Fundstück: Michael Th. Greven ‚aus gegebenem Anlaß‘

In der ersten Retrospektive heute berichtete Rainer Tetzlaff über den Hamburger „Uni-Skandal“ von 2004. Dem russischen Präsidenten Vladimir Putin sollte die Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg verliehen werden, dagegen setzte sich – schließlich erfolgreich – eine Gruppe von Professorinnen, angestoßen vom Politikwissenschaftler Michael Th. Greven, ein. In diesem Fundstück findet sich nun auch der gesamte Aufruf von Michael Th. Greven samt E-Mail an die Kolleginnen.

Wir danken Rolf von Lüde für die Überlassung des Wortlauts von Michael Grevens Aufruf. Prof. Dr. Rolf von Lüde war von 1995 an Professor für Soziologie im Fachbereich Sozialwissenschaften. Er gehört zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs. Anlässlich von Vladimir Putins Teilnahme am G20-Gipfel hat er dem Deutschlandfunkt 2017 ein Interview gegeben.


Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

‘aus gegebenem Anlaß’ – wie man so sagt – übersende ich Ihnen hiermit einen von mir verantworteten Text einer Protestaufrufes, der sich hoffentlich bei der Lektüre selbst erklärt. Nachdem die Presse (FR vom 3.7.) die Absicht bereits publik gemacht hat, sehe ich mich bereits zu diesem Zeitpunkt veranlaßt, Ihnen den nachstehenden Protestaufruf zuzuleiten.

Ich habe zwei Bitten:

a) prüfen Sie bitte, ob sie dieser Erklärung beitreten möchten und damit einverstanden wären, daß Ihr Name auch öffentlich genannt wird. Im positiven Fall schicken Sie bitte eine entsprechende Erklärung per email an <buero.greven@sozialwiss.uni-hamburg.de>; es ist vorgesehen, zeitnah zu dem Ereignis die Liste der Unterzeichnenden zu veröffentlichen und dabei dem Namen die Fachbezeichnung in Klammern anzufügen.

b) selbst wenn Sie sich gehindert sehen, diese Erklärung selbst zu unterzeichnen, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sie in Ihrem Fachbereich an Kolleginnen und Kollegen weiterleiten würden (da es keinen email-Verteiler der Professorenschaft der Universität zu geben scheint und ich auf das “Schneeballsystem” angewiesen bin).

Bitte beachten Sie, daß sich dieser Aufruf nur an Professorinnen und Professoren der Universität Hamburg richtet.

Mit freundlichem Gruß,

Prof. Dr. Michael Th. Greven ( Politische Wissenschaft)

 


 

Text des Aufrufs:

Professoren und Professorinnen der Universität Hamburg protestieren gegen die Verleihung der Ehrendoktorwürde an den russischen Präsidenten Putin

Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Hamburg hat beschlossen, dem russischen Präsidenten V. Putin im September in einer feierlichen Zeremonie im Rahmen des “deutsch-russischen zivilgesellschaftlichen Dialogs” die Ehrendoktorwürde zu verleihen.

Die Verleihung dieser akademischen Ehrendoktorwürde setzt nach der Promotionsordnung herausragende wissenschaftliche Leistungen voraus. Mit solchen ist der als Jurist ausgebildete derzeitige Präsident Rußlands weder vor noch während seiner Amtszeit hervorgetreten.

Aber selbst wenn man im Rahmen des allerorts Üblichen bei der Ehrung von aktiven Politikern von einer strengen Handhabung des Wortlauts der Promotionsordnung absehen möchte, halten die Unterzeichnenden diese besondere Ehrung im Fall von Präsident Putin für unangebracht.

Gerade die nicht auf eine besondere wissenschaftliche Leistung abzielende akademische Ehrung kann angemessen nur die ganzheitliche Gesamtwürdigung der Aktivitäten und Wirkungen einer Persönlichkeit zum Ausdruck bringen und legt an die auszuzeichnende Persönlichkeit besonders hohe Maßstäbe an.

Für eine solche Würdigung des jetzigen russischen Präsidenten besteht deshalb kein Anlaß, weil er den entsprechenden Maßstäben nicht genügt.

Unter seiner Führung und Verantwortung bleibt Russland fortlaufend in einen in völkerrechtswidriger Weise geführten Krieg in Tschetschenien verwickelt, der täglich Opfer fordert und nicht geeignet ist, zur regionalen Stabilisierung beizutragen.

Unter seiner Führung und Verantwortung nimmt die junge russische Demokratie nach einhelligem Urteil von Experten zunehmend autoritäre Züge an und ist dabei, in einem schleichenden Regimewechsel sich immer mehr einem plebiszitär nur scheinbar legitimierten persönlichen  Regiment des Präsidenten anzuverwandeln.

Unübersehbare Indizien dafür sind u.a.

  • die auch von internationalen Menschenrechtsorganisationen, dem Europarat und Gremien des Europäischen Parlaments offen kritisierten Einschränkungen und Behinderungen von oppositionellen Parteien und Kandidaturen bei den zurückliegenden Präsidenten- wie Parlamentswahlen;
  • die weithin beobachtbare Schikanierung und offene Verfolgung von unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Institutionen, in- wie ausländischen Stiftungen, Menschenrechtsorganisationen und Vereinen mit administrativen und justiziellen Mitteln, die dadurch in ihren verfassungsmäßigen Entfaltungsmöglichkeiten behindert werden;
  • die Art und Weise, wie erkennbar direkt aus dem Präsidentenbüro gesteuert die Entwicklung einer vielfältigen und unabhängigen Medienlandschaft unterdrückt und vor allem im Fernsehen zugunsten eines staats- und präsidentenfrommen antipluralistischen Programms behindert wird – beispielhaft erkennbar in der Verstaatlichung des letzten noch übrig geblieben Privatsenders NTW;
  • die Instrumentalisierung und damit Unterhöhlung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Verfolgung oppositioneller oder einfach den Interessen der Staatsführung entgegenstehender Personen und Organisationen – wie sie sich zuletzt in der Yukos-Affaire gezeigt haben.

Die unterzeichnenden Professoren und Professorinnen der Universität Hamburg finden es angesichts dieser Umstände besonders makaber, daß die akademische Würdigung ausgerechnet im Rahmen der Veranstaltung eines “deutsch-russischen zivilgesellschaftlichen Dialogs” vorgesehen ist. Angesichts der Unabwendbarkeit des Ereignisses selbst erwarten sie zumindest, daß in diesem “Dialog” über die tatsächliche Situation der Zivilgesellschaft nach wissenschaftlichen Maßstäben diskutiert und geurteilt werden kann.

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