Fundstück: Der Pferdestall im Nationalsozialismus

Ein Foto des Pferdestall aus der Zeit des Nationalsozialismus. Am Gebäude hängen Flaggen mit dem Hakenkreuzsymbol – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Nach kurzer Blüte in den 1920er und frühen 1930er-Jahren ist auch der ehemalige Pferdestall am Bornplatz ab 1933 Gegenstand nationalsozialistischer Umwerfungen in Politik und Wissenschaft. Wissenschaftlerinnen werden vertrieben, die Institutsstruktur im Gebäude radikal transformiert und die ‚Schutzpolizei‘ zieht Mitte der 1930er-Jahre im Erdgeschoss ein. Im neuen Fundstück zur Geschichte unseres Institutsgebäudes erinnern wir an die dunklen Jahre des deutschen Faschismus, wie auch die Verankerung der Universität und insbesondere unseres Gebäudes in das ehemalige jüdische Viertel Hamburgs, dem Grindelviertel.


Ein Foto der Feier zur Selbstgleichschaltung der Universität vom 1. Mai 1933 – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Nur wenige Monate nach der Machtübernahme Hitlers und der NSDAP beginnt der Umbau des deutschen Wissenschaftssystems. Im Zuge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 werden zahlreiche Professorinnen, Wissenschaftliche Mitarbeitende und Angestellte aus dem Lehr- und Forschungsbetrieb entlassen und vertrieben. Nationalsozialistische Wissenschaftlerinnen wie Studierende vollziehen eine komplette Umkrempelung von Forschungsinhalten und Studienstruktur. Auch in Hamburg verkündet der neue Rektor Adolf Rein die „politische Universität“ und schwört die Universitätsmitglieder auf das „Führerprinzip“ auch in der Hochschule ein. Bei einer großen Feier zur Selbstgleichschaltung am 1. Mai 1933 im Hauptgebäude der Universität preist er die Hamburgische Universität als „erste nationalsozialistische Hochschule“, sein Kollege aus dem Dekanat der Medizinischen Fakultät Ludolph Brauer zeigt sich beeindruckt von der „großen deutschen nationalen Erhebung“.

Aus dem ehemaligen Pferdestall am Bornplatz, der erst 1928 zum Universitätsgebäude geworden war, werden die liberalen jüdischen Wissenschaftlerinnen um Ernst Cassirer, William Stern und Agathe Lasch vertrieben. Cassirers Lehrstuhl für Philosophie wird bezeichnenderweise in ein Ordinariat für Rassenbiologie umgewidmet, mit dem sich Rektor Rein selbst schmückt. Generell werden die Institute für Philosophie und Psychologie sowie das Seminar für Erziehungswissenschaften, die ehemaligen Herzstücke des Gebäudes, ideologisch entkernt oder gleich ganz fallen gelassen. Nicht mehr viel passiert im Bornplatz 1-3, lediglich schon zum Ende des 2. Weltkrieges kommen noch einmal neue Institute aus zerstörten Universitätsgebäuden in das von Luftangriffen weitgehend unbeschadet gebliebene Gebäude.


Wie kein anderes Gebäude der Universität ist der „Pferdestall“ in die Geschichte des Grindelviertels im Stadtteil Rotherbaum eingelassen. Das Grindelviertel war das ehemalige Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg und beherbergte unter anderem die große Hauptsynagoge der orthodoxen jüdischen Gemeinde. Direkt am Bornplatz, gegenüber des Universitätsgebäudes war sie Mittelpunkt des Viertel, zerstört wurde sie in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938. Heute erinnert ein großer Grundriss aus Mosaiksteinen auf dem an den Allende-Platz angebundenen Joseph-Carlebach-Platz an die Synagoge.

Die ehemalige jüdische Hauptsynagoge auf dem Bornplatz im Hamburger Grindelviertel – Bildnachweis: UHH/Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte

Ebenfalls direkt an den „Pferdestall“ angeschlossen war eine der vielen, aber die in Deutschland einzige nach der Pogromnacht wieder aufgebaute Hinterhofsynagoge, die „Neue-Dammtor-Synagoge“. Hier kamen nach den intensivierten Deportationsanstrengungen der Nationalsozialisten die meisten jüdischen Menschen im Grindelviertel zusammen – bis sie schließlich selbst als Sammelstätte für Deportationen genutzt und im Krieg zerstört wurde. Hieran erinnert eine kleine Gedenktafel, die in den 1980er-Jahren angebracht wurde, sowie die große östliche Seitenfassade unseres Gebäudes, die vor dem Hintergrund dieser Historie zu Recht irgendwie unvollständig und beschnitten aussieht.


Text: David Weiß, Redaktion Politik 100×100

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