Michael Thomas (Th.) Greven (1947-2012) war von 1995 bis 2012 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg, zunächst mit dem Schwerpunkt Regierungslehre, ab 2004 mit dem Schwerpunkt Politische Theorie. Er war von 1994-1997 Vorsitzender der DVPW und stand von 2006-2011 ihrer Ethik-Kommission vor. Seine Arbeitsgebiete reichten von der kybernetischen Systemtheorie, zu der er 1976 seine Paderborner Habilitationsschrift verfasste, über die Parteienforschung bis zur Frage, ob sich demokratisches Regieren auch jenseits des Staates werde einrichten lassen. Zu seinem 65. Geburtstag 2012 gaben seine Hamburger Kolleginnen, Mitarbeiterinnen und Schülerinnen Olaf Asbach, Rieke Schäfer, Veith Selk und Alexander Weiß eine Festschrift unter dem Titel Zur kritischen Theorie der politischen Gesellschaft heraus. 2020 erschien eine Sammlung von späten Aufsätzen Grevens unter dem Titel Die Erosion der Demokratie.
Andreas Busen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Geschichte und Theorie politischen Denkens an der Universität Hamburg. Im Jahre 2016 promovierte er mit einer Arbeit mit dem Titel Solidarität und die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit. Zur Bedeutung eines vernachlässigten Konzepts in der politischen Theorie und Praxis an der Universität Hamburg.
Wer Michael Th. Grevens Die politische Gesellschaft zum ersten Mal zur Hand nimmt, findet mit dem Vorwort zur zweiten Auflage (die 2009 und damit zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung erschien) einen in zweifacher Hinsicht lohnenswerten Einstieg: Erstens nimmt Greven hier nämlich die ersten Rezensionen seines Buches zum Anlass, die zentrale(n) These(n) noch einmal zu rekapitulieren und präzisieren. Das ist aus Leser:innensicht zweifelsohne praktisch, gerade, weil Grevens Ausführungen nicht immer selbsterklärend sind (dazu später mehr). Zweitens vermittelt seine Reaktion auf die Rezensionen aber auch einen Eindruck vom Wissenschaftler und Menschen Michael Greven. Wer ihn vor allem im öffentlichen Raum als Vortragenden, Diskutanten oder kritischen Geist auf Sektionstagungen erlebt hat, wird hier vor allem einen Charakterzug wiedererkennen – nämlich eine schier ungebändigte Angriffslust, die jede und jeden jederzeit treffen konnte, immer von der Sache her, aber ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten. Das zeigt sich auch in Grevens Reaktion auf die ersten Kritiken von Die politische Gesellschaft. Diese hätten, so Greven, seine Thesen nämlich wahlweise missverstanden, vor dem Hintergrund ihrer eigenen, selbst problematischen bzw. rundum falschen theoretischen Prämissen nicht verstehen können oder aber absichtsvoll regelrecht karikiert – und erweckten dabei anstelle einer kritischen Reflexion des eigenen Tuns vielmehr selbst etwa den Eindruck, „sich als ‚spin-doctor‘ gewissen Politikern andienen“[1] zu wollen. Gleichzeitig offenbart das Vorwort aber auch eine andere Seite von Michael Greven, die hinter diesem streitbaren Äußeren leicht zu übersehen war. Zu beobachten ist hier nämlich auch ein sensibler, ja geradezu verletzlicher Autor, den die weitgehend kritische Rezeption sowie die insgesamt doch eher überschaubare Beachtung seiner Thesen durchaus zu verunsichern, in jedem Fall aber persönlich zu treffen scheint. Hatte Greven bereits im Vorwort zur ersten Auflage sein eigenes Zögern rekapituliert, „dieses Buch so zu schreiben“ (27), sieht er sich jetzt durch die Kritik prominenter Stimmen wie die Klaus von Beymes und Arthur Benz‘ darin schmerzlich bestätigt. Umso größer ist deshalb seine Freude darüber, dass zumindest – oder gerade? – einige jüngere Kollegen seine Überlegungen mit Interesse wahrgenommen und sie in eigenen Arbeiten wohlwollend(er) diskutiert oder gar explizit daran angeschlossen haben. Hier, so schreibt der augenscheinlich erleichterte Greven dann auch ganz unumwunden, „fühle ich mich gut verstanden“ (20).
Doch auch wenn man weniger persönlich und psychologisierend noch einmal auf Die politische Gesellschaft blickt, bleibt ein ähnlich ambivalenter Eindruck: Einerseits lassen sich eine Reihe von Gründen identifizieren – auf beiden Seiten, d.h. auf Seiten des Buches wie auch Seiten seiner Rezeption –, die als Erklärung dafür dienen könnten, warum Die politische Gesellschaft nicht mehr Aufmerksamkeit erhalten hat. Andererseits findet man aber zwischen beiden Seiten so offensichtliche Berührungspunkte, dass eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Grevens Thesen nicht nur zum Erscheinen der ersten und zweiten Auflage nahegelegen hätte, sondern auch aus gegenwärtiger Perspektive unbedingt lohnend erscheint.
Bevor ich noch einmal auf ebendiesen Zwiespalt zurückkomme, dürfte es sich aber anbieten, zunächst die zentralen Thesen sowie die thematische Bandbreite des Buches in Erinnerung zu rufen. Das titelgebende Hauptargument lautet, dass wir es bei den gegenwärtigen (westlichen) Gesellschaften mit ‚politischen Gesellschaften‘ zu tun haben. Deren grundlegendes Merkmal ist, dass in ihnen „virtuell alles politisch“ (9) ist – also jedweder Aspekt des (sozialen) Lebens politisiert und potenziell politisch geregelt werden kann. Weil vor dem Hintergrund eines ethisch-moralischen Pluralismus auch von dieser Seite keine letztgültige Aufklärung über die Angemessenheit oder ‚Korrektheit‘ entsprechender Festlegungen zu erwarten ist, können diese ausschließlich durch politisches Entscheiden vorgenommen werden. Damit gibt es im Umkehrschluss auch keine offensichtlichen ‚nicht-politischen‘ Sphären (wie etwa einen Raum individueller Freiheit, der vor politischen Eingriffen zu schützen ist), sondern auch diese werden erst durch ein solches Entscheiden konstituiert – und bleiben auch dann weiterhin gestalt- bzw. anfechtbar. Überhaupt werden politische Entscheidungen zwar immer unter bestimmten Bedingungen, in spezifischen Konstellationen und ggf. mit konkreten Begründungen getroffen und können mit Blick darauf kritisch reflektiert werden – sie sind aber dadurch weder determiniert noch gerechtfertigt, sondern, wie die „politischen Gesellschaften der Gegenwart“ insgesamt, stets „durch ihre Kontingenz und den Zwang zur Dezision geprägt“ (21).
Ganz offenkundig berührt Greven mit diesen Thesen den Kern eines jeden Verständnisses von (moderner) Politik und Gesellschaft – und zwar so grundlegend, dass schon deshalb kein Zweifel daran bestehen kann, dass Die politische Gesellschaft als Grevens Hauptwerk gelten muss. Insofern die Politikwissenschaft ihre grundlegenden Theorien der Politik aus benachbarten Disziplinen wie Philosophie und Soziologie importiert, so Grevens Annahme, ermangelt sie einer zeitgemäßen historisch-theoretischen Bestimmung ihres Gegenstandes. Letztere beansprucht Greven nun in seinem Buch vorzulegen und positioniert Die politische Gesellschaft damit auf Augenhöhe mit konkurrierenden Theorie-Angeboten wie Faktizität und Geltung oder Die Politik der Gesellschaft. Die thematische Bandbreite, mit der er seine Thesen auf den knapp 250 eng bedruckten Seiten entfaltet und in Stellung bringt, unterstreicht diesen Anspruch: In einem ersten, historisch-systematischen Teil rekonstruiert Greven die „Entwicklungsvoraussetzungen“ der politischen Gesellschaft. Diese setzen für ihn mit der Moderne, und insbesondere mit der Säkularisierung sowie der zunehmenden Pluralisierung sowohl der Gesellschaft als auch der Welt- bzw. Lebensanschauungen ein. Wo in diesem Zuge traditionale Autoritäten wegbrechen und einer Vielzahl konkurrierender ethisch-moralischer Perspektiven Platz machen, tritt in entscheidender Weise ebenjene praktisch-politische wie auch normative Kontingenz in Erscheinung, die als vielleicht wichtigstes Fundament der politischen Gesellschaft wirkt. Als eine folgenreiche Reaktion auf ebendiese Kontingenz (in Verbindung mit dem Siegeszug des Kapitalismus) identifiziert Greven die sowohl theoretisch-analytische wie auch praktische Etablierung einer auf die Vermittlung individueller Interessen reduzierten Konzeption von Rationalität.
Damit ist insofern eine zweite wichtige Voraussetzung für die politische Gesellschaft geschaffen, als damit Entscheiden nachhaltig von einer Normen- bzw. Prinzipien-geleiteten Orientierung ‚befreit‘ und gewissermaßen ‚rein‘ politisch wird, weil sich jetzt auch universalistisch gemeinte normative Argumente als partikular erscheinen. Einen wichtigen Effekt hinsichtlich der Konsolidierung der politischen Gesellschaft hat für Greven die Herausbildung des modernen Wohlfahrtsstaats. Hier etabliert sich nämlich die praktische Einsicht, dass auch vermeintlich nicht-politische bzw. sich selbst reproduzierende Sphären wie etwa ‚der Markt‘ immer auch politisch konstituiert und (erfolgreich) politisch reguliert bzw. gesteuert werden können. Ist hierin allerdings noch eine Politisierung ‚von oben‘ zu sehen, führen „die sich in der Bevölkerung allmählich kulturell und sozial ausbreitende Selbsteinschätzung als mündiges Individuum, die damit prinzipiell unterstellte Befähigung zum politischen Handeln und die später erfolgende Anerkennung dieses Faktums“ in Form von politischen Teilhaberechten letztlich zu einer „Fundamentalpolitisierung“, die „historisch den Schlußstein in der Architektur der politischen Gesellschaft“ (66f.) bildet.
Wichtig ist Greven hinsichtlich dieses Bildes der politischen Gesellschaft, dass es sich dabei nicht etwa um ein idealtypisches Modell bzw. eine theoriegeleitete Annahme, sondern um eine – wenn auch stellenweise verallgemeinernde – historische Rekonstruktion handelt. Die Herausbildung der politischen Gesellschaft wird dabei von Greven allerdings keineswegs als notwendige Entwicklung nachvollzogen, sondern vielmehr in ihrer eigenen Kontingenz gewürdigt. Dementsprechend sind aber auch die gegenwärtig existierenden Formen der politischen Gesellschaft keineswegs irreversibel, sondern können in praktisch jeder Hinsicht verändert werden – wenn auch alternativlos unter den Bedingungen der politischen Gesellschaft, also vermittels politischen Entscheidens. Das gilt nicht zuletzt auch für Demokratie und Rechtsstaat als spezifischer Form der Verfassung der politischen Gesellschaft, wie Greven anhand der – dann aber doch stärker idealtypischen – Gegenüberstellung von totalitärer und freiheitlicher politischer Gesellschaft zeigt. Sein zentrales Anliegen im letzten, immerhin fast hundert Seiten starken Teil des Buches ist dann auch der Nachweis, dass sich demokratische Gesellschaften nicht nur nicht ‚von selbst‘ reproduzieren, sondern im Gegenteil potenziell stets gefährdet sind.
Zuvor will er aber noch einmal seine zentrale These weiter konturieren und einordnen, indem sie „gegen gewohnte und dominierende Sichtweisen in Wissenschaft wie politischem Bewusstsein“ (73) gelesen wird. In Auseinandersetzung mit Rational Choice-Ansätzen, Theorien deliberativer Demokratie, der Systemtheorie, aber etwa auch dem akteurzentrierten Institutionalismus will Greven hier unter anderem zeigen, dass in der politischen Gesellschaft eine Unterscheidung zwischen politischer Steuerung und gesellschaftlicher Selbstregulierung nicht mehr sinnvoll getroffen werden kann, dass jenseits der enger definierten ‚Politik‘ durch eine kommunikativ vermittelte Politisierung ein ‚politischer Raum‘ (– heute sprechen viele lieber von ‚dem Politischen‘ –) dynamisch konstituiert wird, und dass auch vermeintlich verselbstständigte ‚Systeme‘ wie die Ökonomie durch ebendiese Dynamik in den Einflussbereich politischen Entscheidens geraten können. Bemerkenswerterweise wirft Greven außerdem – als alter Parteigänger der Kritischen Theorie an dieser Stelle vielleicht von den Implikationen der eigenen Kontingenz-Theorie kurz selbst überrumpelt – die Frage auf, inwiefern sich in der politischen Gesellschaft mit Marcuse überhaupt noch ‚zusätzliche Unterdrückung‘ identifizieren lässt. Immerhin: Wenn am Ende politisches Entscheiden alles ist, könnten ja eigentlich alle Entscheidungen als gleichermaßen ‚gut‘ gelten (auch wenn sie natürlich unvermeidlich aus partikularen Interessen getroffen werden) – und im Übrigen ja auch angefochten werden. Greven beobachtet allerdings treffend, dass der Zusammenhang zwischen Entscheiden und Interessen genau dort verschleiert wird, wo – dementsprechend ideologisch – einer Beschränkung politischen Entscheidens auf den Bereich der ‚Politik‘ das Wort geredet wird, wo die Urheberschaft politischer Entscheidungen auf ‚den Staat‘ reduziert wird, oder wo etwa auch von einer ‚Herrschaft der Gesetze‘ die Rede ist – ganz so, als seien diese nicht selbst Ausdruck und Vehikel politischen Entscheidens.
Hier ist dann auch bereits das zentrale (normative) Kriterium angedeutet, das Grevens Unterscheidung zwischen einer totalitären und einer freiheitlichen Form der politischen Gesellschaft zugrunde liegt, nämlich die individuelle (sowie mittelbar auch kollektive) Freiheit. Beide Regime basieren auf der politischen Gesellschaft, beide sind je spezifische Reaktionen auf die Herausforderung, Kontingenz mit Dezision begegnen zu müssen – mit dem Unterschied, dass in der Demokratie gleichzeitig die Freiheit geschützt bzw. realisiert werden soll. Neben dem basalen Schutz des Individuums umfasst dies vor allem die gleichberechtigte Beteiligung an der Entscheidungsfindung, wozu neben formalen Teilhaberechten auch die Möglichkeit gehört, politisches Entscheiden (und das umfasst die beteiligten Akteure, Interessen, Verfahren etc.) transparent nachvollziehen und kritisch reflektieren zu können. Denn demokratische Dezision ist eine spezifisch reflexive Reaktion auf Kontingenz, die überhaupt erst einen konstitutiven Bezug auf Freiheit ermöglicht: „Erst auf der dadurch möglich gewordenen reflexiven Erkenntnis aufbauend, dass die Politisierung keine anderen denn selbstgesetzte Grenzen besitzt, kann heute über ihre freiheitsverbürgende und problemlösende Reichweite gestritten werden“ (154).
Wiederum pocht Greven darauf, dass dieses Verständnis von Freiheit und ihrem Stellenwert einer historischen Rekonstruktion entspringt, nämlich „aus der Geschichte der Demokratie ebenso wie aus ihrer in diesem Jahrhundert deutlich gewordenen fundamentalen Gefährdung“ (154). Die uneingeschränkte Parteinahme für diese Freiheit und die sie verwirklichende Gesellschaftsform, die die abschließende Diskussion der „Probleme des Regierens in der Demokratie“ informiert, ist aber natürlich trotzdem Ergebnis seiner ganz persönlichen Dezision. Die wiederum ganz erhebliche Bandbreite an Themen, die Greven hier noch einmal anschneidet, kann hier nur angedeutet werden: Sie reicht von politischer Verantwortung und Legitimität über Verteilungsgerechtigkeit bis hin zu Mediatisierung und vermeintlicher Entpolitisierung der Bürger:innen. Durchgängiges Motiv bei alldem ist Grevens Sorge um eine Erosion der demokratischen Gesellschaft trotz bzw. im Rahmen der Existenz formaldemokratischer Institutionen und Verfahren. Seine wiederholt und mit Dringlichkeit aufgeworfene Frage lautet deshalb, inwiefern „demokratische politische Regime als bloßes Residualprodukt der Interaktionen einer Gesellschaft von individuell rational operierenden Egoisten wirklich mittelfristig überleben“ (221) können. Grevens abschließende Überlegungen dazu, wie demokratische Bürgerschaft kultiviert und welche Rolle politische Bildung dabei spielen kann, geben hierauf eine eindeutige, trotz ihrer Skizzenhaftigkeit aber nicht resignative, sondern hoffnungsvoll-konstruktive Antwort.
Damit noch einmal zurück zur (Nicht-)Rezeption von Grevens Thesen: Bedenkt man, mit welchen Interessen in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum die demokratietheoretischen Überlegungen von Autor:innen wie Richard Rorty, Chantal Mouffe oder auch Claude Lefort (um nur einige zu nennen) rezipiert wurden, wäre durchaus zu erwarten gewesen, dass Grevens Gedanken auf fruchtbaren Boden fallen. Auch seine ‚Übersetzung‘ dieser demokratietheoretischen Überlegungen in ‚klassisch‘ politik- bzw. sozialwissenschaftliche Diskurse über Regieren, Herrschaft, Institutionen oder auch politische Steuerung hätte, so mag man sich vorstellen, auf dankbares Interesse stoßen können. Wie ist die überschaubare Kenntnisnahme also zu erklären?
Zum einen hat dies wohl damit zu tun, dass Greven sich erkennbar keine Mühe gibt, seine Gedanken in anschlussfähiger Weise zu präsentieren oder gar zu ‚verkaufen‘. Ein expliziter Anschluss auch an offensichtlich verwandte Positionen und Diskurse, etwa bei den zuletzt genannten Autor:innen, fehlt fast gänzlich. Selbst dort, wo er durch frühere Erwiderungen auf eine mögliche Nähe seiner Überlegungen zu Carl Schmitt hingewiesen worden ist, verweigert sich Greven konsequent einer tiefergehenden Diskussion, sondern weist die betreffenden Bedenken brüsk zurück. Zum anderen lebt Greven in „Die politische Gesellschaft“ seinen ganz eigenen, performativen Agonismus nahezu uneingeschränkt aus. Nicht nur ist das Buch ja – insbesondere im Mittelteil – bewusst auch als Kritik an der zeitgenössischen Sozial- bzw. Politikwissenschaft angelegt, sondern Greven ist dabei auch alles andere als zimperlich mit seinen „Konkurrenten und ihren theoretischen Ansätzen“ (106). Weil er seine entsprechenden – wenn auch häufig treffenden – Urteile dabei zumeist weder diplomatisch noch differenziert vorträgt, kann man niemandem verübeln, diese nicht als Gesprächsangebot aufgegriffen zu haben. Und schließlich schlägt sich außerdem die angesprochene Verbindung ganz unterschiedlicher Diskurse, historischer Rekonstruktionen und aktueller Beobachtungen auf der Ebene der Präsentation in einem Stil nieder, der als mindestens eklektisch zu bezeichnen ist und sicherlich zusätzlich zu Rezeptionsschwierigkeiten geführt hat – und im Übrigen Die politische Gesellschaft auch für heutige Leser:innen nicht gerade leicht zugänglich macht.
Ungeachtet dieser Rezeptionsbarrieren bleibt es aber ganz sicher lohnend, Grevens Werk zur Kenntnis zu nehmen. Gerade in einer Zeit, in der sich politische Theorie auf die globale Dimension von Demokratie und Gerechtigkeit konzentriert, die Demokratie selbst aber – ungeachtet jüngerer populistischer Herausforderungen – als weitgehend unhintergehbare Errungenschaft betrachtet wird, könnte Grevens Erinnerung an die ständige Gefahr ihrer Erosion wichtiger kaum sein. Durch ihre politikwissenschaftliche Ausbuchstabierung dürfte seine These von der politischen Gesellschaft außerdem gerade auch jenen Diskursen über Post-Fundamentalismus, Politik und das Politische, oder auch agonale bzw. Radikaldemokratie, die Grevens Überlegungen ohnehin inhaltlich nahe stehen, wichtige Ressourcen zur kritischen Selbstreflexion liefern. Dies gilt ganz besonders für die – in letztgenannten Diskursen weitgehend vernachlässigte – Frage nach der (Re-)Produktion der Voraussetzungen demokratischer Praxis bzw., richtiger gesagt, demokratischen Lebens sowie Grevens nur angedeutete Gedanken zur Rolle von politischer Kultur und Bildung – die es ganz unbedingt weiterzudenken gilt.
[1] Michael Th. Greven 2009. Die politische Gesellschaft. Kontingenz und Dezision als Probleme des Regierens und der Demokratie, 2. aktualisierte Ausgabe, Wiesbaden, 16; Zitate im Folgenden in Klammern.