemester 1929/30 bedeutende liberale, jüdische Intellektuelle der Weimarer Zeit, wie Ernst Cassirer, Agathe Lasch und William Stern in diesem Gebäude forschten und lehrten.
William Stern, Philosophie- und Psychologieprofessor, nutzte etwa die Werkstatt im nun frei gewordenen Innenhof des Gebäudes für seine psychologischen Studien.

Die neue Werkstatt im Gebäude – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

1933 werden die genannten Wissenschaftlerinnen und viele weitere Mitarbeitende der Universität im Zuge der faschistisch-antisemitischen “Gesetze zu Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” vom akademischen Leben ausgeschlossen und vertrieben. Somit ist auch die erste Phase akademischer Arbeit im nun universitären Pferdestall beendet. Erhalten bleibt – neben der sich seitdem nicht mehr groß geänderten Struktur des Gebäudes, der Werkstatt und der Bibliothek – die Erinnerung an große Denkerinnen in diesem Gebäude. Auch wenn Raum 105, Ernst Cassirers Büro, heute merkwürdiger Weise nicht mehr existiert.

Bibliotheksräume im neuen Universitätsgebäude – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Text: David Weiß, Redaktion Politik 100×100

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert