Thordis Reimer über Vera E. Troeger & Mariaelisa Epifanio, Bargaining over maternity pay: evidence from UK universities (2019)

Vera Troeger ist seit 2019 Professorin für Politikwissenschaft, insb. Vergleichende Regierungslehre/ Comparative Politics an der Universität Hamburg. Vorher war sie Professorin im wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich der Universität Warwick in Großbritannien. Seit Oktober 2019 ist Vera Troeger Präsidentin der European Political Science Association (EPSA). Ihre Forschungsinteressen liegen in der vergleichenden Politischen Ökonomie und in quantitativen Methoden der Politikwissenschaft. In dem Forschungsprojekt „Maternity Benefits across UK HEIs“ (gefördert durch den ESRC, das CAGE Centre, die British Academy und den Leverhulme Trust) untersuchte sie zusammen mit Mariaelisa Epifanio und Thomas Scotto die Ursachen und den Einfluss von Leistungen im Rahmen der Elternzeit an britischen Hochschulen auf akademische Karrieren von Frauen.

Thordis Reimer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Soziologie, insbesondere Ökologisierung und quantitative Methoden der Sozialforschung an der Universität Hamburg. Sie forscht zu Elternzeitregelungen, der Elternzeitnutzung durch Väter und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie ist Mitglied des International Network on Leave Policies & Research und Stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg.


Es ist nunmehr 100 Jahre her, dass auf der ersten Konferenz der International Labour Organization (ILO) eine Mutterschutz-Konvention verabschiedet wurde. Diese Konvention markierte den ersten internationalen Gleichstellungsstandard im Bereich der Erwerbsarbeit und formulierte einen Anspruch für erwerbstätige Frauen auf Mutterschutz im Rahmen der Geburt eines Kindes. Inzwischen sind weltweit in den meisten Ländern Mutterschutzfristen und Elternzeiten durch Gesetze auf staatlicher Ebene geregelt. Einzige Ausnahme bei den sogenannten entwickelten Ländern sind hier die USA. Jüngste Konventionen der ILO und Richtlinien der Europäischen Kommission zielen darauf, den Schutz von Mutter und Kind um Aspekte der Gleichstellung zu erweitern. Dazu gehört unter anderem die Formulierung eines Rechtes auf Vaterschaftsurlaub direkt nach der Geburt eines Kindes und die Empfehlung zu gesetzlichen Bestimmungen, die exklusive Elternzeitansprüche für Väter vorsehen. Bezahlte Mutterschutz- und Elternzeiten sind in den meisten europäischen Ländern auf Länderebene definiert, allerdings mit großen Unterschieden bezüglich der Länge der Fristen und der Höhe der Leistungen. Der Zusammenhang zwischen wohlfahrtsstaatlicher Absicherung im Rahmen der Geburt eines Kindes, der Erwerbstätigkeit von Frauen und der Gleichstellung der Geschlechter ist derzeit ein in Politik und Wissenschaft viel diskutiertes Thema, auch im Hinblick auf die soziale Nachhaltigkeit von Gesellschaften.

Vera Tröger leistet zusammen mit Mariaelisa Epifanio[1] einen wesentlichen Beitrag zu den Erkenntnissen über dieses sehr zeitgemäße Thema. In einem kürzlich (2019) veröffentlichten Artikel mit dem Titel “Bargaining over maternity pay: evidence from UK universities”[2] erforschen sie, wie und warum Hochschulen im Vereinigten Königreich über die Höhe von Mutterschutz- und Elternzeitleistungen entscheiden. Die Autorinnen nehmen mit ihrer Forschung zur Verhandlung von bezahlter Elternzeit an britischen Universitäten eine neue Perspektive auf die Erklärung der Entstehung von Elternzeitregelungen ein. Grundlage für ihre innovative Analyse bieten die besonderen institutionellen Bedingungen im Vereinigten Königreich, da dort der Umfang der finanziellen Absicherung in den Elternzeit-Monaten nach der Geburt eines Kindes wesentlich von den Leistungen des Arbeitgebers abhängt.

Wie ist die finanzielle Unterstützung von Frauen während der Mutterschutz- und Elternzeitfristen im Vereinigten Königreich geregelt? Für die ersten sechs Wochen nach der Geburt eines Kindes erhalten Frauen Leistungen in Höhe von 90% des vorherigen Einkommens. In der Zeit danach (33 Wochen) sind gesetzlich höchstens 700 Euro pro Monat vorgesehen. Damit ist die finanzielle Absicherung von Müttern im Vereinigten Königreich nach der Geburt eines Kindes als eher schwach anzusehen und liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Viele Arbeitgeber stellen daher zusätzliche Zahlungen für Frauen in Elternzeit bereit, um die finanzielle Absicherung junger Mütter auch über die ersten sechs Wochen nach der Geburt eines Kindes hinaus zu gewährleiten.

International bisher unerforscht war die Frage, wie sich die Entscheidungen von Arbeitgebern zu mehr oder weniger Leistungen für Frauen in Elternzeit erklären lassen. Vera Troeger und Mariaelisa Epifanio untersuchen diese Frage mit einem Verhandlungsmodell. Ihr Ziel ist es, die Entscheidungen von Hochschulen („Higher Education Institutions“) bezüglich zusätzlicher Leistungen in der Elternzeit durch Arbeitgeber („Occupational Maternity Pay“) zu erklären. Zusätzlich streben sie an, die potenziellen Kosten oder Vorteile zu beschreiben, die für Hochschulen mit den mehr oder weniger generösen Regelungen zur bezahlten Elternzeiten verbunden sind.

Ihre empirische Analyse besteht aus verschiedenen Modellen (Negative binomial model, poisson model, generalized negative binomial model, sowie ordinary least squares regression als Bezugspunkt). Die zu erklärende Variable der Generosität von Leistungen im Rahmen der Elternzeit wird aus der Länge der voll bezahlten Elternzeit (in Wochen) gebildet. Als erklärende Faktoren werden insbesondere die Größe der Universität (Anzahl der Beschäftigten), die Anteile von Frauen (mit/ohne Professorinnen-Status), das Budget der Hochschule, die Intensität der Forschung, das Hochschullehrer*innen/Student*innen- Verhältnis und die Stärke der Gewerkschaften an der Hochschule miteinbezogen. Für die Überprüfung der Robustheit der Ergebnisse werden unter anderem zusätzliche Indikatoren zur Erfassung der Generosität von Elternzeit-Leistungen an britischen Hochschulen gebildet, und die mit dem Modell vorhergesagten Werte werden mit den tatsächlichen Leistungen verglichen.

Die Ergebnisse der Analysen zeigen, dass im Vereinigten Königreich die Leistungen für Mütter im Rahmen von Elternzeit an Hochschulen sowohl in Bezug auf die Länge als auch in Bezug auf die Höhe der Zahlungen sehr unterschiedlich sind. Diese Unterschiede können zu einem großen Teil mit dem angewandten Handlungsmodell erklärt werden, das zwischen der Verhandlungsposition von Frauen in Spitzenpositionen, den Motivationen von Universitäten zur Anwerbung oder Bindung weiblicher Talente und den durch die Leistungen entstehende Kosten für Hochschulen unterscheidet. Als ein entscheidender Faktor für höhere Leistungen im Rahmen der Elternzeit zeigt sich die Forschungsorientierung von Hochschulen. Hochschulen mit hoher Forschungsintensität haben ein verstärktes Interesse daran, weibliche Spitzenkräfte anzuwerben oder zu halten und bieten daher Frauen nach der Geburt eines Kindes eine bessere finanzielle Absicherung. Diese finanzielle Absicherung sichert zudem die Zufriedenheit und die Produktivität der Akademikerinnen und erlaubt ihnen, in Forschungsaktivitäten zu investieren. Daneben lassen sich auch weitere Faktoren im Zusammenhang mit höheren Leistungen erkennen wie der (höhere) Anteil von Professorinnen in den Entscheidungsgremien, der (höhere) Anteil von Akademikerinnen im gebärfähigen Alter, ein besserer Betreuungsschlüssel zwischen Professor*innen und Student*innen sowie die (höhere) Anzahl von Beschäftigten an Hochschulen.

Warum sind die Ergebnisse so wichtig? Bisherige Forschung hat gezeigt, dass bezahlte Elternzeiten für die Erwerbsbeteiligung von Frauen, der Verkleinerung des Gender Pay Gap und für weibliche Karrieren von großer Bedeutung sind. Mariaelisa Epifanio und Vera Troeger bieten mit ihrer Analyse Einblicke in die Determinanten der Unterrepräsentation von Frauen in Spitzenpositionen, die leicht auf andere Sektoren jenseits der Hochschule übertragen werden können. Die Autorinnen berichten in der Diskussion ihrer Ergebnisse darüber hinaus von weiteren Analysen im Rahmen des Forschungsprojektes, in denen sie zeigen können, „that the generosity of maternity leaves exerts significant effects on career paths of female academics at the aggregate level, with more generous provisions likely to lead to a higher share of female professors and female academics in the highest salary bracket“ (S. 24)  und dass an Hochschulen im Vereinigten Königreich die Produktivität und steilere Karrierepfade von Wissenschaftlerinnen eng mit den zusätzlichen Leistungen im Rahmen von Elternzeit verknüpft sind. Auch ohne den Anspruch an einen kausalen Zusammenhang sind diese Befunde von sehr großer Bedeutung, da sie der allgemeinen Annahme eines Verlustes von Produktivität durch Elternzeiten von Müttern entgegensteht und ein Umdenken einleiten kann.

Vera Tröger und Mariaelisa Epifanio leisten mit ihrer Forschung zur Bedeutung generöser Elternzeit-Leistungen durch Hochschulen als Arbeitgeber einen wichtigen Beitrag für die Diskussion der Relevanz von bezahlten Elternzeiten für die Gleichstellung der Geschlechter. Sie entwickeln eine innovative Perspektive auf die Vorteile generöser Leistungen im Rahmen von Elternzeit für Arbeitgeber. Ihre Forschung zeigt allerdings auch, dass der Schutz von Müttern im Vereinigten Königreich stark von der Verhandlungsposition von Frauen gegenüber ihrem Arbeitgeber abhängt und werfen damit die Frage auf, inwieweit für die Gewährleistung eines Anspruchs auf Leistungen im Rahmen von Mutterschutz und Elternzeiten eine generöse staatliche Gesetzgebung vorzuziehen ist.


[1] Mariaelisa Epifanio ist seit 2007 Lecturer in Politikwissenschaft an der Universität Liverpool. Vorher war sie Projektmitarbeiterin an der Universität Warwick.

[2]  Journal of Public Policy (2019), doi:10.1017/S0143814X19000059

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