Politische Wissenschaft und Hochschulreform. Olaf Asbach über die Hamburger Universität in der Zeit des Nationalsozialismus

Mit seiner Idee der politischen Universität hatte Adolf Rein, Professor für Geschichte an der Hamburger Universität, das Stichwort für die ideologische Umkrempelung der Hamburgischen Universität in eine nationalsozialistische Musterhochschule gegeben. In der Politischen Fachgemeinschaft und einem Politischen Kolleg wurden ab 1933 ideologisch gewichtige Wissenschaften, darunter die ‚Königsdisziplin‘ Politische Wissenschaft, zusammengefasst und so die Universität auf die zentralen Ziele des nationalsozialistischen Regimes abgestellt.[1]

Olaf Asbach ist seit 2009 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Sein Schwerpunkt liegt auf der Geschichte und Theorie politischen Denkens.


Auch ein dreiviertel Jahrhundert nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft ist es um das Wissen über die Rolle von Universitäten, wissenschaft­licher Forschung und Lehre im sogenannten ‚Dritten Reich‘ eher schlecht be­stellt. Zwar ist inzwischen Vieles aufgearbeitet – im gesellschaftlichen, hoch­schul- und wissenschaftspolitischen Diskurs wie im fachwissenschaftlichen All­tag ist davon jedoch nur wenig präsent. Das Problem dabei ist nicht allein das des Mangels an historischem Wissen oder politisch-moralischer Verantwortung. Vielmehr unterbleibt dann auch die Konfrontation mit jenen strukturellen Bedin­gungen, Praxen und Potenzialen, die es ermöglichen, dass Hochschulen und Wis­senschaft in dieser Weise als Teil autoritärer und menschenverachtender politi­scher Systeme fungieren können.

Dies lässt sich in besonders eindringlicher Weise am Beispiel der Universität Hamburg zeigen. Auch hier wurden nach langem Beschweigen die Geschichte von Universität und Wissenschaften und ihre politisch-gesellschaftlichen Kon­texte und Relevanz im ‚Dritten Reich‘ stärker aufgearbeitet – doch auch hier kommt davon im hochschul- und wissenschaftspolitischen wie im fachwissen­schaftlichen Alltag wenig an. Dabei zeigen diese Arbeiten einmal mehr, dass es ein „Mythos [ist], von der Universität als Hort ‚wertfreier‘ Wissenschaft“ zu sprechen, als einer Institution und Praxis, die selbst prinzipiell rational und wis­senschaftsgetrieben funktionieren und durch „gefestigte Traditionen geschützt“ werden.[2] Das Problem ist also weniger ein vermeintliches „Versagen der Uni­versität im ‚Dritten Reich‘“[3] als der Umstand, dass sie in gewisser Weise gerade nicht versagt, sondern einen wesentlichen Beitrag zu seiner Durchsetzung und Stabilisierung geliefert hat.

Blickt man nämlich auf das grundsätzliche Verhältnis von Politik, Wissen­schaft und Universität, und hier insbesondere auf die konkrete Organisation der Hamburger Universität und die Ausrichtung einzelwissenschaftlicher Forschung, zeigt sich schnell, dass auch nach der Machtübertragung an die Nationalsozialis­ten die Wissenschafts- und Hochschulpolitik und -organisation, wie sie schon seit der Wende zum 20. Jahrhundert betrieben wurde, unter neuen – jetzt völ­kisch-nationalsozialistischen – Vorzeichen fortgesetzt wurde. Dies verwundert nicht weiter, bedenkt man, dass die Nationalsozialisten in den ersten Jahren ihrer Herrschaft weder klare Konzeptionen noch die Machtmittel besaßen, die ‚Gleichschaltung‘ der Universitäten ‚von oben‘ zu erzwingen.[4] Die Neuausrich­tung erfolgte sozusagen ‚von unten‘, d.h. aus Universität, Wissenschaft und Ge­sellschaft selbst heraus, sodass hier der Boden bereitet sein musste.

Hierbei spielte die Politische Wissenschaft eine wichtige Rolle. Dies mag aus disziplingeschichtlicher Sicht überraschen. Gemeinhin gilt ihre Etablierung an deutschen Universitäten doch gerade als Versuch, nach dem Zweiten Weltkrieg Konsequenzen aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus zu ziehen und „die studierende Jugend“, die künftige Trägerschicht in Gesellschaft und Politik, „ge­gen gefährliche Nachwirkungen des Totalitarismus zu immunisieren“ und „einen Beitrag zur Stabilisierung der demokratischen Lebensform zu leisten“.[5] Auch in Hamburg wurde so 1951 der erste Lehrstuhl für Politische Wissenschaft „als wichtiger Beitrag zur Demokratie-Erziehung“ eingerichtet, auf den Siegfried Landshut berufen wurde.[6] Doch schon in der Weimarer Republik gab es Ver­suche, angesichts der vielfältigen Krisen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch eine neue Gestalt Politischer Wissenschaft die Aufgaben von Hochschule und Wissenschaft neu zu bestimmen.

In Hamburg zählte hierzu der Historiker Adolf Rein, der in enger Zusammenarbeit mit Otto Westphal Ideen zu einer Reform der Ausrichtung und Organisation von Universität und Wissenschaft entwickelte, die er unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 in leitenden Positionen in der Universität wie auch in der zuständigen Behörde bin­nen kürzester Zeit weitgehend umsetzen konnte.[7] Im Zentrum stand dabei eine Politische Wissenschaft, die als eine Art ‚Königswissenschaft‘ einer restruktu­rierten Organisation von Universität und Wissenschaften fungieren sollte. In spe­zifischer Fortführung des klassischen Politikbegriffs übergreift dabei die Wis­senschaft von der Politik, die als „Lebensgestaltung im Raum der sozialen Wirk­lichkeit“ verstanden wird,[8] alle darauf bezogenen Einzelwissenschaften. Sie muss diese wie sich selbst deshalb als Teil der historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit begreifen und von dort aus die Aufgaben von Wissenschaft und Forschung samt ihrer institutionellen Ausgestaltung begründen. Während bei Rein in seiner Anfang 1933 abgeschlossenen Schrift die Berufung auf Volk, Vaterland und Geschichte noch ganz im Rahmen autoritär-nationalistischer Kon­zepte blieb und damit eine auch in Hamburgs Gesellschaft, Wirtschaft und Poli­tik einschließlich der Professorenschaft verbreitete Kritik am ‚Weimarer System‘ und am Verlust von Deutschlands Stellung als Groß- und Kolonialmacht bediente, lud er sie nur wenige Wochen später mit ‚völkischen‘ und ‚rassischen‘ Inhalten auf und machte seine Ideen zu einer grundlegenden Universitätsreform so für verschiedene Auslegungen und Interessen anschlussfähig.

Von daher erklären sich die starken Kontinuitäten, die in der wissenschaftli­chen Arbeit an der Hamburger Universität zu der Zeit vor 1933, aber auch der Zeit nach 1945 bestanden. Denn die Universität war seit den im 19. Jahrhundert einsetzenden Bemühungen um ihre Etablierung und dann im fortwährenden Kampf um ihre Existenzberechtigung durch eine enge Verbindung von Wissen­schaft, Politik und Wirtschaft geprägt und gewillt, der „Zukunft unseres Volkes und unseres Staates“, dem „Wirtschaftsleben Hamburgs und darüber hinaus ganz Deutschlands“ wie auch der Beförderung von „kulturellen, kolonisatorischen und wirtschaftlichen Fortschritte[n]“ zu dienen.[9] Sie stellte – wie der National­sozialismus selbst – in vielerlei Hinsicht eine Modernisierung und Rationalisie­rung institutioneller Strukturen und Prozesse dar, verbunden mit der konsens­sichernden Einbettung in politisch-ideologische und kulturelle Traditionen und Normordnungen. Die zentralen Ziele nämlich waren, knapp zusammengefasst:

– wissenschaftliche Forschung und Lehre sollen im Zusammenhang mit den po­litisch-gesellschaftlichen Interessen und Zielsetzungen reflektiert und plan­voll in den Rahmen einer universitären Gesamtstrategie eingefügt werden;

– einzelwissenschaftliche Arbeit geht innerhalb dieses Rahmens ihren alltägli­chen Gang und erfährt je nach politischer und sozioökonomischer Interessen­lage verstärkte Förderung oder wird ab- oder zurückgebaut;

– Aufgaben, Richtung und Ziel von Wissenschaft und Forschung werden stra­tegisch definiert; sie unterliegen dabei außerwissenschaftlichen Verständnis­weisen von Gesellschaft, Politik und Staat und in ihnen bestehenden Problem­lagen und Zielsetzungen, die wissenschaftlich zu begründen und zu bearbeiten sind, um praktisch nutzbar zu sein;

– geistes-, sozial- und rechtswissenschaftliche Gebiete, Strömungen und Profes­suren, die dafür als ungeeignet bewertet werden, werden ausgeschieden;

– Formen und Bedingungen von Lehre und Studium, das Verhältnis der Fächer und Statusgruppen zueinander und die Beziehungen zwischen Universität, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden zweckgemäß ausgestaltet. Die Politische Universität als spezifisch moderne und zeitgemäße Gestalt der Universität muss Rein zufolge genau diese Charakteristika aufweisen. Und in Hamburg sollte sie nun unter den konkreten Bedingungen „der deutschen Wirk­lichkeit als nationalsozialistische Universität“ verwirklicht werden.[10] Im Zentrum stand eine neue „politische Fakultät oder Fachgemeinschaft“: Diese sollte „ein Organ der wissenschaftlichen Verbindung und Einheit innerhalb der Universität“ bilden, „von dem aus die allgemeinen hochschulpolitischen und wissenschafts­politischen Angelegenheiten der Universität in Bewegung zu bringen und in Bewegung zu halten sind“.[11]

Schon im Sommer 1933 wurde diese ‚Politische Fachgemeinschaft der Fakul­täten‘ gebildet, die „den Grund (…) zu einer neuen einheitlichen und umfassen­den ‚politischen‘ Wissenschaft [legen sollte], die auf die deutsche Lebensge­meinschaft mit Willen und Bewußtsein eingeschworen ist“.[12] Sie umfasste jene Fachgebiete, die „in besonderer Weise das politisch-weltanschauliche Element in sich tragen“, d.h. die geistes-, sozial-, wirtschafts- und rechtswissenschaftli­chen Fächer, die „ihrem Gegenstande nach eine unmittelbare Beziehung zum Begriff des Politischen haben“.[13] Ihre zentralen Aufgaben waren laut §20 des neuen Hochschulgesetzes: „1. für die politische Schulung der Studenten in Zu­sammenarbeit mit der Studentenschaft zu sorgen, 2. das wissenschaftliche Zusammenarbeiten der Fakultäten untereinander zu fördern, 3. die Pflege der Auslands-, insbesondere der Übersee- und Kolonialkunde“. Die in der Fachge­meinschaft vertretenen Fachgebiete sollten so die Forschung und Lehre der Uni­versität und ihre Verbindung zur außeruniversitären Welt koordinieren und len­ken und so „als eine Art von wissenschaftlichem Senat“ fungieren.[14] In hoch­schulpolitischer Hinsicht diente die Fachgemeinschaft, die wie die Fakultäten von einem Dekan geleitet wurde,[15] als Verbindungsglied zu Rektor und Univer­sitätssenat, in dem sie wie diese Sitz und Stimme hatte. Ihre Aufgaben waren vor allem die Beratung in grundsätzlichen Fragen der Ausrichtung von Forschung und Lehre sowie die Mitwirkung „[b]ei allen Habilitationen und Berufungen in den einschlägigen Disziplinen“,[16] was eine verstärkte ideologische und strategi­sche Ausrichtung von Wissenschaft und Universität ermöglichte.

Im Laufe des ersten Jahres wurden vier Abteilungen gebildet, durch die die zahlreichen Fächer der Universität und ihre Arbeiten zusätzlich koordiniert und Kooperationen angeregt werden sollten. Neben der ersten Abteilung „Politische Wissenschaft“, die die politisch-gesellschaftlich grundlegenden Fächer um­fasste, entstanden die Abteilungen für „Politische Erziehung“, „Auslandskunde“ und „Raumforschung“.[17] Sowohl innerhalb der einzelnen Abteilungen wie in ihrem Zusammenwirken innerhalb der Fachgemeinschaft wurde größter Wert auf die Überwindung der Fächergrenzen gelegt, d.h. auf Interdisziplinarität in Forschung und Lehre. Ausdrückliches Ziel der Politischen Fachgemeinschaft war, so Westphal, „die Zunftwälle niederzulegen, die die Fakultäten und Diszi­plinen im Zeitalter des positivistischen Spezialistentums um sich gezogen hat­ten“, um den Aufgaben der Zeit, an deren Bewältigung Universität und Wissen­schaften mitzuwirken hätten, gerecht werden zu können.[18] Auf monatlichen ‚Wissenschaftlichen Sitzungen‘ der Politischen Fachgemeinschaft wurden For­schungsthemen und Kooperationsmöglichkeiten diskutiert, und es wurde festge­legt, worauf die unmittelbar politisch relevanten, aber auch „die nur methodisch, nicht materiell politischen Wissenschaften“ wie Mathematik und Naturwissen­schaften „ihre abgepanzerte strenge Wissenschaftlichkeit“ zu richten habe:

„Die wissenschaftlichen Sitzungen sollen zu neuen Fragestellungen führen dadurch, daß das einzelne Fach in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Betrachtungsweise der benachbarten Fächer gebracht wird; sie sollen neue Forschungsergebnisse mittei­len und jeweils die Gebiete aufsuchen, wo eine Begegnung der wissenschaftlichen Arbeit von verschiedenen Fächern her sich vollziehen kann.“[19]

Diese Prinzipien sollten an der reformierten Universität auch für Lehre und Stu­dium leitend sein, die das zweite große Aufgabenfeld der Politischen Fachge­meinschaft bildeten. Mit der wissenschaftlichen Ausbildung sollten nicht nur Spezialistinnen auf unterschiedlichen Fachgebieten herangebildet werden, sondern Personen, die sich und ihre Arbeit im Zusammenhang mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und Anforderungen verstehen und sie für diese fruchtbar machen konnten. In diesem Sinne ging es für Rein um die „Gestaltung einer nationalen Elite“, die in ihrer wissenschaftlichen Arbeit den Bezug auf den jetzt „völkisch“ interpretierten historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang erkennen und herstellen könne.[20] Dabei sollte sie sich jedoch ebenso wenig im Spezialistentum verlieren wie eine sozial abgehobene, von „akademische[m] Standeswesen“ und „selbstzufriedene[r] Bürgerlichkeit“ geprägte „Schicht der wortreichen Intelligenz“ bilden.[21]

Mit diesen Zielen organisierte die Politische Fachgemeinschaft ein Seminar­programm, das politische Schulungskurse zu disziplinenübergreifenden Themen und Problemen anbot – gleichsam ein nationalsozialistisches ‚Studium Genera­le‘, bei dem die Teilnahme für Studierende zum verbindlichen Teil des Fachstu­diums erklärt wurde.[22] Der interdisziplinäre Charakter dieser Seminare wurde durch neue Formate betont und praktisch umgesetzt. Dozentinnen aus unterschied­lichen Fächern boten sie gemeinsam an und leiteten sie mit Referaten und Ko-Referaten ein, die dann diskutiert wurden: „An jedem Kurs ist eine Gruppe von Dozenten beteiligt, ein jeder etwa mit ein bis zwei Abenden. Alle an einem Kurs mitwirkenden Dozenten wohnen jeden Abend ihres Kurses bei, um in der Aus­sprache den politischen Zusammenhang der verschiedenen Disziplinen zur Anschauung zu bringen und herauszuarbeiten“.[23] Diese Formen fächerübergrei­fender Lehre, der Kooperation von Dozentinnen und Studierenden wie auch der Ver­bindung von Fachwissenschaften, übergreifenden Themen und praktischen Fra­gen von Politik und Gesellschaft prägten in besonderem Maße die sogenannten ‚Wissenschaftslager‘. Vom Wintersemester 1934/35 an wurden diese als mehr­tägige Veranstaltungen durchgeführt, in denen Lehrende und Studierende ein Thema gemeinsam historisch-politisch aufarbeiteten.[24]

Das im November 1933 gegründete Politische Kolleg ergänzte die Politische Fachgemeinschaft. Wie diese war sie eine Vertretung der ‚politisch relevanten‘ Fächer, allerdings eine der nicht-professoralen Dozentinnen sowie der Studieren­den. Es organisierte verschiedenste Aktivitäten zu umfassenden politisch-wis­senschaftlichen Schulungen, etwa politische Vorlesungen, Kurse und Tischrun­den, Fortbildungen in Rhetorik oder Lagergemeinschaften. Dadurch sollte „das wahre Verhältnis zwischen Dozenten und Studenten regeneriert“ und versucht werden, „die Universität als Ganzes festzuhalten, alles Gegeneinanderarbeiten oder ohne-Fühlung-miteinanderarbeiten [sic!] zu beseitigen“, indem es die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Statusgruppen und Generationen institu­tionell sicherte.[25]

Um das Ziel einer Politischen Universität, die Fächer, Wissenschaftlerinnen und Studierende miteinander ins Gespräch zu bringen und auf das gemeinschaftliche Ziel ihrer praktisch-politischen Arbeit für Staat und Gesellschaft bzw. ‚Volk‘ hin auszurichten, umsetzen zu können, regte Rein schon bei seinem Rektoratsantritt 1934 an, dass „die Universität auch räumlich zusammengeschlossen werden“ müsse. Denn „solange Institute, Seminare, wissenschaftliche Anstalten, Vorle­sungsräume, Studentenhäuser, Professorenwohnungen in dem Betrieb der gro­ßen Stadt zerstreut liegen“, könne sie nicht die Form der Gemeinschaftsbildung in Forschung und Lehre erreichen, die zur Erfüllung ihres politisch-gesellschaft­lichen Auftrags erforderlich sei, nämlich „in das Volk, in die politische Land­schaft hinein zu wirken und aus ihr Befruchtung und Aufgabenstellung zu emp­fangen“.[26] In der Folge wurde die Verlegung der Universität aus der Innenstadt und ihre Zusammenlegung zu einer Campus-Universität diskutiert und ab 1937 im Rahmen des Plans, Hamburg zu einer ‚Führerstadt‘ auszubauen, konkret angestrebt.[27] Nur der Krieg verhinderte die Umsetzung dieses Vorhabens, die Hamburger Politische Universität als eine nationalsozialistische Campus-Uni­versität zur Vernetzung von Fachdisziplinen und Universität, Stadt und Gesell­schaft in Stein zu meißeln.

Aus heutiger Sicht muss irritieren, wie vertraut und aktuell die Pläne zur Reform von universitärer Forschung und Lehre und ihre problemlösungsorientierte, ver­netzte, auf gesellschaftlichen Nutzen und Transfer gerichtete Ausrichtung klin­gen, die Rein und andere entwarfen und 1933 an der Hamburger Universität um­zusetzen begannen. Sie stellen die Politik- und Sozialwissenschaften wie Wis­senschaft und Hochschule generell vor die Frage, wie sie eigentlich ihre wissen­schaftliche Arbeit und ihre gesellschaftliche Rolle und Funktion begründen und institutionell praktizieren. Sind es nicht mehr als die zufälligen historischen Um­stände und die je als legitim geltenden Inhalte und Zielsetzungen, die darüber entscheiden, ob sie nun nationalsozialistischen, völkisch-rassistischen, imperia­listischen Vorstellungen einer ‚guten‘ Gesellschafts- und Weltordnung dienen oder solchen der globalen Überwindung von Aus­beutung und Armut und der Verwirklichung menschenwürdiger Lebensverhält­nisse?


[1] Dieser Beitrag ist ein überarbeiteter Auszug aus Olaf Asbach (in Vorb.). Politik, Wissenschaft und Poli­tische Wissenschaft in Hamburg in der Zeit des Nationalsozialismus, in Rainer Nicolay­sen, Eckart Krause & Gunnar B. Zimmermann (Hg.). 100 Jahre Universität Hamburg, Göttingen. Dort ausführliche Nachweise, die hier auf ein Minimum reduziert sind.

[2] So Peter Fischer-Appelt im Vorwort zu Eckart Krause, Ludwig Huber & Holger Fischer (Hg.) 1991. Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933-1945, 3 Bände, Berlin & Hamburg, Bd. I, IX.

[3] Rainer Nicolaysen 2011. Wandlungsprozesse der Hamburger Universität im 20. Jahr­hundert, in Myriam Richter & Mirko Nottscheid (Hg.). 100 Jahre Germanistik in Hamburg. Traditio­nen und Perspektiven, Berlin & Hamburg, 22.

[4] „Die Universitäten waren terra incognita für die NS-Führung des Staates, und sie wagte es nicht, hier zu viel zu experimentieren.“; Geoffrey J. Giles 1980. Die Idee der politischen Universität, in Manfred Heinemann (Hg.). Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2, Stuttgart, 55.

[5] Hans Maier 1962. Zur Lage der Politikwissenschaft in Deutschland, Viertel­jahreshefte für Zeitgeschichte 10(3), 237.

[6] Rainer Nicolaysen 1997. Siegfried Landshut. Die Wiederentdeckung der Politik. Eine Biographie, Frankfurt/Main, 360.

[7] Vgl. den Beitrag von Lennart Riebe; ausführlich Arndt Goede 2008. Adolf Rein und die ‚Idee der Politischen Universität‘, München.

[8] Adolf Rein 1933. Die Idee der politischen Universität, Hamburg, 15; ders. 1933. Politische Bildung, Deutsche Akademische Rundschau 3(6).

[9] So der Gründungsrektor Karl Rathgen; Hamburgische Reden, gehalten bei der Er­öffnungsfeier am 10. Mai 1919, Hamburg, 15; sowie Peter Mühlens 1925. Hamburg und die Tropenhygiene, ihre wissenschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung, in Deutsche Auslandsarbeitsgemeinschaft Hamburg (Hg.). Hamburg in seiner wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung für Deutschland, Hamburg, 114.

[10] Adolf Rein. Idee, 9; ausführlich zur Politischen Universität Barbara Vogel 1991. Anpassung und Widerstand. Das Verhältnis Hamburger Hochschullehrer zum Staat 1919 bis 1945, in Eckart Krause. Hochschulalltag, Bd. I, 52ff. und Arndt Goede. Rein, v.a. 100ff.

[11] Adolf Rein. Idee, 37 und ders. 1934: Die politische Universität. Rede gehalten bei der Feier des Rektorwechsels am 5.11.1934, Hamburgische Universität, Hamburg, 33.

[12] Adolf Rein 1935. Die Universität Hamburg als politische Universität, hrsg. vom Hamburgischen Staatsamt, Hamburg, 20.

[13] Adolf Rein. Universität Hamburg, 21; Otto Westphal 1933. Das ‚Politische Colleg‘ der Hamburgischen Universität, in Hamburger Universitätszeitung XV, H. 5, 20.

[14] Adolf Rein. Idee, 37.

[15] Zum Dekan ernannte Rein am 23. Januar 1934 Otto Westphal.

[16] Otto Westphal. Das ‚Politische Colleg‘, 65.

[17] Zur Vor- und Entstehungsgeschichte der „Abteilung für Raumforschung“ vgl. Mechtild Rössler 1991. Die ‚Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung‘ an der Hamburger Universität 1934-1945, in Eckart Krause. Hochschulalltag, Bd. II, 1035-1048.

[18] Otto Westphal 1935. Die Politische Fachgemeinschaft der Fakultäten nach dem ersten Jahr ihres Bestehens, in Hamburger Universitätszeitung XVI, H. 5, 19. Januar, 151.

[19] Otto Westphal 1933. Politische Wissenschaft, in Hamburger Universitätszei­tung XV, H. 2, 24 und Adolf Rein. Universität Hamburg, 24. Hinsichtlich der ‚interdiszi­plinären Kooperation‘ proklamierte Westphal es als Aufgabe der Fachgemeinschaft, „den Boden zu bereiten für die Zusammenarbeit des Kriminalisten, des Staatswissenschaftlers, des Volkswirts, des Anatomen, des Neurologen, des Rassenkundlers, des Prähistorikers, des Historikers, des Soziologen, des Germanisten, des Kunsthistorikers, des Wehrwissen­schaftlers, des Zoologen, des Geographen, des Meteorologen: um nur einige Disziplinen herauszugreifen“; Otto Westphal. Politische Fachgemeinschaft, 151.

[20] Da diese „Aristokratie aus völkischer Wurzel“ heraus entspringe, setze dies schon bei der Zulassung der Studierenden „sorgfältige Berücksichtigung erbbiologischer Mo­mente“ voraus; so Rein in der Sylter Denkschrift von 1933; Arndt Goede. Rein, 66.

[21] Adolf Rein. Politische Universität, 19.

[22] Themen solcher Kurse reichten von den Grundlagen von Staat und Recht über ‚Ras­sen- und Volkskunde‘ und Tropenhygiene bis zur Weltpolitik und deutschen Kunst.

[23] Otto Westphal. Das ‚Politische Colleg‘, 66; Adolf Rein betonte den experimentellen Charakter dieser kooperativen Veranstaltungsformen, aus denen „die neuen Grundsätze für die Formen der Vorlesungen, der Kolloquien, der Übungen, Seminare, Praktika, Labo­ratorienarbeit, Arbeitsgemeinschaften und Lagergemeinschaften hervorgehen“ sollten; Adolf Rein. Politische Universität, 34.

[24] Vgl. Adolf Rein. Universität Hamburg, 23; Arndt Goede. Rein, 114ff.

[25] Otto Westphal. Das ‚Politische Colleg‘, 67; Adolf Rein. Universität Hamburg, 26.

[26] Adolf Rein. Politische Universität, 35.

[27] Vgl. Jürgen Lafrenz 1991. Die Universität in Hamburg als Problem der Stadtpla­nung 1919-1945, in Eckhart Krause. Hochschulalltag, Bd. I, v. a. 341ff.

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