In diesem studentischen Buchforum wird es um Oliver Eberls jüngst erschienene Monographie Naturzustand und Barbarei. Begründung und Kritik staatlicher Ordnung im Zeichen des Kolonialismus gehen. In seiner in der Hamburger Edition, dem Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung erschienenen Habilitationsschrift diskutiert Eberl verschiedene Konzeptionen des ‚Barbarei‘-Topos, die in der politischen Theorie und Ideengeschichte wirkmächtig geworden sind und analysiert seine neuzeitliche Verflechtung mit dem Naturzustandskonzept. Auf der Grundlage einer historisch-systematischen Rekonstruktion arbeitet Eberl die Entwicklung der Abwertungsdimensionen heraus, die das Begriffspaar in die politische Theorie implantiert hat. Dabei konfrontiert er das Selbstverständnis der politischen Theorie mit den problematischen Implikationen der weitestgehend kanonisierten Begriffe von Naturzustand und Barbarei und vertritt die These, dass sie bis heute – auch in staatskritisch gewendeten Anführungen – mit kolonialen Vorstellungen verbunden sind.
Das Forum kann dabei, dies kurz zur Einordnung, in mindestens zweierlei Hinsicht als hanseatisch-südhessische Ko-Produktion betrachtet werden. Erstens hat Oliver Eberl, u.a. als Privatdozent an der Technischen Universität Darmstadt tätig, seine Studie in der Hamburger Edition, dem Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung, veröffentlicht. An diese produktive Liaison anknüpfend sind nun sowohl Studierende aus der Hamburger Politikwissenschaft als auch Studierende von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der TU Darmstadt an diesem Buchforum beteiligt.
Die Beiträge, die in den nächsten Tagen an dieser Stelle erscheinen werden, sind Teil einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen mit Eberls Monographie, die bereits jetzt die Relevanz des Werkes für die politische Theorie repräsentieren. Gleichzeitig mag die explizit studentische Perspektive das Alleinstellungsmerkmal dieses Forums sein. Nicht um des Status‘ selbst willen versteht sich, sondern um zu verdeutlichen: Zur fachwissenschaftlichen Debatte und zu Eberls Plädoyer für eine umfassende Auseinandersetzung mit den kolonialen Fundamenten der politischen Theorie gesellen sich auch studentische Perspektiven. Bei aller kritischen Auseinandersetzung mit Eberls Thesen folgen die beitragenden Studierenden dem Impetus des Werkes und schließen sich Eberls Forderung einer Dekolonisierung der politischen Theorie an. Aus Sicht der Lernenden diskutieren die Beiträge Eberls Beschäftigung mit den ‚Klassikern‘ des Faches, reflektieren auf der Grundlage seiner Kritik ihre Begegnung mit dem etablierten Lehrkanon und geben eigene Impulse für den Umgang mit kolonialen Residuen im Studium politischer Theorien.
Zum Auftakt des Forums wird hier das Schlusskapitel aus Eberls Monographie zu lesen sein, das einen interessanten Einblick in die wichtigsten Konklusionen seiner Argumentation bietet und die meisten der Themen vereint, die in den kommenden Tagen in dem Symposium diskutiert werden.
Die ersten beiden Diskussionsbeiträge von Dina Delgado und David Müller (Fr, 14. Mai) sowie von Leon Abich und Finn Haberkost (Sa, 15. Mai) werden sich mit Eberls Interpretation von Kants Naturzustandskonzeption beschäftigen, Eberls Hauptargument rekonstruieren und die These diskutieren, dass Kants Naturzustandsbeschreibung nicht bloß die Funktion einer abstrakten Rechtfertigung für den Austritt aus nicht-rechtlichen Zuständen erfüllt, sondern auch als Mittel zur Herabsetzung der scheinbar realexistierenden Existenzform der „Wilden“ dient. Anschließend wird sich Lore-Marie Junghans (Mo, 17. Mai) mit Eberls Rekonstruktion des Hobbesschen Kontraktualismus beschäftigen und nach der Relevanz der Kritik des Naturzustandstopos für heutige Debatten, vor allem die rund um John Rawls‘ Urzustandsmotiv, fragen. Eberls Verweis auf Jürgen Habermas‘ Kolonialisierungsbegriff aufgreifend wird Moritz Fromm (Di, 18. Mai) die Möglichkeiten einer ‚Kolonialisierung als Staatstheorie‘ diskutieren. Daraufhin vertieft Robin Koss (Do, 20. Mai) die ebenfalls von Eberl angeführte Unterscheidung zwischen begründenden politischen Theorien und befragenden kritischen Theorien. Im letzten Beitrag des Forums wird Nele Eisbrenner (Fr, 21. Mai) einige Implikationen von Eberls Dekolonisierungsplädoyer für die Erforschung aktueller Staatlichkeit und für die politiktheoretische Lehre beleuchten.
Schon jetzt wünschen wir eine erkenntnisreiche Lektüre der Beiträge und freuen uns auf interessante Debatten. Wir möchten uns bei allen Beitragenden für die Zusammenarbeit und die zahlreichen klugen und instruktiven Gedanken bedanken. Wir bedanken uns außerdem sehr für die großzügige Bereitstellung einiger Buchausschnitte, die uns bereits vor der Veröffentlichung von den Kolleg*innen vom HIS anvertraut wurden.
Ein besonderer Dank geht natürlich an Oliver Eberl, der an diesem Buchforum nicht nur als diskutierter Autor partizipiert, sondern auch angeboten hat, eine Replik zu formulieren.
Organisatoren: Leon Abich und David Weiß
Hier geht zum Schlusskapitel aus Eberls Monographie „Politische Theorie jenseits von Naturzustand und ‚Barbarei'“